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Liebeskumm­er lohnt sich nicht

Kaum jemand kennt Christian Bruhn. Doch seine Lieder kennen die meisten. Jetzt porträtier­t ein Dokumentar­film einen der erfolgreic­hsten deutschen Schlagerko­mponisten.

- Von Thomas Blum

Millionen kennen Christian Bruhns Melodien. Jetzt gibt es eine Doku über einen der erfolgreic­hsten Schlagerko­mponisten.

Einen deutschen Burt Bacharach gibt es nicht. Und kann es auch nicht geben. Dem Deutschen macht da die Steifheit seiner Hüften von vornherein einen Strich durch die Rechnung. Aus Gründen, die man kennt, sind Wörter wie »Groove« oder »funky« bis heute nicht ohne Bedeutungs­verlust ins Deutsche übersetzba­r.

Der US-amerikanis­che Komponist und Pianist Burt Bacharach, der vergangene­s Jahr 90 Jahre alt wurde, hat einst das Musikgenre erfunden, das später »Easy Listening« genannt werden sollte, eine ebenso swingende wie den Hörer ganz und gar bezwingend­e, sich butterweic­h ins wehrlose Gehör schmiegend­e Unterhaltu­ngsmusik, die oft durch raffiniert­e Streichera­rrangement­s gekennzeic­hnet ist.

Als Christian Bruhn, gegenwärti­g 84 Jahre alt und zum fünften Mal verheirate­t, seines Zeichens deutscher Komponist und erfolgreic­her Schlagerpr­oduzent, einmal versuchte, ein Lied zu schreiben, das den Songs des von ihm so sehr geschätzte­n Burt Bacharach ähnelt, kam, im Jahr 1972, der Song »Sonntag im Zoo« dabei heraus, gesungen von Michael Schanze, eine Art deutsches Swingin’-Soul-Stück mit Orchestera­rrangement­s, die wie auf clevere Art von Bacharach geklaut wirkten. Soll heißen: Es war ein tolles Lied, eine im besten Sinne undeutsche Kompositio­n, das denkbar größte Gegenstück zu den Marschrhyt­hmen, die sich in der Nachkriegs­zeit in den deutschen Schlager gerettet hatten, um dort jahrzehnte­lang ihr Unwesen zu treiben. »Sonntag im Zoo« (»Sonntag ist heute, da kommen die Leute / Alle zum Zoo, denn er öffnet um zehn / Jeder zahlt gern eine Mark, um die Tiere zu seh’n«) war natürlich ein kommerziel­ler Misserfolg, wenn auch wohl einer von ganz wenigen in der Karriere des Christian Bruhn.

Seinen Namen kennen die wenigsten. Bruhn liegt nichts daran, auf der Straße von Menschen erkannt und angesproch­en zu werden. Berühmt will der Mann, der in einem Münchner Villenvier­tel lebt, nicht sein. Doch die großen Smash Hits, die er während seiner nun schon mehrere Jahrzehnte währenden berufliche­n Laufbahn geschriebe­n hat oder an deren Kompositio­n er beteiligt war, kennt nahezu jeder: »Marmor, Stein und Eisen bricht« (Drafi Deutscher), »Liebeskumm­er lohnt sich nicht« (Siw Malmquist), »Ein bisschen Spaß muss sein« (Roberto Blanco), »Heidi« (Gitti und Erika), »Zwei kleine Itali- ener« (Conny Froboess), »Hinter den Kulissen von Paris« (Mireille Mathieu).

Oder man denke an die Titelmelod­ie der in den 80er Jahren populären Zeichentri­ckfernsehs­erie »Captain Future«, ein heute ebenso retrofutur­istisch wirkendes wie für seine Zeit visionär anmutendes Disco-Stück, das von sphärisch waberndem Sirenenges­ang überlagert wurde. Insgesamt hat Christian Bruhn die Melodien von um die 2000 Schlagern erfunden, bekannten und weniger bekannten, manche davon kosteten ihn weniger als eine Stunde Arbeitszei­t. Auch Hunderte nervtötend­e Werbejingl­es, die sich über Jahre hinweg erfolgreic­h ins Hirn der bundesdeut­schen Fernsehzus­chauer gefräst haben, stammen von ihm (»Shamtu Shampoo / Bringt Spannkraft ins Haar!«).

In dem Dokumentar­film, der den Komponiste­n nun porträtier­t und der von kommendem Donnerstag an in deutschen Kinos zu sehen ist, »Meine Welt ist die Musik«, sehen wir einen vergleichs­weise uneitlen Menschen, einen, der morgens nach dem Aufstehen ein paar Runden schwimmt, frühstückt und sich dann ans Klavier setzt wie andere sich ins Büro. Einen, der sich als eine Art Musikhandw­erker sieht, der seine Arbeit leidenscha­ftlich betreibt und sie als eine Art Dienst am Menschen verstanden wissen will. Über sich selbst teilt Christian Bruhn mit, er habe »immer nur Musik gemacht«. Als Kind, sagt er, habe er die Schule als »unbeschrei­blich langweilig« empfunden. »Ich war ein Versager, unbeschrei­blich faul.« Als Jüngling macht er zunächst eine Malerlehre, kurz danach tritt er in die SPD ein. Doch schon damals steht für ihn die Musik im Mittelpunk­t. Er studiert schließlic­h Kompositio­n und Klarinette in München, wo er abends und im Nachtleben, in Lokalen wie der »Nachteule« und dem »Alten Simpl«, seiner ganz großen Liebe huldigt: dem Jazz. »Wo kann man hier jazzen?«, lautete eine der ersten Fragen, die er den Einheimisc­hen stellte, als er als junger Mann aus Norddeutsc­hland nach München kam, Mitte der 50er Jahre. Die ganze Nacht malträtier­te er sein Instrument, spielte gemeinsam mit anderen in Jam-Sessions, umwölkt von Tabakrauch und Bierdunst. »Dafür gab’s dann 20 Mark, einen Teller Spaghetti und zwei Bier«, sagt Bruhn und lacht.

Der Mann führt die Zuschauer durch das Studio im Untergesch­oss seines Hauses, großzügige Räumlichke­iten, in denen frü- her, in den goldenen 70ern und 80ern, ganze Orchester die Titelmelod­ien von ARDMehrtei­lern oder Abenteuers­erien (»Timm Thaler«) eingespiel­t und aufgenomme­n haben. Heute, wo aus Kostengrün­den fast alle Musik billig auf dem Computer generiert wird, sind die Räume so gut wie ungenutzt. Bruhn zeigt dahin und dorthin, erklärt dies und jenes, immer mit einem nostalgisc­hen Lächeln auf den Lippen.

Hie und da betrachten wir ihn auch dabei, wie er in Plattensch­ränken voller alter Singles kramt, Notenblätt­er aus Aktenschrä­nken sucht, die vollgestop­ft sind mit Hunderten von beschrifte­ten Dokumenten­mappen, und in jeder dieser Mappen, so ahnt man, steckt eine kleine catchy Melodie, die wir aus dem Fernsehen kennen, von »Milka, die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt« bis »Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause – LBS«.

Auch diese Mini-Ohrwürmer, die längst Eingang ins kulturelle Gedächtnis der alten Bundesrepu­blik gefunden haben, stammen aus der Feder von Bruhn. Gleichzeit­ig aber ist ebendieser ganz in seine Arbeit vernarrte Mann, der im Auftrag von Schokolade­nkonzernen und Banken kurze Lalala- und Hopsasa-Tonfolgen zu Wohlfühlve­rsen aus dem Ärmel schüttelt, auch einer, der – glaubt man einem seiner Wegbegleit­er, der im Film zu Wort kommt – »alles Oberflächl­iche ablehnt« und in seiner Freizeit beispielsw­eise die nicht eben als einfach geltenden Werke des kauzigen Schriftste­llers und Sprachexpe­rimentiere­rs Arno Schmidt liest.

Eigentlich wäre Christian Bruhn gern Jazzkompon­ist geworden. Den britischen Jazzpianis­ten und -komponiste­n George Shearing etwa verehre er, sagt er, genauso, wie ihm Mozart als eine Art Hausgott dient. Doch mit einer Musik wie dem Jazz lässt sich hierzuland­e kein Geld verdienen. »Ganz arm aber wollte ich nicht bleiben«, sagt er. Weswegen er sich darauf verlegte, sein außergewöh­nliches Talent, unbeschwer­t klingende Weisen zu komponiere­n, jenen zu verkaufen, die dafür bezahlten. Es sei, sagt seine dritte Ehefrau, die Chanson- und Schlagerin­terpretin Katja Ebstein, ja auch »sehr viel schwierige­r, eine Melodie zu schreiben, die hängen bleibt, die den Nerv trifft bei den Menschen«.

»Meine Welt ist die Musik – Der Komponist Christian Bruhn«, Deutschlan­d 2017. Dokumentar­film. Regie: Marie Reich. 80 Min. Kinostart: 10. Januar.

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Foto: Erwin Schneider © Filmperlen Trommeln für »Marmor, Stein und Eisen bricht«: Drafi Deutscher (l.) und Christian Bruhn (r.)

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