Ärmelkanal wird zur Falle für Migranten
Mehr Menschen riskieren Überfahrt nach England
Mehr Überwachung und Kontrollen machen das Anhängen an Lkw für die Fahrt durch den Eurotunnel unmöglich. Großbritannien verlegt Marineschiffe in die Meerenge zum Festland.
Nicht nur im Mittelmeer riskieren Migranten in Schlauchbooten und anderen ungeeigneten Fluchtfahrzeugen ihr Leben, sondern auch im Ärmelkanal zwischen Calais und Dover. Seit Wochen nimmt die Zahl derer, die so die letzten 33 Kilometer auf dem Weg nach Großbritannien überwinden wollen, sprunghaft zu. Der Grund ist offensichtlich die personell verstärkte und technisch perfektionierte Kontrolle der Lkw, die die Fähren oder die Bahn durch den Eurotunnel nehmen und mit denen bisher Flüchtlinge als »blinde Passagiere« mitzufahren versuchten.
Die Lage hat sich nach Ansicht der britischen Regierung »krisenhaft zugespitzt«. Daher wurden zwei Kriegsschiffe von einem Auslandseinsatz zurückgerufen, um ab sofort vor der britischen Kanalküste zusätzlich zu den hier eingesetzten zwei Küstenschutzbooten zu patrouillieren. »Nach unseren Erkenntnissen haben im vergangenen Jahr mindestens 539 ausländische Flüchtlinge versucht, unser Land auf diesem Weg zu erreichen«, sagte der britische Innenminister Sajid Javid, »davon 80 Prozent allein in den letzten drei Monaten«. Um die Weihnachtsfeiertage herum wurden mehr als 100 Flüchtlinge von der britischen Küstenwache aus Seenot gerettet. Dieser Fluchtweg über den Ärmelkanal ist wegen meist starkem Wind, hohem Wellengang und dem starken Schiffsverkehr besonders gefährlich. Jedes vierte Handelsschiff in der Welt nimmt regelmäßig seinen Weg durch die Meerenge zwischen Calais und Dover. Ihnen können die meist nur durch einen Außenbordmotor angetriebenen und entsprechend langsamen Schlauchboote nur schwer ausweichen. Zudem sind sie nachts unbeleuchtet und so für die Frachter nicht zu erkennen.
»Es grenzt an ein Wunder, dass es hier nicht schon mehr Tote gab«, meint Edouard P., ein Fischer aus Boulogne-sur-Mer. In seinem Heimathafen ist der Druck der Schlepper deutlich zu spüren. Mehrfach haben in den zurückliegenden Wochen Unbekannte nachts Fischkutter aufgebrochen und wegzufahren versucht. Die Kommunalpolizei will jetzt zur Kontrolle Videokameras installieren, und die britischen Behörden haben der Stadt dafür bereits eine finanzielle Beihilfe zugesagt. Xavier Bertrand, der Präsident des Regionalrates Haut de France, fordert gemeinsame Küstenschutzpatrouillen der französischen und der britischen Seepolizei. Er verweist auf die »zweideutige« Haltung der Regierung in London, die praktisch nichts gegen die Schwarzarbeit von sich illegal im Land aufhaltenden Personen unternimmt, wodurch die Migranten angelockt würden. Bezeichnenderweise sei auch noch nie einer der von der britischen Polizei festgenommenen Einwanderer nach Frankreich zurückgeschickt worden.