Spielzeug der Propaganda
Bei der Asienmeisterschaft spielen einige von Kriegen gebeutelte Fußballteams. Syrien steht besonders im Fokus
Der syrische Machthaber Baschar al-Assad möchte nach fast acht Jahren Krieg schnell zum Alltag zurückkehren. Das Fußballnationalteam soll ihm nun bei der Asienmeisterschaft helfen.
Fast jeden Tag ist Rami aus Damaskus Richtung Norden nach Homs gefahren. Mit anderen Jugendlichen baute er ab 2009 im Umfeld des Vereins Al Karamah eine der ersten Ultragruppen in Syrien auf. Sie fanden etwas, was in ihrer Gesellschaft selten war: Zusammenhalt und Zuversicht. Bis 2011 verpasste Rami nur ein Spiel seines Klubs.
Mit Beginn des Bürgerkrieges legten die landesweit sechs Ultragruppen eine Pause ein. Doch der Fußballbetrieb wurde in stark reduzierter Form aufrechterhalten. Einmal noch, 2014, ist Rami ins Stadion gegangen. Viele Plätze neben ihm blieben leer. Freunde waren tot, im Gefängnis oder an der Front. »Ich bin da fünf Minuten geblieben, dann bin ich rausgegangen«, sagt Rami. Wenige Monate später ist er selbst nach Deutschland geflohen. Schätzungen zufolge wurden während des Krieges rund 500 000 Menschen getötet. Und noch ist der Krieg nicht zu Ende.
Syriens Präsident Baschar al-Assad möchte zur Normalität zurückkehren, dabei soll ihm der Fußball helfen. An diesem Samstag beginnt in den Vereinigten Arabischen Emiraten die Asienmeisterschaft. Zu den 24 Teilnehmern gehören auch Nationen, die durch Kriege und Krisen gezeichnet sind: Jemen oder Irak. Besonders im Fokus: die Auswahl Syriens. »Der Fußball zeigt die Zerrissenheit unseres Landes«, sagt Rami. Der 24-Jährige lebt inzwischen im Ruhrgebiet und möchte bald sein Filmstudium fortsetzen. Die Spiele des syrischen Nationalteams verfolgt er im Internet, doch aus den sozialen Medien hält er sich weitgehend raus: »Viele Leute beanspruchen die Mannschaft für ihre politische Meinung, der Ton ist sehr hart und oft verletzend.« Für Millionen Syrer ist Fußball eine Ablenkung vom Terror – für andere ist er ein Werkzeug der Diktatur.
Früher hat die syrische Mannschaft ihre Heimspiele in Damaskus oder Aleppo bestritten, seit Kriegsbeginn spielt sie im Exil, häufig Tausende Kilometer entfernt im Südos- ten Asiens. Mitunter trugen Spieler und Offizielle dort T-Shirts mit Fotos von Assad. 2015 zeigten syrische Zuschauer in Malaysia ein riesiges Banner mit einem Porträt des Machthabers. Das Massenphänomen Fußball sei eine Unterstützung für das Regime, sagt Journalistin Kristin Helberg, die mehrere Bücher über Syrien geschrieben hat: »Assad möchte zurück in die internationale Gemeinschaft. Er braucht Geld für den Wiederaufbau des Landes. Ein Symbol wie die Nationalmannschaft kann ihm auf der Suche nach Investoren helfen.«
Mittlerweile sind viele Nationalspieler im Ausland unter Vertrag. Doch auch dort stehen sie unter dem Einfluss der heimischen Regierung. Der Leistungsträger Firas al-Khatib trat 2012 aus Protest gegen das Regime aus dem Nationalteam zurück. 2017 kehrte er für die Qualifikation zur WM 2018 als Kapitän zurück. Es wurde viel spekuliert, ob ihn die Regierung unter Druck gesetzt hatte, ob vielleicht gar seine Familie in Gefahr gewesen sei. Der US-Sportsender ESPN recherchierte monatelang und schrieb 2017: »Mindestens 38 Spieler aus den ersten beiden Ligen und Dutzende weitere aus den unteren Ligen wurden erschossen, bombardiert und gefoltert.« Auch Ex-Nationalspieler Jihad Qassab soll nach schwerer Folter in einem Militärgefängnis im September 2016 gestorben sein. Noch immer werden Dutzende Spieler vermisst.
Hunderte Sportler haben dagegen rechtzeitig das Land verlassen, dabei ergeht es ihnen oft wie vielen anderen Geflüchteten: Ihre Konten wurden eingefroren, ihr Besitz beschlagnahmt. Doch an ein Bleiben in der Heimat war nicht zu denken – schließlich wurden mehrere Stadien als Internierungslager genutzt. Aus dem Abbasiden-Stadion in Damaskus sollen sogar Raketen abgefeuert worden sein.
Der Weltverband FIFA verbietet normalerweise die politische Vereinnahmung des Fußballs, mehrfach hat er deswegen Nationalverbände suspendiert. Trotz der Aufforderung von Aktivisten hält sich die FIFA in Syrien aber zurück. Also wird ihr vorgeworfen, sie würde nur Rücksicht auf Assads Verbündeten Russland nehmen, den Gastgeber der vergangenen WM. Die FIFA formuliert das so: Solche »tragischen Umstände« würden weit über den Verantwortungsbereich des Fußballs hinausgehen. Ein Dementi ist das jedenfalls nicht.
Nun, da Assad den Krieg praktisch gewonnen hat, will die Regierung sich gegen ein Aufflammen von Protesten schützen. Ultras sollen sich nur noch als Fanklubs bezeichnen, seit 2017 kehren einige auch in die Stadien zu- rück. Fahnen mit englischen Botschaften sind aber verboten. »Leute haben versucht, sich in die Fangruppen zu schmuggeln und Steine auf die Polizei zu werfen«, erzählt der inzwischen in Deutschland lebende Nadim, Fan des Vereins Hutteen in der Hafenstadt Latakia. »Dann hätte es einen Vorwand gegeben, um die Ultras zu verbieten.«
Etliche Regierungen konnten in Krisen Fußballerfolge politisch für sich nutzen, Irak als Asienmeister 2007 oder Afghanistan als Südasienmeister 2013. Nationaltrainer der Syrer ist seit einem Jahr der ehemalige DDR-Nationaltrainer Bernd Stange, der schon in der Ukraine, in Belarus und Irak gearbeitet hat. Er versucht stets, sich aus politischen Debatten herauszuhalten. Dass das Abschneiden seiner Mannschaft bei diesem Turnier aber zum Politikum wird, ist kaum zu vermeiden.