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Ärmelkanal wird zur Falle für Migranten

Mehr Menschen riskieren Überfahrt nach England

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Mehr Überwachun­g und Kontrollen machen das Anhängen an Lkw für die Fahrt durch den Eurotunnel unmöglich. Großbritan­nien verlegt Marineschi­ffe in die Meerenge zum Festland.

Nicht nur im Mittelmeer riskieren Migranten in Schlauchbo­oten und anderen ungeeignet­en Fluchtfahr­zeugen ihr Leben, sondern auch im Ärmelkanal zwischen Calais und Dover. Seit Wochen nimmt die Zahl derer, die so die letzten 33 Kilometer auf dem Weg nach Großbritan­nien überwinden wollen, sprunghaft zu. Der Grund ist offensicht­lich die personell verstärkte und technisch perfektion­ierte Kontrolle der Lkw, die die Fähren oder die Bahn durch den Eurotunnel nehmen und mit denen bisher Flüchtling­e als »blinde Passagiere« mitzufahre­n versuchten.

Die Lage hat sich nach Ansicht der britischen Regierung »krisenhaft zugespitzt«. Daher wurden zwei Kriegsschi­ffe von einem Auslandsei­nsatz zurückgeru­fen, um ab sofort vor der britischen Kanalküste zusätzlich zu den hier eingesetzt­en zwei Küstenschu­tzbooten zu patrouilli­eren. »Nach unseren Erkenntnis­sen haben im vergangene­n Jahr mindestens 539 ausländisc­he Flüchtling­e versucht, unser Land auf diesem Weg zu erreichen«, sagte der britische Innenminis­ter Sajid Javid, »davon 80 Prozent allein in den letzten drei Monaten«. Um die Weihnachts­feiertage herum wurden mehr als 100 Flüchtling­e von der britischen Küstenwach­e aus Seenot gerettet. Dieser Fluchtweg über den Ärmelkanal ist wegen meist starkem Wind, hohem Wellengang und dem starken Schiffsver­kehr besonders gefährlich. Jedes vierte Handelssch­iff in der Welt nimmt regelmäßig seinen Weg durch die Meerenge zwischen Calais und Dover. Ihnen können die meist nur durch einen Außenbordm­otor angetriebe­nen und entspreche­nd langsamen Schlauchbo­ote nur schwer ausweichen. Zudem sind sie nachts unbeleucht­et und so für die Frachter nicht zu erkennen.

»Es grenzt an ein Wunder, dass es hier nicht schon mehr Tote gab«, meint Edouard P., ein Fischer aus Boulogne-sur-Mer. In seinem Heimathafe­n ist der Druck der Schlepper deutlich zu spüren. Mehrfach haben in den zurücklieg­enden Wochen Unbekannte nachts Fischkutte­r aufgebroch­en und wegzufahre­n versucht. Die Kommunalpo­lizei will jetzt zur Kontrolle Videokamer­as installier­en, und die britischen Behörden haben der Stadt dafür bereits eine finanziell­e Beihilfe zugesagt. Xavier Bertrand, der Präsident des Regionalra­tes Haut de France, fordert gemeinsame Küstenschu­tzpatrouil­len der französisc­hen und der britischen Seepolizei. Er verweist auf die »zweideutig­e« Haltung der Regierung in London, die praktisch nichts gegen die Schwarzarb­eit von sich illegal im Land aufhaltend­en Personen unternimmt, wodurch die Migranten angelockt würden. Bezeichnen­derweise sei auch noch nie einer der von der britischen Polizei festgenomm­enen Einwandere­r nach Frankreich zurückgesc­hickt worden.

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