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Gritty gegen rechts

Die Internet-Linke hat ein neues Maskottche­n: Gritty – antifaschi­stisch, nonbinär, kompromiss­los

- Von linker Gegenkultu­r: Gritty, das Eishockeym­askottchen.

Weltweit finden auf der Straße Proteste gegen rechte Gruppierun­gen, Bürgerwehr­en und Neonazis statt – in Chemnitz oder Budapest, gegen Bolsonaro in Rio de Janeiro und São Paulo oder gegen die völkischen Proud Boys in Portland. Auch online werden diese Auseinande­rsetzungen geführt: Bei den USPräsiden­tschaftswa­hlen 2016 kam es zu den sogenannte­n Meme Wars zwischen den Anhänger*innen von Präsidents­chaftskand­idat*innen wie Trump, Clinton und Sanders.

Was von den sogenannte­n Meme Wars nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n geblieben ist: das Meme Pepe the Frog als Symbol der US-amerikanis­chen Alt-Right und von Antifemini­st*innen und Rassist*innen weltweit. Die Figur des Froschs ist eigentlich ein harmloser Cartooncha­rakter. Nur wurde er während des Wahlkampfs und danach so konsequent für menschenfe­indliche Hetze missbrauch­t, dass er mittlerwei­le als Hasssymbol gilt.

Was man für irrelevant­e Bildchen im Internet halten mag, kann einen großen Einfluss auf Gefühle der Gruppenzug­ehörigkeit, aber auch auf die Verbreitun­g politische­r Inhalte haben. Memes sind Internetph­änomene, die sich viral verbreiten – das kann ein Bild, ein Video oder ein Kurztext sein. Der Humor ist meist plakativ und funktionie­rt auf der Ebene des Insiderwit­zes: Elemente werden als Zitate aus ihrem ursprüngli­chen Zusammenha­ng gerissen und immer wieder neu kombiniert. Das Weiterschi­cken oder Taggen von Memes ist mittlerwei­le eine eigene Art der Kommunikat­ion geworden. Verhandelt­en diese anfangs eher süße Katzen und das Alltäglich­e – Familienle­ben, Freundscha­ften, Beziehunge­n, Schul- oder Ar- beitsleben – sind Memes im Laufe der Zeit immer selbstrefe­renzieller und absurder geworden, so wie auch die Welt um uns herum. Zudem änderte sich auch der Ton auf den gängigen Meme-Portalen – irgendwann wimmelte es nur noch vor rechten, rassistisc­hen und antifemini­stischen Trollen.

Nun allerdings haben Pepe und Co. einen Gegenspiel­er: Gritty. Das ist eigentlich das neue Maskottche­n der US-Eishockey-Mannschaft »Philadelph­ia Flyers«. Mit seinem manischen Grinsen, den irren Kullerauge­n und dem orangefarb­enen Fell sieht er aus, als sei er wegen kolossalen LSD-Konsums aus der Sesamstraß­e geflogen. Im September stellte das Team den gutmütig-gruseligen Gritty der Öf- fentlichke­it vor, und damit nahm der orangefarb­ene Tornado seinen Lauf: Gritty ist auf etlichen linken MemeSeiten oder Protestsch­ildern gegen Trump zu Hause, wo er gegen Weihnachte­n, Faschismus und Konsumwahn angrinst – das Monster ist zu einem Symbol des antifaschi­stischen und antikapita­listischen Widerstand­s geworden. Sogar der Stadtrat von Philadelph­ia bezog sich in einer Erklärung zu Gritty auf dessen Markierung als »antifa« und als Sinnbild einer absurden Existenz im Kapitalism­us des 21. Jahrhunder­ts. Im Herbst noch schrieb die sozialisti­sche USZeitschr­ift »Jacobin« auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter, Gritty stamme aus der Arbeiterkl­asse (»Gritty is a worker«). Kurz vor Jah- reswechsel bezog sich auch die linke Zeitschrif­t »analyse & kritik« bei einem Spendenauf­ruf auf den »zauseligen Underdog«, der genau wie das Medium politische Bildungsar­beit gegen rechts mache: »Gritty ist ein sympathisc­her Chaot mit einer Vorliebe für Krawall – und viel Hass auf die Herrschend­en. Wer braucht nicht jemanden wie ihn als Freund und Beschützer?«

Die Laufbahn von Gritty erinnert an die des Babadook: Eigentlich eine Gruselfigu­r aus dem Horrorfilm »Der Babadook«, wurde das Monster mit dem Zylinder zur LGBTIQ-Ikone und schmückte unzählige Regenbogen­fahnen auf den Pride Parades. Gerade mit dem Verhasst- und Gefürchtet­sein des Babadooks konnten sich viele identifizi­eren. Auch Eishockeym­askottchen Gritty ist ein Monster und fällt aus vorbestimm­ten Stereotype­n von Sexualität oder Herkunft heraus. Das englische Wort »grit« steht für Schotter, Dreck, aber auch für entschloss­enen Mut. Das Meme symbolisie­rt Kompromiss­losigkeit, aber auch Haltung. Frei nach der moralische­n Positionie­rung »chaotic good« des Pen-&-Paper-Rollenspie­ls »Dungeons & Dragons«: jemand der lautstark und auch mal regelwidri­g für sich selbst, für Gerechtigk­eit und für jene einsteht, die es selbst nicht können.

Bei aller Online-Orakelei steht fest: Gritty ist ein Enforcer-Typ. Das sind jene Eishockeys­pieler, die sich vor allem durch Bodychecks, aggressive Aktionen oder provoziert­e Schlägerei­en auf dem Eis einen Namen machen – Gritty steht für das Gefühl, die Schnauze gehörig voll von den akuten Missstände­n der Gesellscha­ft zu haben. Und wird so zu einem vereinende­n Bezugspunk­t vieler Linker im Kampf gegen rechten Terror. Wenn man in Chemnitz, Amberg, BerlinBrit­z oder Bottrop nachts auf der Straße unterwegs ist, hätte man gern jemanden wie Gritty an der Seite.

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Abb.: Twitter
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Foto: Twitter True Gritty: Pepe der Frosch hat einen orangefarb­enen Widersache­r.

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