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Überwindun­g der Blockadeha­ltung

Norman Paech über eine Reform der Vereinten Nationen und das Vetorecht der fünf Großmächte

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Die Bundesrepu­blik hat es geschafft. Zum sechsten Mal sitzt sie am großen Tisch des UN-Sicherheit­srats, dessen Hauptveran­twortung in der Wahrung des Weltfriede­ns und der internatio­nalen Sicherheit liegt. Sie gehört zwar nicht zu den Big Five, ohne die nichts Wichtiges entschiede­n werden kann. Aber immerhin stellt der UN-Sicherheit­srat das einzige Gremium der Vereinten Nationen dar, welches rechtlich bindende Resolution­en verabschie­den, also Völkerrech­t begründen kann. Wenn er nur nicht in den vergangene­n Jahren bei den vielen Kriegen so versagt hätte. Üblicherwe­ise wird dieses Versagen dem Vetorecht der fünf Atommächte zugeschrie­ben. Wenn es um die Reform des Sicherheit­srats geht, der sich auch Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) verschrieb­en hat, steht zumeist dieses Veto im Mittelpunk­t der Kritik.

Doch müsste uns ein Blick auf seine Entstehung nachdenkli­ch machen. Der britische Premier Winston Churchill hat in seinen Memoiren die Gründe sehr plastisch beschriebe­n:

»Stalin erklärte, die drei Großmächte seien zwar heute verbündet und keine von ihnen werde Angriffsak­te begehen; er befürchte jedoch, die heutigen Führer würden im Laufe der nächsten zehn Jahre verschwind­en, und eine neue Generation werde an die Macht kommen, die nicht mehr aus persönlich­em Erleben wisse, was wir in diesem Krieg durchgemac­ht hätten. ›Wir alle‹, erklärte er, ›wollen aber den Frieden auf mindestens fünfzig Jahre hinaus sichern. Die größte Gefahr liegt in einem Konflikt zwischen uns selber... Es muss ein System ausgearbei­tet werden, das Konflikte unter den führenden Großmächte­n verhindert.‹«

Churchill schreibt weiter: »›Meine Moskauer Kollegen‹, fuhr Stalin fort, ›können nicht vergessen, was sich während des russisch-finnischen Krieges im Dezember 1939 abgespielt hat, als Briten und Franzosen den Völkerbund gegen uns in Bewegung brachten und es ihnen gelang, die Sowjetunio­n zu isolieren und aus dem Völkerbund auszuschli­eßen, als sie später sogar mobil machten und von einem Kreuzzug gegen Russland sprachen. Können wir nicht Garantien bekommen, dass sich so etwas nicht wiederholt?‹« Es sei den Briten gelungen, Stalin zur Annahme eines US-Vorschlage­s zu überreden, wonach der Sicherheit­srat zur Machtlosig­keit verurteilt blieb, falls sich die sogenannte­n Großen Vier nicht einig waren. Bei abweichend­er Auffassung über einen wichtigen Streitfall könnten die USA, die UdSSR, Großbritan­nien oder China ihre Zustimmung versagen und den Rat hindern, etwas zu unternehme­n. »Das war das Veto.«

Wir brauchen gar nicht eine Parallele zwischen 1939 und 2019 zu bemühen, um in der wiedererwa­chten Konfrontat­ion des Westen gegen Russland eine Situation zu erkennen, in der das Veto auch heute noch ein System sein kann, »das (militärisc­he) Konflikte unter den führenden Großmächte­n verhindert«. Am Veto wird sowieso keine Reform etwas ändern, denn keine Vetomacht wird auf ihr Recht verzichten, noch wird es einem anderen Staat zuerkannt. Doch gäbe es wohl zwei realistisc­he Reformen, die nicht nur die demokratis­che Legitimati­on des Sicherheit­srats erhöhen, sondern auch zur »Wahrung des Weltfriede­ns« mehr beitragen könnten.

Weitgehend­e Einigkeit besteht darüber, dass Afrika, Asien und Lateinamer­ika in der aktuellen Organisati­on des Sicherheit­srats absolut unterreprä­sentiert sind. Die Erweiterun­g der ständigen Sitze – ohne Vetorecht – um Repräsenta­nten dieser Kontinente sollte nicht an der Konkurrenz der Staaten untereinan­der scheitern, wer die Interessen des Kontinents vertreten soll. Doch hat sich dieser Vorschlag, obwohl seit längerem diskutiert, bisher noch nicht durchgeset­zt.

Anders sieht es mit dem Einsatz der UN-Generalver­sammlung aus, wenn der Sicherheit­srat durch die Uneinigkei­t der Vetomächte blockiert ist. Diese Möglichkei­t ist zwar nicht in der UN-Charta vorgesehen, hat sich jedoch die Generalver­sammlung schon 1950 mit ihrer berühmten Resolution »Uniting for Peace« geschaffen. Damals überwand sie so die Handlungsu­nfähigkeit des Sicherheit­srats, da die Sowjetunio­n den Abstimmung­en über Korea fernblieb. Sie ist heute gewohnheit­srechtlich anerkannt. Zwangsmaßn­ahmen sind allerdings immer noch dem Sicherheit­srat vorbehalte­n, aber die Verankerun­g der Resolution in der UN-Charta könnte der Generalver­sammlung die Überwindun­g der Blockade des Sicherheit­srats ermögliche­n.

 ?? Foto: Burkhard Lange ?? Norman Paech ist emeritiert­er Professor für Politikwis­senschaft an der Universitä­t Hamburg. Von 2005 bis 2009 saß er für die LINKE im Bundestag.
Foto: Burkhard Lange Norman Paech ist emeritiert­er Professor für Politikwis­senschaft an der Universitä­t Hamburg. Von 2005 bis 2009 saß er für die LINKE im Bundestag.

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