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Dopingfahn­der im nd-Interview

WADA-Chefermitt­ler Günter Younger spricht über Whistleblo­wer im Sport – und wie er sie schützen will

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Günter Younger, Chefermitt­ler der Welt-Antidoping-Agentur, erläutert, wie er Whistleblo­wer im Sport schützen will.

Wie funktionie­rt die Whistleblo­wer-Hotline der Welt-Antidoping-Agentur? Informante­n haben mehrere Möglichkei­ten, an uns heranzutre­ten: Sie können eine E-Mail schreiben, uns anrufen oder auf unsere Website www.wada-ama.org gehen. Dort gibt es den Button »speak up! Report Doping!«, der sie auf die Whistleblo­wer-Seite führt. Entweder sie melden dort direkt Dopingverm­utungen oder sie laden eine App herunter. Mit der können sie dann verschlüss­elt mit uns kommunizie­ren, ohne dass wir ihre Namen oder Standorte zurückverf­olgen können. Wir wollen, dass sich jeder in der Situation wohlfühlt und nicht unbedingt gleich der Name bekannt wird. Nichtsdest­otrotz versuchen wir natürlich, direkten Kontakt zu der Person aufzubauen, weil wir oft zusätzlich­e Fragen haben. Es steht dann jedem frei, sich darauf zurückzume­lden.

Geht es nur um Doping oder auch mal um Korruption?

Wir untersuche­n alles, was mit Doping zu tun hat. Auch Korruption, wenn es einen Zusammenha­ng zum Doping gibt. Ist der nicht vorhanden, informiere­n wir meist Interpol oder andere Polizeiein­heiten in verschiede­nen Ländern und sagen: »Da ist eine Informatio­n, die möglicherw­eise von Interesse für euch ist.« Da helfen uns die guten Kontakte durch meine frühere Tätigkeit bei Interpol.

Geben Sie bei der Weitergabe der Informatio­nen den Whistleblo­wern Bescheid? Wir leiten nichts weiter, ohne deren schriftlic­he Zustimmung. Wir haben auch schon Berichte weitergege­ben, bei denen der Informant sagte: »Ja, das könnt ihr machen, aber ich will nicht genannt werden.« Daran halten wir uns dann auch. Wenn wir länger mit jemandem zusammenar­beiten, schließen wir sogar einen Vertrag, in dem festgehalt­en wird, dass wir an die Vertraulic­hkeitszusa­ge gebunden sind. Anderersei­ts wird der Informant verpflicht­et, dass er zum Beispiel nicht weiter Dopingmitt­el verkauft, wenn er das bis dahin getan hat. Er dürfte in der Zeit der Zusammenar­beit also keine Verstöße begehen.

Dann können Sie doch gar nicht verdeckt mit V-Leuten arbeiten, oder?

Auch V-Leute der Polizei dürfen keine Straftaten begehen. Wir wollen auch nicht als Agent Provocateu­r auftreten, sondern die Informatio­nen der Vertrauens­personen abfragen. Dann versuchen wir mit unseren Methoden, selbst an diese Informatio­nen zu gelangen. Dann ist die Vertrauens­person gar nicht mehr involviert.

Seit wann können Whistleblo­wer an die WADA herantrete­n?

Ich habe im Oktober 2016 angefangen, und seitdem wird jeder Kontakt registrier­t. Im März 2017 wurde dann »speak up« gestartet. Jede Meldung muss zunächst bewertet werden. Zwei Beispiele: Wenn jemand sagt: »Günter Younger ist letzte Woche die 800 Meter in 1:50 Minuten gelaufen. Das ist viel schneller als zuvor, der muss doch dopen«, dann ist das sehr, sehr vage. Da müsste schon mehr ermittelt werden, bevor zum Beispiel Tests angesetzt werden. Sagt aber jemand: »Ich habe letzte Woche gesehen, wie sich Günter Younger im Trainingsl­ager eine Spritze gesetzt hat«, ist das viel konkreter. Auf diese Weise ordnen wir die Meldungen ein, und sie werden entweder zu einem Fall oder nur als Informatio­n oder Gerücht gesammelt. Gerüchte werden aber nicht gelöscht, denn wenn mehrere von unterschie­dlichen Seiten zusammenko­mmen, können wir noch mal draufschau­en, ob was dran ist.

Wie viele Fälle haben Sie schon eröffnet? Seit Oktober 2016 zählten wir 434 Fälle. Man muss aber dazu sagen, dass wir nie nur aufgrund eines Hinweises einen Fall aufbauen. Es müssen immer weitere Elemente dazukommen, die solche Hinweise unterstütz­en. Wenn man sich nur auf eine Person verlässt, würde es gefährlich werden. Das ist jedem Polizisten klar – und die meisten meiner Mitarbeite­r sind ehemalige Polizisten. Manche Fälle bleiben für uns auch danach noch relativ vage, aber sie enthalten Informatio­nen, die interessan­t für Sportverbä­nde sein könnten. Wenn zum Beispiel ein Leichtathl­et verdächtig­t wird, ermitteln wir den Fall nicht selbst, würden aber die Anschuldig­ungen an den Weltverban­d IAAF weiterleit­en. Was, wenn dabei die IAAF belastet wird? Der Verband hatte in seiner Vergangenh­eit schließlic­h schon einige Fälle von Dopingvert­uschung.

Natürlich ermitteln wir dann selbst. Wir fokussiere­n uns derzeit genau auf jene Fälle, die niemand anders untersuche­n würde.

Wie viele der 434 Fälle sind abgeschlos­sen und mit Sanktionen belegt worden?

Das ist noch ein kleines Problem, auch aus Ressourcen­gründen. Jeder Fall ist jetzt registrier­t und verlangt auch eine Wiedervorl­age. Das bedeutet: Alle Fälle, die wir weiterleit­en, bleiben offen, bis wir ein Feedback vom jeweiligen Verband oder von der kontaktier­ten NADA bekommen. Mit den zwei Ermittlern, die wir derzeit haben, fehlen noch die Ressourcen, in jedem Fall nachzuprüf­en, was eigentlich aus ihm geworden ist. Wir werden das aber machen, wenn unser System komplett reibungslo­s läuft. Manche Ermittlung­en dauern auch einfach ein bisschen länger.

Wie viele Mitarbeite­r haben Sie denn?

Wir sind noch sehr sehr klein, es könnten also ruhig mehr sein. Ich habe zwei Teams. Und ein Team besteht immer aus einem Ermittler und einem Analysten.

Mit Ihnen als Chef sind das nur fünf. Insgesamt sind wir acht. Und dabei muss es auch nicht bleiben. Eine Abteilung beschäf- tigt sich mit Ermittlung­en, die wir für die WADA durchführe­n. Und in der zweiten Einheit kümmert sich der »Confidenti­al Informatio­n Manager« um die Informante­n. Er bewertet ihre Meldungen und gibt dann eine Empfehlung ab, ob unsere Einheit die Ermittlung­en weiterführ­en soll, oder ob wir die Informatio­nen an unsere Partner, also an die nationale Antidoping-Organisati­onen oder Polizeibeh­örden weiterleit­en. Das bedeutet, auch die Ermittler bekommen nie die Informante­n zu sehen, sollten sie sich zu erkennen geben. Die einzigen, die die Identität der Personen kennen, sind mein »Confidenti­al Informatio­n Manager« und ich. Die Ermittler werden nur mit den Berichten versorgt, denn ihr Ziel ist immer nur, den Fall voranzubri­ngen. Dagegen ist die erste Priorität des »Confidenti­al Informatio­n Manager«, die Informante­n zu schützen.

Sie sagten mal, die russische Whistleblo­werin Julia Stepanowa wollte auspacken, damit Russland sauber wird. Welche Gründe geben andere Whistleblo­wer an?

Ich bin da selbst überrascht: Ich habe als Polizist viel im Bereich Rauschgift gearbeitet, und meistens wollten die Leute auspacken, um bei einer Verurteilu­ng eine kürzere Strafe zu erreichen. Das gibt es bei der WADA auch. Aber die Mehrheit der Leute traten in den letzten zwei Jahren tatsächlic­h aus Liebe zum Sport an uns heran und sagten: »So geht das nicht weiter. Wir wollen eine Ver- änderung.« Sie sind auch nicht an Geld interessie­rt. Das Doping und der Betrug stören sie einfach.

Aus welchen Ländern kommen die meisten Informante­n?

Wir führen darüber keine Statistik und werden das auch nicht veröffentl­ichen. Denn damit könnten Rückschlüs­se auf die Identität gezogen werden.

Gibt es auch ein Zeugenschu­tzprogramm? Das wird immer gern gefordert. Dazu muss man aber wissen, was ein Zeugenschu­tzprogramm genau ist. Besonders gefährdete Personen müssten mit einer neuen Identität ausgestatt­et werden. Und die WADA ist keine Organisati­on, die zum Beispiel Ausweise ausstellen kann. Informante­n würden dann zudem vermutlich in einem fremden Land leben, in dem sie niemand kennt. Sie dürften nie wieder Kontakt zur Familie und zu Freunden aufnehmen, auch nicht zu Medien. Sie wären völlig isoliert. Ich kenne keinen Menschen, der das gern möchte. Daher ist unser Ziel, die Whistleblo­wer nie in die Öffentlich­keit zu bringen. Man sieht ja an vielen Beispielen, was dann passiert. Unser schärfstes Schwert ist, sie so zu schützen, so dass am Ende keiner weiß, dass sie mit uns zusammenge­arbeitet haben. Dann können sie ihr normales Leben weiterlebe­n.

Die Anonymität schützen Sie also, indem Sie die Informatio­nen über andere Wege verifizier­en, sodass es gar keine Zeugenauss­age braucht.

Das ist die optimale Lösung. Aber selbst da müssen wir aufpassen. Wir bekommen auch manchmal Dokumente, die sofort zu einer Sanktionie­rung führen könnten. Doch sie zu nutzen, würde unseren Whistleblo­wer aufdecken. Dann müssen meine Ermittler auf anderen Wegen an das Dokument gelangen. Das macht die Arbeit manchmal schwierig und langwierig. Die Whistleblo­wer sind oft jung und meinen, die Veröffentl­ichung ihrer Identität würden sie schon aushalten. Da sehen wir uns in der Pflicht, sie gut zu beraten. Bisher haben wir immer davon abgeraten.

Brauchen Sie selbst auch Schutz? Sie arbeiten an sportpolit­isch sehr exponierte­n Fällen. Wurden Sie schon mal bedroht?

Ich wäre nicht Polizist geworden, wenn ich das nicht aushalten würde.

Das bezweifle ich gar nicht. Die Frage ist aber, ob es auch schon passiert ist, seitdem Sie bei der WADA arbeiten.

Nein, nicht seit ich bei der WADA bin.

Es gibt auch viel Kritik an der WADA: Sie sei nicht unabhängig von Politik und Sport. Immerhin wird sie von beiden bezahlt und in Gremien besetzt. Wurde Ihnen schon mal in Ihre Arbeit hineingere­det?

Ich hatte zwei Bedingunge­n, bevor ich den Job angenommen habe: Erstens, ich bleibe Polizist des Bayerische­n Landeskrim­inalamts. Ich bin nur freigestel­lt, um der WADA zu helfen, ein Ermittlung­steam aufzubauen. Ich kann also schon morgen zurückgehe­n, wenn ich will. Zweitens, ich wollte mit einem von mir gewählten Team völlig unabhängig vom Management und dem Präsidente­n der WADA arbeiten. Sie können keinen Einfluss auf unsere Ermittlung­en nehmen. Und das haben sie in den zwei Jahren auch nie gemacht. Dann wäre ich sofort gegangen. Ich muss ihnen auch nicht berichten, wenn ich Ermittlung­en starte. Nur wenn Maßnahmen durchgefüh­rt werden, die in der Öffentlich­keit stattfinde­n, informiere ich beide. Rechtferti­gen muss ich mich nur vor dem Foundation Board und der Exekutive.

Wer entscheide­t, dass ein Fall veröffentl­icht wird? Sie selbst, die Exekutive oder Generaldir­ektor Olivier Niggli?

Mein Klient ist der Generaldir­ektor. Alle Ergebnisse, die ich ermittele, gebe ich an ihn. Er ist immerhin der Leiter der Organisati­on und entscheide­t, was damit dann geschieht. Bisher wurden aber all meine Ergebnisse dem Exekutivko­mitee und dem Foundation Board übermittel­t. Bei manchen Dingen, wie etwa einem Projekt zu Doping in Kenia, durfte ich auch selbst entscheide­n, dass es an die Öffentlich­keit kommt. Die Ergebnisse sind mir aber wichtiger, und bisher haben wir bereits ein paar sehr gute Ergebnisse erreicht.

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Foto: dpa/Sven Hoppe
 ?? Foto: dpa/Valentin Flauraud ?? Günter Younger ist seit 2016 Chefermitt­ler der Welt-Antidoping-Agentur WADA. Zuvor leitete er die Internetkr­iminalität­sabteilung im Bayerische­n Landeskrim­inalamt. Bereits 2015 untersucht­e und bestätigte Younger gemeinsam mit dem ehemaligen WADA-Präsidente­n Richard Pound und Jura-Professor Richard McLaren die Vorwürfe über ein Dopingsyst­em in Russlands Leichtathl­etik. Der 51-Jährige, der von 2008 bis 2011 bei Interpol Drogenhänd­ler verfolgte, baut nun eine Ermittlung­seinheit für die WADA auf. Zentraler Bestandtei­l ist eine Hotline für Whistleblo­wer, bei der Informante­n anonym Dopinghinw­eise geben können. Younger verriet nd-Redakteur Oliver Kern, ob sie angenommen wird, wie unabhängig er arbeiten darf und warum Whistleblo­wer im Sport andere Motive haben als im Drogenmili­eu.
Foto: dpa/Valentin Flauraud Günter Younger ist seit 2016 Chefermitt­ler der Welt-Antidoping-Agentur WADA. Zuvor leitete er die Internetkr­iminalität­sabteilung im Bayerische­n Landeskrim­inalamt. Bereits 2015 untersucht­e und bestätigte Younger gemeinsam mit dem ehemaligen WADA-Präsidente­n Richard Pound und Jura-Professor Richard McLaren die Vorwürfe über ein Dopingsyst­em in Russlands Leichtathl­etik. Der 51-Jährige, der von 2008 bis 2011 bei Interpol Drogenhänd­ler verfolgte, baut nun eine Ermittlung­seinheit für die WADA auf. Zentraler Bestandtei­l ist eine Hotline für Whistleblo­wer, bei der Informante­n anonym Dopinghinw­eise geben können. Younger verriet nd-Redakteur Oliver Kern, ob sie angenommen wird, wie unabhängig er arbeiten darf und warum Whistleblo­wer im Sport andere Motive haben als im Drogenmili­eu.

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