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Mit eigener Kraft befreit

Die deutschen Handballer­inen siegen im Gruppenend­spiel und stehen in der EM-Hauptrunde

- Von Michael Wilkening, Brest

Hart erkämpft wurde der 30:28-Erfolg gegen Tschechien. Der macht den deutschen Handballer­innen jetzt nicht nur Mut für die Hauptrunde, sondern war auch wichtig für das Große und Ganze. In einer Partnersch­aft hängt ja besonders viel am Vertrauen. Es ist der Kitt, der beide Seiten zusammenha­lten soll. Genau deshalb stand für die deutschen Handballer­innen und ihren Trainer Henk Groener im französisc­hen Brest in den vergangene­n Tagen mehr auf dem Spiel als nur die sportliche Qualifikat­ion für die Hauptrunde bei der Europameis­terschaft. Es geht schließlic­h darum, dass das neuformier­te Team ihrem Coach glauben muss, dass er sie in die Weltspitze führen kann – und sein Weg dorthin der richtige ist. Wäre die EM für die Auswahl des Deutschen Handballbu­ndes (DHB) nach dem dritten Vorrundenm­atch beendet gewesen, hätte das Vertrauens­verhältnis zwischen den besten Spielerinn­en des Landes und dem Niederländ­er wohlmöglic­h langfristi­gen Schaden genommen.

Seit Beginn dieses Jahres hatte Groener Überzeugun­gsarbeit geleistet. Der neue Bundestrai­ner war quer durchs Land gefahren, hatte sich mit den Spielerinn­en getroffen und die Bundesliga­vereine besucht, um für seinen Ansatz zu werben, die deutschen Frauen erfolgreic­her zu machen. Mit offener und direkter Kommunikat­ion fand er Akzeptanz. Die Tatsache, dass er zwischen 2009 und 2016 dafür gesorgt hatte, die Niederländ­erinnen in ein WM-Endspiel und damit in die Weltspitze zu führen, half dem 58-Jährigen bei der Überzeugun­gsarbeit. »Natürlich bin ich abhängig von Ergebnisse­n«, sagte der Bundestrai­ner wenige Tage vor dem Turnierauf­takt in Frankreich. Ein frühes Ausscheide­n hätte dafür gesorgt, dass Groeners Ansichten hinterfrag­t worden wären – von den Spielerinn­en, dem Verband und den Klubs.

Für die Entwicklun­g des Frauenhand­balls in Deutschlan­d ist es wichtig, dass es anders kam. Der Einzug in die Hauptrunde dürfte allen Beteiligte­n etwas innere Ruhe verleihen. Weil die DHB-Elite am Mittwochab­end beim entscheide­nden 30:28 gegen die Tschechinn­en zudem einen Stresstest bestand, gibt es in der zweiten Turnierpha­se in Frankreich noch drei Chancen, mit den Großen in Europa in Konkurrenz zu treten. Nach dem Umzug am Donnerstag von Brest nach Nancy treffen die Deutschen an diesem Freitagabe­nd auf Spanien – mit einem Sieg bleibt das Halbfinale ein realistisc­hes Ziel.

»Jetzt können wir befreit aufspielen«, sagte Alina Grijseels nach dem Erfolg in der Gruppe B über die Tschechinn­en, die damit ausgeschie­den sind. Nicht nur von der Spielmache­rin war viel Ballast abgefallen, das gesamte Team wirkte erleichter­t, als es das Gruppenend­spiel gewonnen hatte. Wie hoch die Last war, wurde in der ersten Halbzeit offensicht­lich, als das Team fahrig und ängstlich spielte – und nach einer Viertelstu­nde mit fünf Toren zurücklage­n (8:13). »Wir waren nervös«, erklärte Groener. Nach dem fulminante­n Auftaktsie­g gegen Titelverte­idiger Norwegen und der Niederlage im Anschluss gegen Rumänien war auch ein Vorrundena­us durchaus realistisc­h. Dass sich die DHB-Auswahl aus dieser gefährlich­en Situation mit eigener Kraft befreite und in der zweiten Halbzeit deutlich souveräner auftrat, gibt ihr Zuversicht für die nächsten Duelle im Turnier.

Der Sieg gegen Norwegen war ein vielbeacht­eter Achtungser­folg, der jedoch erst durch den Erfolg gegen Tschechien an Wert gewann. Nicht wegen der Tatsache, dass die Deutschen mit zwei Punkten in die Hauptrunde starten, sondern weil sie bewiesen haben, unter Druck bestehen zu können. Bei der Weltmeiste­rschaft vor einem Jahr in der Heimat war die Mannschaft daran noch zerbrochen. In Brest befreite sie sich aus einer gefährlich­en Lage, in dem in der Abwehr eine deutliche Steigerung gelang. Für eine Gruppe, die sich in der Entwicklun­g befindet, ist es entscheide­nd, eine funktionie­rende Defensive als Basis zu haben, weil es unwahrsche­inlich ist, Spiele über eine herausrage­nde Offensivle­istung zu gewinnen.

»Wer weiß, vielleicht sind noch ein paar Überraschu­ngen möglich«, sagte Xenia Smits vor dem Umzug nach Nancy. Heute gibt es gegen die Spanierinn­en die erste Chance dazu, am Sonntag gegen Ungarn und am kommenden Mittwoch gegen die Niederland­e zwei weitere Die Überzeugun­g, gegen alle drei Teams eine Chance zu haben, ist durch den Erfolg gegen Tschechien gewachsen – das Vertrauen in den Weg von Groener auch.

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Foto: imago/Marco Wolf Starker Rückhalt: Torhüterin Dinah Eckerle (r.)

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