Der Riss geht mitten durch Welzow
In der Kleinstadt im Lausitzer Braunkohlerevier fürchten die einen um ihre Arbeitsplätze und die anderen um ihre Häuser
Die vom Bund eingesetzte Kohlekommission soll ein Ausstiegsdatum nennen. Auch für die Stadt Welzow hängt viel davon ab.
Der tägliche Weg zu seinem Arbeitsplatz ist für Stefan Gaebel holprig. Mit Kollegen sitzt er immer zu Schichtbeginn in einem Mannschaftstransportwagen, der über Sandhügel und durch tiefe Spurrillen steuert. Es ruckelt. Nach der Fahrt durch das unwegsame Gelände ohne Straßen ist er am Ziel: Der 36-Jährige befindet sich in rund 45 Metern Tiefe im Tagebau Welzow-Süd. Der Wind pfeift. Der Bagger ist 243 Meter lang und 63 Meter hoch. Die Schichtarbeiter wirken im Vergleich dazu winzig. Über Lautsprecher tönen Ansagen. Das immense Schaufelrad räumt Sand und Erde beiseite, um an die Braunkohle zu gelangen. Gaebel arbeitet auf dem Bagger an einer Verladestelle, wo die weggeschaufelte Erde auf ein Förderband fällt. Er fühlt sich wohl, seinen Job mag er. »Ich kann draußen arbeiten, und der Zusammenhalt hier ist sehr groß«, sagt er.
Die Stadt Welzow, in der Gaebel seit Kindheitstagen lebt, liegt in direkter Nachbarschaft. »Stadt am Tagebau« ist auf Schildern an den Ortseingängen zu lesen. Viele der rund 3500 Einwohner arbeiten in der Kohle. »Wir sind besonders von der Braunkohle geprägt«, sagt Bürgermeisterin Birgit Zuchold (SPD). Auch Handwerksbetriebe und Dienstleister seien auf die Aufträge der Lausitzer Energie AG (LEAG) angewiesen. Doch wegen des Klimaschutzes plant die Bundesrepublik den Kohleausstieg. Wann genau Schluss sein soll, ist aber noch offen. Eine Kommission arbeitet seit Monaten an Ideen, wie ein Strukturwandel in den Braunkohlerevieren im Rheinland, in der Lausitz und in Mitteldeutschland gelingen soll. Die Kommission hat zugleich die Aufgabe, ein Enddatum der Kohleverstromung zu nennen.
Der Revierplan der LEAG reicht eigentlich noch bis in die 2040er Jahre. Stefan Gaebel machte sich in den vergangenen Jahren immer wieder Sorgen, wenn die Braunkohle kritisiert wurde. Jetzt denkt er positiv. »Ich hoffe, dass es weitergeht«, sagt der 36-jährige Familienvater. Erst vor Monaten schloss er seine Ausbildung zum Aufbereitungsmechaniker ab und hofft, noch bis zur Rente bleiben zu können. »Bei den Kindern sehe ich das eher anders. Ich denke, die werden es nicht mehr erleben.«
1989 gab es im Lausitzer Revier noch fast 80 000 Beschäftigte. Innerhalb von zehn Jahren sank die Zahl auf unter 10 000. Viele mussten umschulen, neue Berufe erlernen oder waren arbeitslos. So etwas sitzt tief.
Wie groß die Kluft zwischen Gegnern und Befürwortern der Kohle in Deutschland ist, lässt sich auch in Welzow erleben. Denn im Ortsteil Proschim, einem eingemeindeten Dorf, bangen Einwohner um ihre Häuser. Wenn der angrenzende Tagebau einmal erweitert werden sollte, müsste das Dorf abgebaggert werden. Die LEAG will bis 2020 ent- scheiden, ob das geschehen soll. Im bestehenden Tagebau wird es voraussichtlich Mitte der 2030er Jahre keine Kohle mehr geben.
Bis zur Entscheidung hängt Proschim in der Luft. Martin Schröer will nicht weg von hier. Der 54-Jährige lebt seit 1995 mit seiner Familie in Proschim. Es ist ein sehr gepflegtes Grundstück. Im Innenhof stehen alte Bäume. Hier hat Schröer auch das Büro seiner Heizungs- und Sanitärfirma. Schröer blickt von seinem Wohnhaus auf ein weites Feld. Den Sonnenuntergang beobachtet er besonders gern. Im Hintergrund sind Windkrafträder zu sehen. Für Schröer ist es ein Unding, dass in Zeiten des Klimawandels noch Braunkohle gefördert wird. Er sei froh, dass der Kohleausstieg geplant wird, sagt Schröer. Er fordert dabei, dass die Kohlekumpel eine Perspektive bekommen. Ein Enddatum hält Schröer für wichtig. Auch für sich persönlich. »Die Unsicherheit würde aufhören.« Gerade erst habe die Familie in die Fassade des Hauses investiert. »Wenn der Bagger käme, wäre das weg.« Schröer glaubt inzwischen nicht mehr daran, dass Proschim noch umgesiedelt wird. »Die werden sich dagegen entscheiden«, denkt er. Für alle Fälle habe sich die Familie jedoch einen Plan B zurechtgelegt. Dann wollen die Eheleute aus der Gegend wegziehen. Wegen des Streits um die Kohle seien im Dorf auch »Freundschaften kaputt gegangen«, sagt Schröer. Manche Nachbarn sitzen quasi auf gepackten Koffern, weil sie sich eine Umsiedlung sogar wünschen.