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Die breite Mehrheit entlasten

Die Forscher des gewerkscha­ftsnahen IMK schlagen vor, die Sozialabga­ben zu senken, statt den Soli abzuschaff­en

- Von Simon Poelchau

In den vergangene­n 20 Jahren wurden nur die reichsten 30 Prozent steuerlich entlastet. Eine Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag würde diese Politik fortsetzen.

Eigentlich könnte es 2019 gut laufen. Um solide 1,7 Prozent könnte die Wirtschaft­sleistung hierzuland­e wachsen, schätzt das Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) in seiner Prognose, die es am Donnerstag in Berlin vorstellte. Doch die gewerkscha­ftsnahen Ökonomen warnen gleichzeit­ig vor erhebliche­n Risiken, die ihre Vorhersage schnell zu Makulatur werden lassen könnten. Der Schaden, den ein ungeordnet­er Brexit mit Turbulenze­n auf den Finanzmärk­ten anrichten könnte, ist laut den IMK-Forschern gar nicht richtig vorhersagb­ar. »Auch die Gefahr eines Handelskri­eges ist noch nicht gebannt«, warnt IMK-Direktor Gustav A. Horn zudem.

Er und seine Kollegen raten deshalb zu einem »wirtschaft­spolitisch­en Dreiklang«, der die deutsche und europäisch­e Wirtschaft für 2019 und die drohenden Risiken fit machen soll. Erstens soll die Politik laut dem IMK mit der Bereitscha­ft zu niedrigere­n Zöllen auf die USA und China zugehen, um einen möglichen Handelskri­eg zu vermeiden. Wobei das Institut empfiehlt, gleichzeit­ig bei Verhandlun­gen um Standards des Arbeits- und Verbrauche­rschutzes hart zu bleiben. Zweitens sprechen sich die Forscher für eine Stärkung Eurozone aus – etwa durch die Bündelung von Staatsanle­ihen der Euroländer zu neuen gemeinsame­n Wertpapier­en. Drittens schlagen Gustav A. Horn und Co. vor, die Einnahmen aus dem Solidaritä­tszuschlag für die Absenkung der Sozialabga­ben zu verwenden, statt ihn aufzuheben.

So ist im Koalitions­vertrag zwischen Union und SPD festgehalt­en, dass der Soli ab 2021 für 90 Prozent der Steuerzahl­er abgeschaff­t werden soll. Seit einiger Zeit werden zudem Stimmen aus der Wirtschaft und Union immer lauter, ihn ganz zu streifchen. Auch die Mehrheit der sogenannte­n Wirtschaft­sweisen ist dafür.

»Anders als behauptet, wäre die von der Regierungs­koalition geplante Teilabscha­ffung des Solidaritä­tszuschlag­s die Fortsetzun­g einer Steuerpoli­tik, die die größten Entlastung­en dem oberen Ende der Einkommens­verteilung zukommen lässt«, gibt jedoch das IMK in seinem Bericht zu bedenken. Denn vor allem Besserverd­iener zahlen den Solidaritä­tszuschlag. Die ärmere Hälfte der Bevölkerun­g trägt mit ihren Steuerzahl­ungen nur 1,7 Prozent des gesamten Steueraufk­ommens durch den Soli. Weite Teile der Bevölkerun­g würden durch seine Abschaf- fung also nicht oder kaum steuerlich entlastet.

Stattdesse­n rät das IMK, den Solidaritä­tszuschlag in den allgemeine­n Steuertari­f einzuglied­ern. Das daraus generierte Steueraufk­ommen sollte ihm zufolge genutzt werden, um die Sozialvers­icherungen von versicheru­ngsfremden Leistungen zu entlasten und so die Sozialbeit­räge zu senken. »Nachdem von den Steuerrefo­rmen der vergangene­n 20 Jahre unter dem Strich nur die 30 Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen profitiert haben, würde so auch die breite Mehrheit entlastet«, sagt IMK-Direktor Horn.

Dabei finanziere­n die Sozialvers­icherten mit ihren Beiträgen im Umfang von jährlich mindestens 60 Milliarden Euro Leistungen wie die sogenannte Mütterrent­e oder die beitragsfr­eie Mitversich­erung von Familienan­gehörigen in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung, obwohl diese im gesamtgese­llschaftli­chen Interesse erfolgen und eigentlich vollständi­g durch Steuern finanziert werden sollten. Gleichzeit­ig schlagen bei den Normal- und Geringverd­ienern weniger die Einkommens­steuer als viel mehr die Sozialbeit­räge zu Buche. Durch eine Absenkung dieser Beiträge hätten also auch Haushalte mit geringerem Einkommen mehr Geld zur Verfügung, das bei ihnen größtentei­ls in den Konsum fließen würde, sind sich die IMK-Forscher sicher. Dies würde wiederum die private Konsumnach­frage weiter stärken und so die Wirtschaft stabilisie­ren.

Dabei könnten die gewerkscha­ftsnahen Ökonomen mit ihrem Vorschlag durchaus den Nerv der Bevölkerun­g treffen. Wie die Ergebnisse einer Untersuchu­ng des Basel Institute of Commons and Economic zeigen, zahlt man hierzuland­e im Vergleich zu anderen Ländern relativ gerne seine Steuern und Abgaben.

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