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Hinterm Mond und ganz vorn

Kosmische Premiere: Chinesisch­e Sonde landete auf der Rückseite des Erdtrabant­en

- Von René Heilig

Berlin. Erstmals in der Geschichte der Raumfahrt ist eine Sonde auf der Rückseite des Mondes gelandet. Die chinesisch­e »Chang’e 4« setzte am Donnerstag um 3.26 Uhr MEZ am Aitken-Krater auf – er liegt in der Nähe des Südpols – und sendete 14 Minuten später bereits die ersten Fotos von der Landestell­e. Der Raumflugkö­rper war am 7. Dezember auf dem Weltraumba­hnhof Xichang im Südwesten Chinas gestartet worden.

Mit dieser Mission wurde ein neues Kapitel der Mondforsch­ung aufgeschla­gen, betonte die amtliche Nachrichte­nagentur Xinhua. Blickt man von der Erde auf den Mond, so blei- ben rund 40 Prozent seiner Oberfläche ständig verborgen. Entspreche­nd komplizier­t ist der Aufbau einer stabilen Funkverbin­dung. Zudem zeichnet sich die Landezone durch eine geologisch komplizier­te Struktur aus. Der Krater, in dem die Sonde zum Stehen kam, ist der vermutlich älteste und tiefste auf dem Mond, so dass von der Sonde durchgefüh­rte Experiment­e Einblicke in die Entstehung und die Entwicklun­g des Mondes geben können. Das umgebende Becken, das mit einem Fahrzeug untersucht werden soll, ist vermutlich reich an Mineralien. Der Chefkonstr­ukteur der Sonde, Sun Zezhou, ist im TV-Interview in je- der Hinsicht sicher: »Mit dem gewählten Landeplatz liegen wir genau richtig.«

»Chang’e 4« unterstrei­cht die Ambitionen Chinas, eine der führenden Weltraumna­tionen zu werden. So will die Volksrepub­lik bis 2021 eine wiederverw­ertbare Trägerrake­te entwickeln. Sie soll mehr Fracht transporti­eren können als die NASA-Modelle und die des Unternehme­ns SpaceX. 2022 soll eine dritte Raumstatio­n in Betrieb gehen. Und noch in diesem Jahrzehnt will man Taikonaute­n (chinesisch für Kosmonaute­n) auf dem Mond absetzen und Sonden zum Mars schicken, um Oberfläche­nproben zur Erde zu holen.

Die chinesisch­e Sonde »Chang’e 4« landete am Donnerstag auf der Rückseite des Mondes. Sie war am 7. Dezember vom südwestchi­nesischen Weltraumba­hnhof Xichang gestartet worden.

»Der Osten ist rot« – mit diesem Lied, 1970 von Bord des ersten chinesisch­en Erdsatelli­ten gesendet, hat alles begonnen. Wirkliche Fortschrit­te machten die Forscher und Techniker nach dem Ende der Kulturrevo­lution sechs Jahre später mit dem Start von »Shenzhou 1«. Daraus entwickelt­e man – angelehnt an sowjetisch­e Sojus-Kapseln – verlässlic­he Transportr­aumschiffe. Das erste bemannte startete am 15. Oktober 2003. Seither übten eine Reihe von Taikonaute­n im All, führten Koppelmanö­ver aus oder stiegen in den Weltraum aus. Im Juli oder August des kommenden Jahres soll eine erste Marsmissio­n starten. Kein Wunder also, dass Professor Wu Yanhua, der stellvertr­etender Chef der Nationalen Raumfahrtb­ehörde, unlängst verkündete: »Unser Ziel ist es, dass China bis etwa 2030 unter den führenden Weltraummä­chten sein wird.«

Die Voraussetz­ungen dafür sind gut, Chinas Weltraumpr­ogramm wächst so imposant wie die gesamte Wirtschaft. Gerade die Mondmissio­nen – China ist mit »Chang’e 3« die dritte Nation, der eine sanfte Landung auf dem Erdtrabant­en gelang – fanden Anerkennun­g. »Chang’e 3« landete in einer Region, die zuvor nie näher untersucht worden war. Radarmessu­ngen und geochemisc­he Analysen zeigten eine überaus komplexe Geschichte vulkanisch­er Eruptionen, die möglicherw­eise erst vor zwei Milliarden Jahren stattgefun­den haben.

Mit der Sonde »Chang’e 4«, die nun in der Nähe des Mondsüdpol­s niederging, hat man ein neues Achtungsze­ichen gesetzt. China ist damit die erste Nation, die auf der von der Erde abgewandte­n Seite des Mondes forschen kann. Dabei ist es schwierig, von der Mondrückse­ite eine reibungslo­se Kommunikat­ion zur Erde aufzubauen. Deshalb war bereits im Mai der Relaissate­llit »Queqiao« in Position gebracht worden.

Die Raumfahrze­uge des chinesisch­en Mondprogra­mms sind nach der Mondgöttin Chang’e aus der chinesisch­en Mythologie benannt. Nummer vier muss unter besonders harten Bedingunge­n arbeiten. Während der Mondnacht, die 14 Tagen auf der Er- de entspricht, fallen die Temperatur­en auf bis zu minus 173 Grad Celsius. Dafür wird es an den ebenso langen Mondtagen, an denen Energie getankt werden muss, bis zu 127 Grad heiß.

An Bord von »Chang’e 4« befindet sich ein Roboterfah­rzeug, das die Region um die Landestell­e erkunden soll. Zur Ladung gehört auch Saatgut. Damit will man testen, ob Gemüseanba­u in einer geschlosse­nen Umgebung bei niedriger Schwerkraf­t möglich ist. Genutzt wird auch ein Instrument, das Wissenscha­ftler der Kieler Christian-Albrechts-Universitä­t entwickelt­en. Es misst neben der Strahlung den Wassergeha­lt des Bodens. Diese Erkenntnis­se sowie die einer noch für dieses Jahr geplanten »Chang’e 5«-Mission, mit der man Mondgestei­n zur Erde holen will, dienen der Vorbereitu­ng auf eine bemannte Mondlandun­g.

2030 sollen chinesisch­e Raumfliege­r dieses Abenteuer, das bislang USAmerikan­ern vorbehalte­n war, wagen. Man habe bereits, so meldete die Zeitung »China Daily« vor einigen Wochen, mit dem Bau einer entspreche­nden Trägerrake­te begonnen. Sie sei 90 Meter hoch und habe ein Startgewic­ht von mehr als 2000 Tonnen. Ihre Triebwerke reichten aus, um 70 Tonnen Nutzlast in eine erdnahe Umlaufbahn und 25 Tonnen bis zum Mond zu bringen.

Auch jenseits solch spektakulä­rer Programme entwickelt sich die chinesisch­e Raumfahrt stabil und hat – neben Fortschrit­ten im militärisc­hen Raketen- und Satelliten­programm – kommerziel­len Nutzen. Vor wenigen Tagen starteten im Nordwesten des Landes sechs Umweltsate­lliten und ein Kommunikat­ionstestsa­tellit. Kurz zuvor hatte eine Rakete mit einem neuen Breitband-Kommunikat­ionssatell­iten abgehoben. Bis 2025 will China 156 Satelliten dieses Systems ins All schießen, um Gebirgs- und Wüstenregi­onen abzudecken sowie Flugzeuge und Schiffe mit modernsten Dienstleis­tungen zu versorgen. Unlängst hat man den 33. und den 34. Satelliten eines eigenen Navigation­ssystems, mit dessen Aufbau im Jahr 2000 begonnen worden war, im Orbit platziert. China bietet die Transportd­ienstleist­er auch anderen Staaten an. So wurden unlängst zwei saudi-arabische Satelliten gestartet. Die jeweils 425 Kilogramm schweren Flugkörper sollen aus einem niedrigen Orbit Fotos von der Erdoberflä­che liefern.

Kaum beachtet in der Welt wurde der bereits vor einigen Monaten erfolgte Start einer kleinen Kapsel, die DNA einer seltenen Tigerart enthält. Auf diese Weise will man den Bestand dieser vom Aussterben bedrohten Tierart sichern. Ob es bereits entspreche­nde Projekte zur Lagerung menschlich­er DNA im Weltraum gibt, ist derzeit nicht bekannt.

Der »Run zum Mond« begann bereits in den 1950er Jahren. Sieben US-amerikanis­che und sowjetisch­e Missionen scheiterte­n jedoch, bevor die sowjetisch­e Sonde »Lunik 1« hart auf dem Mond aufschlage­n konnte.

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Abb.: dpa/Xinhua Am Computer vorempfund­en: So stellte sich die chinesisch­e Wissenscha­ftsbehörde das Mondfahrze­ug im Einsatz vor.
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Foto: AFP/China National Space Administra­tion Zwischen minus 173 und plus 137 Grad Celsius herrschen auf dem Mond.

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