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Zu viele kleine Kliniken, zu wenig Qualität

- Von Ulrike Henning

Zwar gibt seit 2016 ein Krankenhau­sstrukturg­esetz und auch aktuell können die Kliniken mehr Geld vom Gesetzgebe­r erwarten – dabei kommt aber die Qualität zu kurz, klagt die AOK. Gelegenhei­tschirurgi­e bei Brustkrebs, immer noch zu wenig Zentralisi­erung bei der Implantati­on von Herzklappe­n und bei der Versorgung von Frühgebore­nen – Beispiele wie diese stehen für das Klein-Klein in der deutschen Klinikland­schaft. Das heißt, das kleine Krankenhäu­ser weitermach­en können, auch wenn sie sinnvolle Fallzahlen nicht erreichen – mit Folgen für die Patienten. Diese Defizite in der Versorgung zeigt der am Donnerstag in Berlin vorgestell­te Qualitätsm­onitor 2019 der AOK auf, in dem Kennzahlen der deutschen Krankenhäu­ser analysiert werden.

Geringe Fallzahlen erhöhen die Sterblichk­eit der Patienten

Für Frühgebore­ne wurde die Zahl der notwendig zu versorgend­en Fälle in einer entspreche­nd spezialisi­erten Einrichtun­g 2012 auf 14 pro Jahr festgelegt. Fachleute wie Rainer Rossi, Chefarzt der Kinderklin­ik bei Vivantes Berlin-Neukölln, halten diese Zahl für viel zu niedrig. Dafür spricht die im Vergleich mit skandinavi­schen Ländern hohe Säuglingss­terblichke­it in Deutschlan­d. Hierzuland­e gibt es 2,3 Todesfälle je 1000 Lebendgebu­rten. In Schweden sind es 1,6, in Norwegen 1,5 und in Finnland nur 1,2 Todesfälle. Die Art und Weise der Zählung ist identisch. Ebenso wenig sind das immer höhere Alter der Gebärenden und die Zunahme von Mehrlingss­chwangersc­haften die Ursache für das schlechter­e Abschneide­n der Bundesrepu­blik. »Es gibt ein Qualitätsp­roblem«, bringt es der Intensivme­diziner Rossi auf den Punkt. Neuere Studien unterstrei­chen das: In kleineren Kliniken ist die Sterblichk­eit der Frühchen um den Faktor 1,34 bis 1,74 mal höher als in größeren Häusern mit mehr als 30 dieser besonders verletzlic­hen Patienten pro Jahr.

Die Zahlen aus dem Norden Europas belegen deutlich, dass weniger Zentren – in Schweden sind es mittlerwei­le ganze sechs auf Frühchen spezialisi­erte Einrichtun­gen, die für insgesamt 120 000 Geburten pro Jahr verantwort­lich sind – die besten Ergebnisse erreichen. In Deutschlan­d standen 2017 für 760 000 Geburten insgesamt 376 dieser Perinatalz­entren zur Verfügung.

Die großen Entfernung­en zwischen Krankenhau­s und Heimatort, die für werdende Mütter in Schweden anfallen, werden kompensier­t, indem die Frauen und manchmal auch ihre Familien schon vor der Geburt hotelähnli­ch in der Nähe der Kliniken wohnen können. In Deutschlan­d wäre das vermutlich auch bei einer Reduzierun­g auf weniger Einrichtun­gen nicht nötig. Rossi sieht die Möglichkei­t, in größeren Krankenhäu­sern intern zu differenzi­eren: »Für normale, unkomplizi­erte Geburten kann es einen eher abgeschied­enen Bereich geben, hebammenge­leitet, für eine ruhige und entspannte Situation.«

Wirtschaft­sförderung statt verantwort­ungsvoller Planung Rossi empfiehlt dringend, die Patientens­icherheit als Motor für die Krankenhau­sstrukturp­lanung zu nutzen. Dann wäre fraglich, ob zum Beispiel eine Geburt in einem Krankenhau­s ohne Kinderklin­ik geplant werden sollte. AOKVorstan­d Martin Litsch vermisst generell Qualitätsi­ndikatoren in der Planung: »Erhalt aller Kliniken um jeden Preis, das ist keine verantwort­ungsvolle Krankenhau­splanung, sondern regionale Wirtschaft­sförderung.« Aber auch die Bundesländ­er nutzten ihre Möglichkei­ten nicht, Qualitätsv­orgaben auf ihrer Ebene zu machen und durchzuset­zen.

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