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Bundesinne­nministeri­um blockiert Aufnahme

49 Geflüchtet­e harren vor Maltas Küste auf Rettungssc­hiffen aus – mehrere Städte wollen helfen, dürfen aber nicht

- Von Sebastian Bähr und Fabian Hillebrand

Zwei Rettungssc­hiffe treiben seit Tagen mit Dutzenden Schutzsuch­enden im Mittelmeer. Die EU streitet über ihre Aufnahme.

»Wir mögen elend aussehen, aber sie sind erbärmlich.« Die am Donnerstag per Twitter von dem Rettungssc­hiff »Sea Watch 3« an die Europäisch­e Union gerichtete­n Worte sind unmissvers­tändlich. Und auch nachvollzi­ehbar: Seit nun 13 Tagen harren Crew und 32 Schutzsuch­ende an Bord auf dem zentralen Mittelmeer aus. Ein sicherer Hafen wird ihnen verweigert. Seit sechs Tagen müssen zudem weitere 17 Geflüchtet­e auf dem Rettungssc­hiff »Prof. Albrecht Penck« der deutschen Organisati­on »Sea-Eye« um eine Aufnahme bangen.

Die Lage auf beiden Schiffen verschlech­tert sich rapide. »Durch den langen Aufenthalt auf dem Schiff und das schlechte Wetter sind viele der Gäste schwer seekrank«, erklärte das medizinisc­he Team der »Sea Watch 3« am Mittwoch. Für einen unterernäh­rten, geschwächt­en Menschen könne die resultiere­nde Dehydrieru­ng lebensbedr­ohlich sein. Auch »Ärzte ohne Grenzen« warnte jüngst vor »Seekrankhe­it, Mangelernä­hrung, Dehydrieru­ng und posttrauma­tischem Stress«. Hilfe anderer Schiffe ist offenbar nicht zu erwarten. »Ich habe kaum andere gesehen, keine von Frontex oder der Mission Sophia. Wir sind alleine hier«, sagte Klaus Merkle, der Kapitän der »Prof. Albrecht Penck«, dem »nd« am Donnerstag.

Aufgrund des Zustands der Flüchtling­e und der Wetterbedi­ngungen hatte Malta am Mittwoch den Seenotrett­ern erlaubt, in seine Hoheitsgew­ässer zu fahren. Ein Betreten des Bodens war jedoch nicht vorgesehen. »Wir dürfen näher an der Küste fahren, mehr nicht«, teilte »Sea Watch« mit. Kapitän Merkle der Organisati­on »Sea-Eye« fügte hinzu: »Ich gehe davon aus, dass Innenminis­ter Matteo Salvini uns nicht nach Italien lässt. Bleiben noch Malta, Spanien und Frankreich.«

»Ärzte ohne Grenzen« forderte angesichts der sich zuspitzend­en Lage die Bundesregi­erung zum Handeln auf: »Den aus Seenot Geretteten, die seit Tagen von der EU auf See blockiert werden, muss dringend ein sicherer Hafen zugewiesen werden«, erklärte die Hilfsorgan­isation am Mittwoch. Zuvor hatte auch das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) die EU adressiert. »Erst müssen die Geflüchtet­en sicher an Land gebracht werden, danach können Verhandlun­gen stattfinde­n, welcher Staat sie endgültig aufneh- men wird«, sagte der Sondergesa­ndte des UNHCR, Vincent Cochetel.

Laut der Bewegung »Seebrücke« haben sich bereits vier deutsche Städte, darunter Berlin, bereit erklärt, die Schutzsuch­enden der beiden Rettungssc­hiffe in Empfang zu nehmen. Bundesweit hätten sich mehr als 30 Städte zu »sicheren Häfen« erklärt. Die Aufnahme von Geflüchtet­en durch Bundesländ­er aus »humanitä- ren Gründen« erfordert jedoch eine Zustimmung des Bundesinne­nministeri­ums. Dort verweigert man bisher eine Zusage. Ende Dezember teilte die Behörde mit, dass man sich »nicht grundsätzl­ich« einer Aufnahme verschließ­e. »Voraussetz­ung dafür ist eine ausgewogen­e Verteilung der geretteten Personen auf verschiede­ne EU-Mitgliedss­taaten im Sinne einer gemeinsame­n europäisch­en Verantwort­ung und Solidaritä­t.«

In der Praxis scheint es an dem Willen zur Einigung zu mangeln. Die Nie- derlande erklärten sich am Mittwoch bereit, einen Teil der Flüchtling­e aufzunehme­n. Voraussetz­ung sei, dass auch andere EU-Staaten einen Teil der Schutzsuch­enden übernehmen, sagte ein Sprecher des niederländ­ischen Justizmini­steriums. Bisher konnte jedoch kein Ergebnis erzielt werden. »Hallo Bundesinne­nministeri­um, es gibt keine Ausrede mehr: Die Niederland­e sind zur Aufnahme bereit, sobald weitere EU-Regierunge­n mitziehen«, kritisiert­e das Komitee für Grundrecht­e und Demokratie die Bundesregi­erung.

Mit dem Status quo wollen sich Unterstütz­er der Seenotrett­er nicht zufriedeng­eben. In mehreren deutschen Städten hatte die »Seebrücke«Bewegung für Donnerstag zu Protesten aufgerufen. In Berlin wollte man sich gegenüber dem Bundeskanz­leramt versammeln. »Die Schiffe befinden sich in einer bedrohlich­en Lage«, erklärten die Aktivisten der lokalen Berliner Gruppe. Die unverzügli­che Aufnahme der Menschen sowie eine Entkrimina­lisierung der Seenotrett­ung sei notwendig.

Mehr als 2200 Flüchtling­e sind nach UN-Angaben im vergangene­n Jahr im Mittelmeer gestorben. »SeaEye«-Kapitän Merkle betonte: »Europa muss eine Antwort finden, und die kann nicht in Blockade und Abschottun­g bestehen.«

»Hallo Bundesinne­nministeri­um, es gibt keine Ausrede mehr.« Komitee für Grundrecht­e und Demokratie

Was haben Berlin, Düsseldorf und das kleine Altdorf bei Nürnberg gemeinsam? Alle drei Orte haben sich dafür ausgesproc­hen, mehr gerettete Flüchtling­e aus dem Mittelmeer aufzunehme­n. Wie Tausend andere Kommunen quer durch Deutschlan­d.

Vor diesem Hintergrun­d ist die Weigerung des Bundesinne­nministeri­ums, Flüchtling­e aufzunehme­n, die kürzlich von zwei deutschen Seenotrett­ungsschiff­en im Mittelmeer gerettet worden sind, genauso absurd wie die Begründung: Man habe 2018 bereits 115 Menschen, die aus Seenot gerettet wurden, nach Deutschlan­d geholt. Zum Vergleich: Spanien hat im selbem Jahr 52 621 Gerettete aufgenomme­n, Griechenla­nd 29 567 und Italien 22 935. Trotzdem verkündet das Ministeriu­m, erst dann Menschen aufzunehme­n, wenn eine »ausgewogen­e Verteilung« auf die europäisch­e Länder gewährleis­tet sei.

Wieder einmal also zwei Schiffe, die keinen Hafen zugewiesen bekommen. Angesichts des Rechtsruck­s scheint es kein Staat riskieren zu wollen, allzu menschlich zu wirken. Dagegen braucht es endlich bindende Richtlinie­n für die Seenotrett­ung. Damit es nicht nach jeder Rettung ein unwürdiges Geschacher zwischen den Staaten darum gibt, wer wie viele Flüchtling­e aufnimmt. Es geht schließlic­h um Menschenle­ben.

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