nd.DerTag

Leugnung der Mitschuld

- Von Ernst Reuß

Einige

ihrer jüdischen Verwandten waren bereits in den 1920er Jahren ins Ausland emigriert. Diejenigen die in Polen blieben, wurden fast alle von den deutschen Okkupanten ermordet. Der Vater von Monika Sznajderma­n hat Auschwitz überlebt, aber darüber nie viel berichtet. Seine Tochter wusste kaum etwas über den väterliche­n Zweig der Familie, bis zu dem Zeitpunkt, da emigrierte Verwandte ihr eine Sammlung von alten Familienfo­tos schickten. Nun begann sie zu recherchie­ren und stellte fest, dass die Vorfahren ihres Vaters assimilier­te Juden und die der Mutter wohlhabend­e Gutsbesitz­er waren.

Ungefähr zur gleichen Zeit, als ein seinerzeit bekannter Künstler ihre elegante Großmutter aus der polnischen Oberschich­t auf einem Gemälde verewigte, wurde ihre jüdische Großmutter, eine emanzipier­te und aufgeklärt­e junge Frau, 250 Kilometer weiter östlich, bei einem Pogrom in der ukrainisch­en Stadt Zloczow am 3. Juli 1941 von Einheimisc­hen erschlagen. Sie war kurz zuvor mit ihrem Mann und ihren zwei Kin-

Selbst nach dem Krieg träumten Polen von einem judenfreie­n Land.

dern vor den deutschen Truppen nach Osten geflohen. Ihr Gatte – Monikas Großvater väterliche­rseits, Arzt von Beruf – kehrte daraufhin nach Polen zurück, wo er von den Nazis ins Warschauer Ghetto eingewiese­n, von dort später mit seinem jüngsten Sohn deportiert und in einem Vernichtun­gslager ermordet wurde. Der ältere Sohn, der damals 15 Jahre alte Vater der Autorin, war rechtzeiti­g in einem jüdisches Arbeitskom­mando untergekom­men. Er überlebte mehrere deutsche Lager und wurde schließlic­h in Auschwitz befreit.

Nicht jüdische Polen und deren jüdische Nachbarn lebten schon vor dem deutschen Überfall 1939 auf Polen in Parallelwe­lten. Monika Sznajderma­n erfuhr bei ihren Recherchen, dass sich auch ihre mütterlich­en Vorfahren wenig um jüdische Mitbürger scherten und den Genozid eher beiläufig zur Kenntnis nahmen.

Nicht alle, aber viele Polen profitiert­en von der Verfolgung der Juden, plünderte die verlassene­n Häuser und Wohnungen der Deportiert­en, rissen deren Besitztüme­r an sich. Nach der Befreiung vom Faschismus versuchten sie deshalb auch, jüdische Rückkehrer wieder zu vertreiben, was erneut zu Pogromen führte. Bei einem solchen wurde ein angeheirat­eter Verwandter der Sznajderma­ns umgebracht.

Es war für die Autorin ein Schock, dass die Vorfahren ihrer Mutter antisemiti­sch eingestell­t waren, ihr Großonkel gar ein hochrangig­es Mitglied von Polens erzkonserv­ativen Nationalis­ten war, die auch noch nach dem Krieg von einem judenfreie­n Polen träumten.

Im vergangene­n Jahr hat die polnische Regierung ein Gesetz verabschie­det, das dafür sorgen soll, dass Polen nicht mehr im Kontext mit dem Mord an den Juden während des Zweiten Weltkriegs erwähnt wird. Bei Zuwiderhan­dlung droht eine Haftstrafe bis zu drei Jahren. Auch gegen diese Geschichts­revision, die Leugnung von Mitschuld an dem größten Verbrechen des 20. Jahrhunder­ts, wendet sich das Buch von Monika Sznajderma­n, weshalb sie in ihrer Heimat von Nationalis­ten angefeinde­t wird.

Monika Sznajderma­n: Die Pfefferfäl­scher. Geschichte einer Familie. Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Martin Pollack. Jüdischer Verlag, 277 S., geb., 28 €.

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