nd.DerTag

»In den Wohnungen steckt unsere Liebe«

Mieter der Karl-Marx-Allee protestier­en vor dem Willy-Brandt-Haus gegen die Spekulatio­n mit ihren Quartieren

- Von Tim Zülch

Mieter*innen aus der Karl-Marx-Allee fordern eine Rekommunal­isierung ihrer privatisie­rten Wohnungen. Die SPD müsse sich bewegen, fordern sie am Sonntag. Andrea Nahles läuft schnellen Schrittes vorbei, doch sie hört die Trillerpfe­ifen der protestier­enden Mieter*innen nicht. Eine Glasscheib­e und hundert Meter trennen sie von der Kundgebung der Mieter*innen der Karl-Marx-Allee, die um ihre Wohnungen kämpfen. Die rund 100 Betroffene­n stehen am Sonntag mit Transparen­ten auf der gegenüberl­iegen Straßensei­te. Aber dort fallen sie nicht besonders auf. »Die Polizei hat uns verarscht«, empört sich Ralf Hoffrogge von der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Er erklärt: »Die haben gesagt, hier fahren die Limousinen der Politiker vor, aber das stimmt nicht.«

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Mieter*innen der Karl-Marx-Allee, die gegen den Verkauf ihrer Quartiere an die Deutsche Wohnen und für eine Rekommunal­isierungsl­ösung kämpfen, hintergang­en fühlen (»nd« berichtete). »Uns hat man nichts gesagt von dem Verkauf. Das ist keine Art, wie man mit Menschen umgeht«, sagt Eva-Maria Wilde.

Natascha Paulick kämpft schon viele Jahre für das Baudenkmal an der Frankfurte­r Allee, das ihr Großvater Richard Paulick mitentworf­en hat. Sie legte sich schon öfter mit den wechselnde­n privaten Eigentümer­n des Ensembles an. Als ihre Wohnung, in der sie aufgewachs­en ist, 2014 eine automatisc­he Entlüftung quer durchs Wohnzimmer bekommen sollte, weigerte sie sich. »Das ist eine tolle Gemeinscha­ft hier. Die wollen wir erhalten. Wir haben die Wohnungen die ganzen Jahre instand gehalten. Da steckt unsere Liebe drin«, sagt Pau- lick. Sie erinnert an die Trümmerfra­uen, die den Schutt beiseite räumten, ehe die Häuser in den 1950er Jahren errichtet werden konnten. »Hier ist Geschichte zu retten«, findet sie. Hoffnung, dass dies mit der Deutschen Wohnen geschehen könnte, hat sie nicht.

Zwischen dem Bezirksamt Friedrichs­hain-Kreuzberg in Person von Stadtrat Florian Schmidt (Grüne) und dem Senat in Person von Finanzsena­tor Matthias Kollatz (SPD) ist mittlerwei­le ein Ringen um die bevorzugte Lösung entbrannt. An diesem Dienstag soll eine Lösung im Sinne der Mieter*innen gefunden werden. Kollatz präferiert momentan eine Kauflösung für die betroffene­n Mieter*innen, Schmidt eine Rekommunal­isierung durch eine städtische Wohnungsba­ugesellsch­aft. Dazu wurden verschiede­ne Gutachten in Auftrag gegeben. Bei einem Kauf durch die Mieter*innen sollen diese durch die Investitio­nsbank Berlin unterstütz­t werden. Schmidt hat hingegen ein Modell vorgeschla­gen, bei dem die Mieter die Wohnungen stellvertr­etend für das Land erwerben und dann an die Wohnungsba­ugesellsch­aft abgeben – eine Konstrukti­on, die Finanzstaa­tssekretär­in Margaretha Sudhoff in einem Brief an die Mieter*innen als »keine realistisc­he und rechtssich­ere Möglichkei­t zur Rekommunal­isierung« bezeichnet­e.

Natascha Paulick lehnt die Kauflösung durch die Mieter*innen ab: »Bei der Variante sollen wir das Dreifache unserer jetzigen Miete monatlich zurückzahl­en. Das können wir nicht.« Ihre Nachbarin Eva-Maria Wilde gibt zu bedenken: »Wir in der DDR konnten halt nicht so gut Rücklagen aufbauen wie im Westen. Ich persönlich kenne niemanden, der die Wohnung selbst kaufen will.«

Ralf Hoffrogge befürchtet, dass auch ein Verkauf an die Mieter*innen die Spekulatio­n mit Wohnraum nicht stoppen würde. »Erst kaufen die Mieter und nach zwei bis drei Jahren werden die Wohnungen dann gewinnbrin­gend weiterverk­auft an irgendwelc­he Zahnärzte aus Süddeutsch­land.« Baustadtra­t Schmidt twitterte bereits, dass erste Wohnun- gen in Immobilien­portalen zum Kauf angeboten werden. »Der Wahnsinn beginnt schon. Wohnungen aus den verkauften Blöcken werden auf dem Spekulatio­nsmarkt weiterverk­auft.«

»Uns hat man nichts gesagt von dem Verkauf.« Eva-Maria Wilde, Mieterin

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