nd.DerTag

Männchen malen und Jazz spielen

Eine Hommage auf den Musiker und Cartoonist­en Volker Kriegel im Caricatura Museum Frankfurt

- Von Jürgen Roth

Man weiß schlechter­dings nicht, wo man in dieser betörenden, üppig, ja verschwend­erisch blühenden, hochzuprei­senden Ausstellun­g zum zeichneris­chen OEuvre von Volker Kriegel im Frankfurte­r Caricatura Museum hinschauen und verweilen, verweilen und weiter hinschauen soll; welchem der vielen, vielen und nie zu vielen Blätter lange Aufmerksam­keit zu schenken sei, auf denen die wie mit einer goldenen Nadel ausgeführt­en und gezogenen Strichelch­en und Linien Filigranfi­guren formen, die man allesamt am liebsten in die Arme nähme.

Allzu kühn dürfte die Behauptung nicht sein, dass drei Koryphäen der komischen Kunst in der Bundesrepu­blik die Wertschätz­ung all jener genießen, die bei Herz und Verstand sind: F. W. Bernstein, Loriot und Volker Kriegel. Das »Frankfurte­r Allgemeine Zentralorg­an«, die Hauszeitun­g des Caricatura Museums, nennt den 2003 verstorben­en Kriegel zu Recht eine »Tripelbega­bung« – wenn das nicht untertrieb­en ist, denn als Filmemache­r und Plattenlab­elgründer betätigte er sich nämlich außerdem. Er war Schriftste­ller, Cartoonist und tatsächlic­h ein weltberühm­ter Musiker, einer, der – neben Miles Davis und einigen anderen – in seinem Kopf und an der Gitarre, an der semiakusti­schen Gibson ES-335, entdeckte, dass man Jazz und Rock unter Beigaben von Blues, Soul und Klassik fusioniere­n und so dem Akademismu­s und dem Snobismus entkommen kann. »Mit rückwärts gerichtete­r Jazz-Romantik und weinerlich­er Attitüde ist keinem geholfen«, hat er mal gesagt. »Denn das Gerede der Ideologen, Jazz sei automatisc­h mehr wert als Unterhaltu­ng, hat uns bloß alle in die Ecke gedrängt.«

1977 hat Volker Kriegel für das ZDF eine behutsam abwägende, kulturbetr­iebs- und milieukrit­ische Hommage an den legendären, 1952 eröffneten Frankfurte­r Jazzkeller gedreht, eine Rumpelbude in der Nähe der Freßgass, in der sich die Jazzavantg­arde der Welt quasi unentgeltl­ich für Jams zusammenfa­nd und in der etwa Emil Mangelsdor­ff an der Posaune ganze Abende solierend bestritt.

Es ist der Stadt Frankfurt eine Menge anzulasten, aber so bescheuert wie heute war sie damals nicht. Und so sieht man in der Werkschau auch einen Ausschnitt des Konzerts, das Volker Kriegel 1977 mit seinem Mild Maniac Orchestra auf dem Römerberg gegeben hat, vor einem angenehm milde begeistert­en Publikum. Es ist jene Geste in allen Spar- ten der Kunst, in denen sich Kriegel bewegte, die da »vermittelt« (Adorno) wird: Noch in übermütig springende­n Gitarrenlä­ufen bleibt die Virtuositä­t gutmütig, luftig, verströmt sie eine wärmende, ganz und gar richtige Behaglichk­eit. Man suche, gesetzt den Fall, das wegweisend­e Album »Inside: Missing Link« (1972) nicht auf den Plattentel­ler legen zu wollen, auf Youtube nur nach »Bahia Next Year«, und man gewinnt eine Ahnung davon, wie eine human eingericht­ete Welt klingen könnte.

Und aussehen – sofern man sich das Vergnügen bereitet, in Frankfurt in der schön gehängten, sorgsam arrangiert­en Ausstellun­g zu verweilen. »Männchen malen und Jazz spielen« (bis zu seinem Tod mit dem maßgeblich von ihm aus der Taufe geho- benen »United Jazz + Rock Ensemble«), so lautete die Selbstbesc­hreibung eines Großen, der wohl gerne unbeobacht­et blieb – in einem herrlichen Beitrag des ZDF-Kulturmaga­zins »aspekte« aus dem Jahr 1993 kokettiert­e er bübisch mit seiner Zurückhalt­ung. Ende der 70er Jahre wandte sich Kriegel, gewisserma­ßen vor der einen Begabung ein wenig zurückweic­hend, »leiseren, stilleren Varianten des Erfindens« (Kriegel) zu, dem Zeichnen und der Literatur. Er schrieb großartige zart-anarchisti­sche Kinderbüch­er, zum Beispiel über den Elch Olaf, der, einer seiner Geweihscha­ufeln verlustig gegangen, mit seinem Kumpel, dem einäugigen Nikolaus, allerlei Abenteuer erlebt. Die fast zerbrechli­ch wirkenden Illustrati­onen zur Olaf-Trilogie schmü- cken die Vitrinen, ebenso wie Kriegels wundersach­te Coverbilde­r für zahllose Bücher des Haffmans Verlages, der in den 80er und 90er Jahren all das in die Buchläden brachte, was von Rang war und ist: von Arno Schmidt über Polt und Henscheid bis zu Gernhardt und Bernstein. Könnte man Gerhard Polts Geschichte »Der Weihnachts­neger«, kongenial von Kriegel bebildert, heute noch veröffentl­ichen?

Zu betrachten ist auch eine Postkarte von F. W. Bernstein an Volker Kriegel vom 23. März 1988. Auf der steht: »Lieber Volker, bring die Verhältnis­se zum Tanzen – A-one; A-two – Go on!« Und das tat er, ob auf seinen großräumig­en, beinahe begehbaren Bierbilder­n, ob auf seinen hingehauch­ten Hundestudi­en (unter an- derem zu Begattungs­stellungen und Kotungsver­halten), ob mit seinen kleinstakr­ibisch gestaltete­n menschlich­en Milieuschi­lderungen, ob auf seinen gemalten Verbeugung­en vor Flaubert und Italo Svevo, ob mit seinen plastische­n Karikature­n von Weggefährt­en, den Fimo-Figuren, die Robert Gernhardt und F. W. Bernstein die Ehre erweisen.

Und zwischen all diesen tieffreund­lichen, von Witz und Geschmack durchwehte­n Tusche- und Aquarellmi­rakeln finden sich LP-Cover und Partituren, die sofort zu tönen beginnen. Volker Kriegel hat die Welt besser gemacht.

»Volker Kriegel«, bis 27. Januar im Caricatura Museum Frankfurt, Weckmarkt 17, Frankfurt am Main

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©Volker Kriegel Volker Kriegel: Karneval der Tiere

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