Eher Erschöpfung als Frieden
Ist der Protest der französischen Gilets Jaunes schon wieder vorbei?
Das Jahr begann in Frankreich mit einer Fernsehansprache des Präsidenten, der inzwischen zweiten Verhaftung des bekannten Gelbwestenaktivisten Éric Drouet am Mittwochabend und – als wäre dies nicht schon genug – dem Erscheinen des neuen Romans von Skandalnudel Michel Houellebecq, der seinen Fans zufolge mal wieder seherische Fähigkeiten unter Beweis stellt. Denn es geht in dem seit Freitag in Frankreich erhältlichen »Sérotonine«, das angeblich vor Beginn der GiletsJaunes-Bewegung fertiggestellt wurde, um den Verfall der französischen Provinzen und eine spontane Verkehrsblockade, die eskaliert.
Bei den echten Verkehrsblockaden ist indes über die Feiertage etwas Ruhe eingekehrt. Ab Mitte November hatten sich Besetzungen von Kreisverkehren in ganz Frankreich ausgebreitet, begleitet von samstäglichen Demonstrationen – diesen Samstag steht »Acte VIII«, der »achte Akt« an. Seit dem 9. Dezember sind die Teilnehmerzahlen an den Protesten zunächst in Paris, danach auch landesweit zurückgegangen. »In Paris gingen am Samstag laut Schätzungen der Polizei etwa 800 Demonstranten auf die Straße«, meldete die Nachrichtenagentur AFP für den 22. Dezember, landesweit seien es 38 600, am 29. Dezember sogar nur noch 12 000 Gilets Jaunes gewesen.
Sebastian Chwala, Politikwissenschaftler aus Marburg und Frankreichexperte, weist allerdings darauf hin, dass es »keine zentralisierte Organisation der Proteste« gibt, niemanden, der für die Bewegung spricht und dass daher auch keine Veranstalterzahlen existierten, sondern lediglich die Angaben des französischen Innenministeriums, die stark untertrieben seien. Und auch wenn in Paris über die Feiertage die Zahl der Demonstranten zurückgegangen sei, so habe es doch in anderen Städten wie Toulouse, Lille oder Bordeaux an allen Samstagen größere, auch kreative Proteste, zum Teil mit mehreren Tausend Menschen gegeben, so Chwala. Viele der Verkehrsblockaden in den Provinzen seien über die Feiertage aufrechterhalten worden.
Der Berliner Aktivist Dustin Hirschfeld, der seit fünf Monaten in Paris lebt, meint, das Vorgehen gegen die Gelbwesten sei in den vergangenen Wochen noch einmal deutlich rigoroser geworden. »Wer gelbe Westen trägt und sich versammelt, muss damit rechnen, sofort auseinandergetrieben oder eingekesselt zu werden«, sagt er. Dazu passt die erneute Verhaftung Éric Drouets: Das inzwischen sehr prominente Gesicht der Gelbwesten hatte mit 50 weiteren Menschen am Mittwoch in Paris der während der Proteste Verletzten und Getöteten gedenken wollen. Die Polizei nahm ihn wegen des Aufrufs zu einer »illegalen Demonstration« fest. Dass sich in Paris »zwischen den Jahren« weniger Menschen an Protesten beteiligt haben als noch im Dezember sei indes »nicht falsch«, so Hirschfeld. Warum? »Die Zugeständnisse der Regierung und die Tatsache, dass die Proteste schon seit viele Wochen andauern, hat sicherlich dazu beigetragen«, meint er. »Aber mein Eindruck ist, dass sich eher Erschöpfung breit macht als Zufriedenheit mit dem Erreichten.« Er könne sich gut vorstellen, dass in den kommenden Wochen wieder etwas mehr Menschen demonstrieren.
Für diese Einschätzung spricht, dass einer Umfrage des Instituts Opinionway zufolge 60 Prozent der Franzosen finden, die Neujahrsansprache Emmanuel Macrons sei »nicht überzeugend« gewesen. Der Präsident hatte darin betont, an seinen Reformvorhaben bei Rente und Arbeitslosenversicherung festhalten zu wollen. Pläne zur Erhöhung der Steuer auf Diesel und Benzin, die die Proteste ausgelöst hatten, waren schon im Dezember zurückgezogen worden.
Und die Schüler? Auch an dieser Front war zwischen Weihnachten und Neujahr Ruhe eingekehrt. Kurz vor dem Fest hatte allerdings eine Studierendenvollversammlung mit mehreren Tausend Teilnehmern in Nanterre den Aufruf zu einem landesweiten Aktionstag im Januar beschlossen. Für den 8. Januar, dem zweiten Schultag nach den Ferien, hat auch die Schülergewerkschaft UNL weitere Aktionen angekündigt.