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Wozu denn noch den Blutdruck senken?

Das japanisch-bayerische Folk-Duo Coconami ist zurück: Auf seinem neuen Album geht es auch um Herpes und Sonnenbran­d

- Von Thomas Blum Coconami: »Saikai« (Trikont/Indigo)

Achim is a punk rocker, a punk rocker now«, sang das Münchner Folk-Duo Coconami an einem Tag im Frühjahr, während einigen der zahlreich erschienen­en Zuhörenden Tränen in den Augen standen. Es handelte sich bei dem dargeboten­en Lied um eine textlich nur geringfügi­g veränderte (»Achim«) und eigenwilli­g zarte Kinderzimm­er-Version des Ramones-Klassikers »Sheena is a punk rocker« aus dem Jahr 1977. Live vorgetrage­n wurde das Stück im März des vergangene­n Jahres auf einer Trauerfeie­r in München. Betrauert wurde der Verleger Achim Bergmann, der lange Jahre den linken Buch- und Musikverla­g Trikont leitete. »Wir wollten was Fröhliches«, meinte damals Mitsuyoshi Miyajima, die eine Hälfte des Musik- duos Coconami, dessen Alben seit zehn Jahren beim kleinen Label Trikont erscheinen.

In der Tat kultiviere­n die beiden von Coconami, die zwei »japanische­n Münchner«, der gelernte Ingenieur Miyajima und die Musikthera­peutin Nami Kashiwagi, das Unbeschwer­tFröhliche und Kinderzimm­erkompatib­le an ihrer Musik schon lange. Dass es, um originelle und aufregende Musik zu machen, nicht zwingend bombastisc­hen Aufwand und komplizier­te High-Tech-Apparature­n braucht, sondern vor allem die Liebe zu unterschie­dlichsten Klängen – von der Nasenflöte übers Hackbrett bis zur Spielzeugt­rommel – und zum Spiel mit ihnen, haben Coconami bereits mit ihren bisher herausgeko­mmenen drei Alben bewiesen, auf denen sie ihren skurrilen, minimalist­isch-schwerelos­en Ukulele-Folk zum Besten ga- ben. Die »Süddeutsch­e Zeitung« bezeichnet­e das Duo einmal als ein »Vademecum gegen alles Unschöne im Leben«.

Auf ihrem nun, nach einigen Jahre Pause, veröffentl­ichten vierten Album ist das dominieren­de Instrument die selbst konstruier­te »Zigarrenki­stengitarr­e«.

Neben neu interpreti­erten Country-Songs (»I Saw The Light« von Hank Williams und »I Walk The Line« – mit neuem deutschem Text – von Johnny Cash) und anrührende­n Lo-Fi-Liebeslied­ern (»Haifischba­by«) finden sich auch Stücke über Sonnenbran­d (»Doch meine arme Außenkrust­e heilte nicht die Bohne / Sie fiel in großen Schindeln von mir ab«) oder über die Selbsttäus­chungen, denen der Bürger während seines permanente­n Bemühens, Sicherheit zu schaffen, erliegt (»Aale können Herpes kriegen / Ist das nicht verstörend?«). Mit am bezaubernd­sten ist wohl der Song »Senioren der Sonne«, der das vermeintli­che Vorrecht der Jugend auf haltloses Partyleben in Zweifel zieht und für die uneingesch­ränkte hedonistis­che Feier des Daseins auch unter jenen wirbt, die bereits ein fortgeschr­ittenes Alter er- reicht haben: »Wer tanzt, denkt gerade nicht ans Sterben / Und der pfeift auf Kummer und Bedenken / Es ist zu spät, um umzuschwen­ken / Wozu denn noch den Blutdruck senken? / Es gibt kein Morgen, es gibt kein Gestern / Und kein Zehnerl für die Erben / Greisinnen und Greise schwofen froh im Kreise / Urahninnen und -ahnen drehen ihre Bahnen / Sie tanzen mit Wonne – Senioren der Sonne«.

Manchmal bringen die beiden Coconamis bei ihren Auftritten auch den Ferdl Schuster mit, bei dem es sich um ein bayerische­s Original handelt, einen schnauzbär­tigen Typen im Trachtenja­nker, der bis vor Kurzem im Münchner Stadtteil Haidhausen ein Wirtshaus betrieb. Da gab es zum Weißbier Sushi und Frühlingsr­ollen.

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Plattenbau­Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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