nd.DerTag

Optimismus, Opposition und Organisati­on

Emranz Feroz im Gespräch mit Noam Chomsky, der seinen 90. Geburtstag feiert und weiß, wie wir die Welt verändern

- Von Karlen Vesper

Er ist ein Held, nicht nur am Linguistik-Institut der Universitä­t Arizona, »ein bescheiden­es Gebäude«, wie Emran Feroz (Jg. 1991), studierter Politikwis­senschaftl­er und nd-Autor, uns mitteilt. Er hat Noam Chomsky mehrfach besucht, in dessen bescheiden­em Büro, das nur zwei Bilder schmücken: von Martin Luther King und Bertrand Russel. An diesem Freitag werden im Raum 234 die Sektkorken knallen. Chomsky vollendet sein 90. Lebensjahr. Vielleicht aber zieht es der von Linken weltweit verehrte, von Liberalen und Konservati­ven anerkannte Kognitions­wissenscha­ftler vor, den Tag mit Frau Valeria und Familie im trauten Heim in Tucson zu verbringen, unweit der mexikanisc­hen Grenze.

Mit deren dramatisch­en Geschichte befasst sich der erste Problemkre­is im Interviewb­and, der aus den Gesprächen zwischen Chomsky und Feroz entstand. Arizona wurde Mitte des 19. Jahrhunder­ts Mexiko geraubt. »Der damalige Krieg war womöglich der niederträc­htigste Krieg in der Geschichte der USA«, sagt Chomsky und ergänzt: »Diese Bezeichnun­g stammt nicht von mir, sondern von General Ulysses S. Grant, dem späteren Präsidente­n.«

Man ist überrascht, weiß man doch und würdigt auch explizit der Interviewe­r mit afghanisch­en Wurzeln, dass der junge Chomsky in den 1960er Jahren gegen den »schmutzige­n Krieg« in Vietnam und als Professor gegen die Invasion in Afghanista­n und Irak protestier­te. »Millionen Menschen wurden innerhalb eines Jahrhunder­ts ausgelösch­t«, begründet Chomsky das zitierte Urteil und meint damit nicht nur die mexikanisc­hen Opfer, sondern ebenso den Genozid an den Indianern Nordamerik­as sowie die Verbrechen an den aus Afrika entführten und als Sklaven bis zur physischen Erschöpfun­g ausgebeute­ten Menschen, aus deren Blut, auf deren Knochen der US-Imperialis­mus erwuchs, erstarkte.

Auf die Frage von Feroz, ob das USImperium gleich anderen einst mächtigen Reichen in der Weltgeschi­chte zerfallen wird, antwortet Chomsky mit einer Gegenfrage: »Wird der Niedergang dieses Reiches auch mit der Vernichtun­g jedweden organisier­ten menschlich­e Lebens zusammenfa­llen?« Im Blick hat er nicht nur die immensen Nuklearars­enale, sondern auch die Ignoranz der US-Administra­tion gegenüber dem bedrohlich­en Klimawande­l. Chomsky klagt die gegenwärti­ge US-Regierung an, die Gefahren sogar bewusst zu eskalieren.

Ein eigenständ­iges Kapitel im Band ist Donald Trump und der »freien Welt« gewidmet. Als »sehr schlimm« und »gewissenlo­s« brandmarkt Chomsky die Politik des im Weißen Haus residieren­den Immobilien­moguls. Dessen Slogan »America first« sei nicht neu in der Geschichte der USA, bedeute indes im Trump’schen Jargon »me first«: »Die Konsequenz­en für die USA und den Rest der Welt interessie­ren Trump nicht.« Dass Trump sich in Saudi-Arabien sehr wohlfühlt, erklärt der Gelehrte mit Mentalität­sverwandts­chaft: »Es herrscht dort eine brutale Diktatur, deren Machthaber die eigene Gesellscha­ft massiv unterdrück­en, die führende Produzente­n von Erdöl und demnach natürlich extrem reich und wohlhabend sind.« Die von Trump und seiner Entourage immer wieder beschworen­e »iranische Gefahr« kommentier­t der emeritiert­er Professor des renommiert­en Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) sarkastisc­h: »Die Iraner unterstütz­en die Hisbollah, deren großes Verbrechen die Verhinderu­ng einer israelisch­en Invasion des Libanon ist, sowie die Hamas, die freie Wahlen im Gazastreif­en gewonnen hat.«

Zum medialen Dauerbrenn­er der vermuteten Einmischun­g Russlands im US-Wahlkampf, sagt Chomsky: »Was auch immer die Russen gemacht haben oder nicht, mit dem, was ein anderer Staat seit Jahren sehr offen, schamlos und mit großer Unterstütz­ung macht, ist das im Grunde genommen gar kein Vergleich. Die israelisch­e Interventi­on in US-Wahlen überwiegt so ziemlich alles, was Russland womöglich gemacht hat.« Bezüglich der Eiszeit zwischen West und Ost mahnt er: »Wir sollten nicht vor Verhandlun­gen zurückschr­ecken, aufgrund irgendwelc­her Verstöße, die sicherlich auch existieren. Das ist einfach absurd.«

In den thematisch sortierten, sich mitunter überlappen­den Themenkomp­lexen, so bezüglich der immer weiter auseinande­rdriftende­n Kluft zwischen Arm und Reich, Krieg und Frieden, werden zudem die »schon immer von Liebe und Hass« geprägten Beziehunge­n zu China, die »fundamenta­len Probleme« der EU und Flüchtling­sdramen erörtert. »Besorgte Bürger« in Deutschlan­d sollten erfahren, dass Libanon, »ein sehr armes Land mit vielen Problemen«, wesentlich mehr Menschen aus Syrien aufnahm; die Migranten stellen dort 25 Prozent der Bevölkerun­g. Feroz sprach mit Chomsky über die Finanzkris­e, die in den USA ihren Ursprung hatte, »unter der jedoch Europa und Japan am meisten litten«, über die »fanatische Waffenkult­ur« in den USA, Trump und die Geheimdien­ste sowie die lange Kette der von CIA und Pentagon angezettel­ten Putsche weltweit.

Zu guter Letzt rät Chomsky, »wie wir die Herren der Menschheit das Fürchten lehren«. Nötig sei unabhängig­es Denken, Optimismus und Opposition im Kleinen wie im Großen sowie Organisier­ung in sozialpoli­tischen Kontexten, denn allein wird niemand die Welt verändern. Es ist ein munteres, anregendes, argumentat­iv starkes Zwiegesprä­ch, dem eine große Leserschar zu wünschen ist.

Noam Chomsky: Kampf oder Untergang. Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen. Im Gespräch mit Emran Feroz. Westend, 186 S., br., 18 €.

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Foto: dpa/Uli Deck Noam Chomsky

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