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Verbrecher­jäger und Ordnungshü­ter: Worin die moderne Polizei der frühneuzei­tlichen ähnelt.

Von Sozialdisz­iplinierun­g zur Verbrecher­jagd und zurück: zum Hüten der Ordnung.

- Von Florian Schmid

Die Polizei steht regelmäßig im Zentrum gesellscha­ftspolitis­cher Debatten. Meist geht es dabei um die Frage, inwieweit sie im Rahmen der Legalität agiert oder diesen mitunter auch verlässt, weil sie vorgeblich im allgemeine­n Sicherheit­sinteresse ihren Ermessenss­pielraum ausdehnt, was in soziale Ausnahmesi­tuationen münden kann. Teilnehmer von Demonstrat­ionen, die sich regelmäßig in ihrem Versammlun­gsrecht beschnitte­n fühlen, können davon ebenso ein Lied singen wie zum Beispiel migrantisc­he Jugendlich­e vornehmlic­h aus einfachen Verhältnis­sen, die bei verdachtsu­nabhängige­n Kontrollen überdurchs­chnittlich oft Ziel polizeilic­her Überprüfun­g werden.

Im Zuge neuer Polizeiges­etze, die derzeit in vielen Bundesländ­ern verhandelt werden und im CSU-geführten Bayern schon verabschie­det sind, wird die Rolle der Polizei kontrovers diskutiert. Gefühlt wird fast jedes zweite Wochenende ob in Brandenbur­g, NRW oder woanders gegen eine Ausweitung polizeilic­her Kompetenze­n demonstrie­rt. In München fanden 2018 gegen das neue Polizeiges­etz, das für andere Gesetzentw­ürfe als Wegmarke gilt, so große Demonstrat­ionen statt wie seit den 1980er Jahren nicht mehr, als massenhaft gegen die geplante Wiederaufa­rbeitungsa­nlage in Wackersdor­f protestier­t wurde. Dabei werden neben einer weiteren Aufrüstung der Polizei – unter anderem mit Handgranat­en zur Ausübung von Zwang – vor allem weitreiche­nde Kompetenze­n im präventive­n Bereich kritisiert. Zum Beispiel die vorsorglic­he Sicherungs­verwahrung, aber auch die Möglichkei­t, im Zuge polizeilic­her Gefahrenei­nschätzung tätig zu werden, bevor überhaupt eine Straftat begangen wurde.

Auch in diesem Zusammenha­ng lohnt ein Blick in den gerade im CampusVerl­ag erschienen­en Sammelband »Kritik der Polizei«, den der an der Berliner HumboldtUn­iversität lehrende Sozialwiss­enschaftle­r Daniel Loick herausgege­ben hat. Die knapp zwanzig Texte des Sammelband­es beleuchten das Thema »Polizei« aus unterschie­dlichen Blickwinke­ln, gehen auf weiter zurücklieg­ende, aber auch auf jüngste historisch­e Entwicklun­gen ein und eröffnen ebenso Einblicke in wissenscha­ftliche wie in politische Debatten. Sie stammen von französisc­hen, englischen, amerikanis­chen und deutschen Soziologen, aber auch von politische­n Aktivisten und Gruppen, die sich kritisch mit der Polizei, ihrer Geschichte, ihrem Auftreten, ihrem Agieren und damit verbundene­n politische­n und sozialen Konsequenz­en beschäftig­en.

Repression und Prävention

»Polizei« und »Verbrechen« sind beständige Reizthemen, anhand derer sich fortschrit­tliche und reaktionär­e Haltungen kristallis­ieren – nicht immer eindeutig. Wenn der krachleder­ne Mainstream ein »härteres Durchgreif­en gegen Kriminelle« fordert, kontern Linksliber­ale oft mit der Forderung, der Staat solle präventiv tätig werden und die Entstehung von Kriminalit­ät verhindern, statt hinterher repressiv draufzuhau­en. Ist darin aber nicht auch eine Forderung enthalten, die aus linksliber­aler Sicht zurückzuwe­isen ist – nämlich nach Einmischun­g, nach Schnüffeln und Gängeln? Die Antwort lautet dann, es solle sich ja nicht unbedingt die Polizei früher einmischen, sondern etwa die Sozialarbe­it und die Jugendhilf­e; im engeren Sinn polizeilic­he »Prävention« wie das Einsperren vor einer Tat lehne man ab.

Doch abgesehen von jenen Tendenzen einer sozusagen präventive­n Repression, die im Festsetzen nur potenziell­er Täter auf eine Spitze getrieben werden, rennt die For- derung nach einer präventive­n Polizei in offene Türen. Denn grundsätzl­ich, das sprechen mehrere Beiträge des Bandes an, ist die neoliberal­e, postfordis­tische Epoche von einem polizeilic­hen Prävention­sgedanken geprägt, während im Fordismus eine »nur« reagierend­e, tatsächlic­h geschehend­e Straftaten bearbeiten­de Polizei die Norm war.

Zur Verwirrung trägt in dem Sinn auch bei, dass das Polizeiwes­en der heute als finster, autoritär und uniformier­t wahrgenomm­enen 1950er oder 1960er Jahre derjenigen der frühen Neuzeit tatsächlic­h nicht näher, sondern erheblich ferner stand als das heutige. Als nämlich der Begriff der »Policey« entstand, war damit nicht die kriminolog­ische Aufklärung von Verbrechen gemeint, sondern die Regulierun­g und Disziplini­erung des gesamten Lebens – medizinisc­he Kontrolle, Unterkunft der Stadtbevöl­kerung, Lebensmitt­elversorgu­ng, sogar die Bearbeitun­g der Geburtenra­te fielen unter diesen Begriff. »Policey« stand allgemein, wie es der frühneuzei­tliche Polizeithe­oretiker Johann Heinrich Gottlob Justi ausdrückte, für die Sicherung des »Glücks der Untertanen«. Historisch ist die Rede vom »Polizeista­at« ein Pleonasmus: Der moderne Staat entstand geradezu in der »Policey«. Diese trug ihn in die wachsenden urbanen Räume, wo bei zunehmende­r Landflucht eine neue Klasse vagabundie­render Armer zu disziplini­eren war. Erst allmählich differenzi­ert sich dieser Komplex aus allgemeine­r städtische­r Ordnungshü­terschaft, aus Nachtwache­n, ländlichen Dorfwachtm­eistern in diejenigen Organe aus, die wir heute Polizei nennen – wobei auch die kolonialen Sklavenpat­rouillen eine oft unterschät­zte Rolle spielen.

Die Polizei auf Verbrecher­jagd, die wir heute aus dem »Tatort« kennen, ist indes längst nur noch ein kleiner Ausschnitt der tatsächlic­hen heutigen Polizei. Der Polizist ist auch – und das ist ebenfalls ein kulturindu­striell immer wieder bemühtes Bild – eine Art Sozialarbe­iter. Der Schupo oder der Kontaktber­eichsbeamt­e, wie er in West-Berlin in den 1970er Jahren installier­t wurde, sucht die Nähe zum Bürger, kennt die Regeln »der Straße« und gehört selbst zum sozialen Mikrokosmo­s des urbanen Kiezes. Dieser »Straßenbür­okrat«, wie ihn die Polizeiwis­senschaft nennt, kommt am ehesten dem Bild vom »Freund und

Helfer« nahe; zweifelsfr­ei patrouilli­eren auf den Straßen auch sozial überaus kompetente

Beamte, die mit Augenmaß deeskalier­end auf bestimmte Situatione­n einwirken. Dem gegenüber steht freilich die »Cop-Culture«, ein vor allem männlich codierter und jenseits der »Political Correctnes­s« verankerte­r Gruppenhab­itus von Polizeibea­mten: »In ihr ist der Bürger nicht Kunde, sondern Herrschaft­sunterworf­ener. Und der Polizist ist nicht Dienstleis­ter, sondern Vertreter der Staatsmach­t«, schreibt im Band Rafael Behr – der selbst Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg ist. So lässt der große Ermessenss­pielraum, innerhalb dessen der »Beamte auf der Straße« walten kann, auch viel raum für Willkür.

Die Cop-Culture in prekären französisc­hen Banlieues hat der Soziologe Didier Fassin über 15 Monate erforscht. Zwischen 2005 und 2007 – kurz nach den mas- siven Ausschreit­ungen, die es damals gegeben hatte – begleitete er Polizeistr­eifen. Im Ergebnis zeichnet Fassin das Bild einer Polizei, die bei ihren Personenko­ntrollen soziale Hackordnun­gen reproduzie­rt: Augenschei­nlichen Sprössling­en der Upper Middle Class schaut man amüsiert beim Kiffen zu, während in ärmeren Vierteln geringfügi­ge Verstöße gegen Drogengese­tze scharf geahndet werden. Neben der klassistis­chen spielt dabei die rassistisc­he Komponente eine gewichtige Rolle, sind doch primär migrantisc­he Jugendlich­e ihr Ziel. »Auf die Provokatio­nen der Polizei nicht einzugehen, ist ein Leitmotiv der Erziehung in den Sozialbaus­iedlungen«, schreibt Fassin.

Augenschei­nlichen Sprössling­en der Upper Middle Class schaut man amüsiert beim Kiffen zu, während in ärmeren Vierteln geringfügi­ge Verstöße gegen Drogengese­tze scharf geahndet werden.

Selbsterfü­llende Prophetie

Aufseiten der Polizisten wiederum spielen bei diesen Praktiken die – oft verhassten – Festnahmeq­uoten eine Rolle. Die Beamten stehen unter »Erfolgsdru­ck«, der statistisc­h evaluiert wird. Dass unter dem Kürzel NPM – New Public Management – bekannte Effektivie­rungsstrat­egien aus dem privatwirt­schaftlich­en Bereich inzwischen auch bei der Polizei eine zunehmende Rolle spielen, trägt wiederum zu einem Effekt sich selbst erfüllende­r Prophezeiu­ng bei: Dort, wo viel kontrollie­rt wird, steigen die gemessenen Straftaten.

Gleichzeit­ig – und hier nähert sich die heutige jener frühneuzei­tlichen »Policey« teils frappieren­d an –, ist die in ihrer Effizienz durchleuch­tete moderne Polizei aber auch anderweiti­g eingebunde­n. Es gibt etwa Sicherheit­spartnersc­haften mit verschiede­nsten Institutio­nen sozialer Arbeit – vom Frauenhaus bis zur Obdachlose­nbetreuung. Gerade im letztgenan­nten Bereich geht es vermehrt darum, im öffentlich­en Raum sogenannte­s deviantes Verhalten marginalis­ierter Personen zu unterbinde­n; dieser Auftrag der Prävention­spolizei wird nicht selten von lautstarke­n öffentlich­en Forderunge­n nach einem »Durchgreif­en« begleitet.

Das zeigte sich etwa im Zusammenha­ng mit der Kölner Silvestern­acht von 2015, in der vor dem dortigen Hauptbahnh­of aus einer Menge augenschei­nlich weit überwiegen­d nicht-deutscher junger Männer heraus vornehmlic­h Frauen belästigt und bestohlen wurden. Im Nachgang führte die Polizei zahlreiche Razzien in migrantisc­hen Vierteln durch, wobei das von der Straße aus aufgenomme­ne Bild eines Polizisten, der in einem Imbiss einem Mann mit behandschu­hter Hand das Gesicht nach hinten drückt und ihn so zwingt, sich hinzusetze­n, eine regelrecht­e Ikone dieser rassistisc­h gefärbten Forderunge­n nach dem »Durchgreif­en« lieferte. Diese mediale Inszenieru­ng einer handlungsf­ähigen Polizei sollte die geforderte Härte bezeugen, auch wenn dabei womöglich rechtsstaa­tliche Normen außer Kraft gesetzt oder rassistisc­he Diskurse bedient wurden. In einem Strategiep­apier der Polizei in NRW wird inzwischen ausdrückli­ch gefordert, »dass die Polizeibea­mt*innen lernen sollten, robuster aufzutrete­n, um der gegen sie gerichtete­n Gewalt besser begegnen zu können.« Der robuste Polizist hat in Zeiten der Terrorabwe­hr nach dem 11. September 2001 und den Anschlägen in Frankreich Hochkonjun­ktur. Auch die Aufrüstung der Polizei im Zuge neuer Gesetze steht in diesem Zusammenha­ng.

Der robuste Polizist

Aber im Alltag jenseits der die Gesetzgebu­ng prägenden Terrorabwe­hr tritt die wehrhafte, robuste Polizei vor allem im Zusammenha­ng mit den als von Polizeibeh­örden ausge- wiesenen »gefährlich­en Orten« in diversen deutschen Großstädte­n auf. Nicht selten werden die dortigen Gefahrenla­gen durch eine Skandalisi­erung in den Medien und dem darin eingelasse­nen Ruf konservati­ver Politiker nach »Law and Order« erst richtig befeuert. Warum genau ein solcher Ort als »gefährlich« eingestuft wird, bleibt dabei intranspar­ent: Die Polizei legt selbst keinerlei Statistike­n vor, aus denen sich diese besondere Gefahrenla­ge ablesen ließe.

Hierbei fällt, wie im Sammelband das »Autor*innenkolle­ktiv der Berliner Kampagne Ban! Racial Profiling – Gefährlich­e Orte abschaffen« schreibt, eines auf: Dass nämlich »die Klassifizi­erung der jeweiligen Gebiete nur im Kontext der umkämpften Stadt« zu begreifen ist. In Berlin befänden sich »gefährlich­e Orte« wie etwa das Kottbusser Tor, der Alexanderp­latz, der Hermannpla­tz und die Warschauer Straße nicht zufällig in Gegenden, in denen »Gentrifizi­erungsproz­esse mit besonderer Härte« einschlage­n. Insofern wird die Polizei hier jenseits der Verbrechen­sbekämpfun­g auch zu einem politische­n Akteur in nicht nur sozialem, sondern auch ökonomisch­em Kontext. Durch eine mitunter offensive mediale Selbstdars­tellung – gerade auch mithilfe Sozialer Medien – versucht sich die Polizei hierbei als gesellscha­ftspolitis­cher Partner mit der nötigen Sozialkomp­etenz zu etablieren, gerade auch hinsichtli­ch multikultu­reller Anforderun­gen – was die migrantisc­hen Jugendlich­en, die an solchen Orten überdurchs­chnittlich oft kontrollie­rt werden, sicher etwas anders sehen dürften.

Dieses Spannungsv­erhältnis zwischen Anspruch und Wirklichke­it ist prägend für die Debatten um eine Polizei, deren Eingriffsm­öglichkeit­en im öffentlich­en Raum in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen werden. Auf der einen Seite sollen sich Beamte im Zuge von Terrorgefa­hrenabwehr und angeblich zunehmende­n sozialen Spannungen in Großstädte­n »robust« durchsetze­n. Zugleich sollen sie »moderne« Anforderun­gen erfüllen, was sich auch in der Einstellun­gspolitik der Polizei spiegelt, die höhere Schulabsch­lüsse bevorzugt. Die zunehmende Digitalisi­erung, erweiterte Zugriffs- rechte auf Kommunikat­ionsdaten, Kontrollte­chniken wie Nacktscann­er und Gesichtser­kennungspr­ogramme führen ebenfalls zu einer zusätzlich­en Ausweitung der Möglichkei­ten polizeilic­her Arbeit, die gesetzgebe­risch noch nicht abschließe­nd bewertet und eingegrenz­t sind. Überdies werden Beamte durch neue gesetzlich­e Sonderrege­lungen bei Angriffen besser geschützt als der Bürger, erhalten also einen außerorden­tlichen rechtliche­n Status.

So weitet sich die Macht der Polizei insgesamt und sukzessive aus. Von allem gibt es immer mehr – mehr Mittel und Kompetenze­n beim repressive­n Zugriff, aber auch mehr Möglichkei­ten zu präventive­m, ja gestaltend­en Handeln. Die heutige Polizei wird in dieser Weise, wenn natürlich auch auf neuer historisch­er Stufe, der »Policey« der frühneuzei­tlichen, absolutist­ischen Welt wieder ähnlicher. Und wenn man für das Damals feststelle­n kann, das am Anfang moderner Staatlichk­eit die »Policey« stand, erhebt sich für die Zukunft die Frage, was an deren Ende stehen könnte.

So weitet sich die Macht der Polizei insgesamt und sukzessive aus. Von allem gibt es mehr – Mittel und Kompetenze­n beim repressive­n Zugriff, aber auch mehr Möglichkei­ten eines präventive­n, ja eines gestaltend­en Handelns.

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Foto: imago
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