Der Tag, als Clayderman starb
Wieder ausgegraben: Postpunk & New Wave der Bundesrepublik der frühen 80er Jahre
Der fiebrig grummelnde Bass, den man von den ersten Platten von The Cure kennt, gibt die Richtung vor. Das Gefühl, allein mit hängendem Kopf nachts in einer kalten, tristen, verlassenen neonbeleuchteten Fabrikhalle zu stehen bzw. ebendort selbstvergessen zu tanzen, hat kaum jemand so gelungen in Musik übertragen wie jene frühen (west-)deutschen New-Wave-/Postpunk-Bands, die zu Beginn der 80er Jahre den Macker-Rock der alten Schule verabschiedeten. Woran etwa Kraftwerk sich sechs Jahre früher schon versucht hatten, der Entmüllung einer zu pompösem Virtuosengeplänkel regredierten Rockmusik, das tat jetzt der Postpunk, indem er allen Schwulst aus ihr entfernte und ihr das falsche Pathos nahm. Den Rock wieder auf sein Skelett zu reduzieren, ihn zu entschlacken, ihn nicht nur einer saturierten Pop-Industrie, sondern auch den Klauen der Teestubenhocker und Vollbarthippies zu entreißen, ihn wieder hässlich und simpel zu machen, darin bestand die Aufgabe der neuen Generation: Oft kombinierte man zu diesem Zweck den unterkühlten, primitiven Zwei-Riff-Minimalismus des Punkrock mit hypnotischen Rhythmen, die man dem Krautrock (Can, NEU!) abgeschaut hatte, mit kleinen Ausflügen ins Atonale und mit Baustellengeräuschen, Getrommel auf leere Ölfässer, Störsirenen oder Fiep- und Surrtönen, die man per Herumexperimentieren am analogen Synthesizer herstellte. Hie und da ist auch ein vor sich hinsterbendes, blechern klingenden Saxofon zu hören. (Es ist aber ein krankes Saxofon und darf nicht verwechselt werden mit dem Schmierseifensaxofon, das man aus Gerry Raffertys Schmierseifenlied »Baker Street« von 1978 kennt.)
Das schöne deutsche Wort »kaputt« beschreibt den Sound, der sich als Antidot zum in der Bundesrepublik jener Jahre allgegenwärtigen Heile-Welt-Schlager verstand, ganz gut. Und der Sound sollte ja auch so sein, denn die Welt, in der man leben musste, war ja kaputt: Die Nazis ließen es sich in den Altersheimen der Bundesrepublik gutgehen, und aus dem Radio erklang in Dauerschleife Richard Claydermans »Ballade Pour Adeline«, während Waldsterben, Konsumkapitalismus, Atomdings und der sich warmmachende Kalte Krieg langsam das Ende der Menschheit einläuteten.
Das britische Label Strut, das sich seit Jahren um die Aufarbeitung und Dokumentation von Tanzmusik aller Art kümmert (von Italo-Disco über frühen Funk bis zu Afrobeat), hat nun eine Compilation herausgegeben, auf der, folgt man der Plattenfirma, »Klassiker, Raritäten und Ku- riositäten aus Deutschlands Original-Post-Punk- und IndependentSzene von 1979 bis 1985« zu hören sind. Kleine Korrektur: Gemeint sind hier natürlich nicht die Szenen »Deutschlands«, sondern die Westdeutschlands (Düsseldorf, Köln, Hamburg) und Westberlins. Die DDR hatte ihre eigene Szene.
Neben Material einschlägig bekannter Bands (Malaria!, Die Haut, Sprung aus den Wolken) und be- Plattenbau
Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau reits auf allen Kanälen Totgenudeltem (Andreas Doraus »Fred vom Jupiter«) findet man tollerweise auf diesem Sampler auch nie zuvor Gehörtes aus dem Osten, etwa die minimalistische Heimatdekonstruktionshymne »VEB Heimat« des Schweriner Duos Weltklang.
Allerdings dürfte es für eine so kenntnisreich zusammengestellte Compilation wohl kaum einen abgeschmackteren Titel geben als die ausgelutschte Horrorgroschenromanphrase »Kreaturen der Nacht«. Wer immer dafür verantwortlich ist, hat womöglich zu viele »John-Sinclair«-Heftchen gelesen, weiß aber offenbar nichts vom Zeitgeist der frühen 80er Jahre, aus dem die auf dieser CD versammelten Musikstücke hervorgingen.
Various Artists: »JD TWITCH präsentiert: Kreaturen der Nacht – Deutsche Postpunk-Subkultur 1980-1985« (Strut Records/Indigo)