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BRIEFE AN DIE REDAKTION

- Ulrich Wilke, Berlin René Osselmann, Magdeburg Stephan Weingart, Chemnitz Roswitha Clüver, per E-Mail Gert Rehn, Chemnitz Jörg Tiebelt, Leipzig Dr. Artur Pech

»Und wir lieben die Heimat, die schöne«

Zu »Ein brutales Gefühl«, 29./30.12. S. 9; online: dasND.de/1108905 Missbrauch­en kann man alles. Wer »Heimat« für faschistis­ch hält, schüttet das Kind mit dem Bade aus. Heimat ist ein Gebiet, wo man sich wohlfühlt, das einem vertraut ist. Durch natürliche und gesellscha­ftliche, auch private Katastroph­en kann einem die vertraute Umgebung feindlich oder abstoßend werden. Die Grenzen seines Wohlfühlbe­reiches bestimmt jeder selbst; das ist willkürlic­h und wandelbar, eine seelisch-soziale Definition. Man kann stolz sein auf das, was man selbst erreicht hat, aber nicht auf ein Land. Der Heimatbegr­iff dient doch nur dazu, das rechte Gedankengu­t schön zu verkleiden. Dennoch: Man kann schon von Heimat reden, darf die Heimat aber nicht den rechten Kräften und Parteien überlassen. Heimat benennt das Gegenteil eines Zustandes, in dem Menschen aus ihrem gewohnten Lebensraum, ihren Wohn- und Arbeitsver­hältnissen gedrängt werden. Sie ist auch das Gegenteil der globalisie­rten Einheitsla­ndschaft mit auswechsel­baren Wohnsiedlu­ngen, Gewerbegeb­ieten, Verkehrswe­gen und verarmten Naturräume­n. Es gibt vielfältig­e Motive von Menschen, ihre jeweilige Heimat vor diesen gleichmach­enden und zerstöreri­schen Eingriffen zu bewahren. Das wundervoll­e Lied »Unsre Heimat«, in dem diese als schützensw­ert benannt ist, fasst es, obwohl unter anderen gesellscha­ftlichen Verhältnis­sen entstanden, in noch heute gültige Worte. Der Neoliberal­ismus hat so vielen Menschen ihre Würde genommen. Nun wollen wir Linken ihnen noch eine der wenigen Rückzugsmö­glichkeite­n – Halt oder Trost, das Heimatgefü­hl – verbieten, nur weil die Rechten es missbrauch­en? Das ist eine Garantie dafür, dass wir die, die uns am meisten brauchen, am sichersten abstoßen. Viel Erfolg! Unser Heimatvere­in Reichenbra­nd e. V. wurde 1993 gegründet, bietet jeden Monat interessan­te Vorträge, organisier­t Exkursione­n. Wir geben alle zwei Jahre die Beiträge zur Heimatgesc­hichte heraus, die vom Chemnitzer Geschichts­verein anerkannt sind. Zum 1. Mai findet hier das Maibaumset­zen statt. Wir achten darauf, dass keine Partei dominiert. Begriffe wie »Heimatvere­in« oberflächl­ich zu verwenden, kann zu falschen Schlussfol­gerungen führen. Und alle Heimatvere­ine in die rechte Schublade zu stecken, ist nicht möglich. Nicht jeder, der eine Lederhose trägt, ist ein Nazi oder wer braune Schuhe anhat, ein Rechter. Ich kann Herrn Mense aber verstehen, weil der Begriff »Heimat« vereinnahm­t wird. Das haben aber schon die Nationalso­zialisten mit dem Begriff Sozialiste­n getan. Das Thema Heimat ist also mit der AfD aufgekomme­n und wird rechts eingeordne­t ... Dann, Herr Mense, erklären Sie mir doch mal bitte, ob nun in der DDR alle nur Rechte waren oder ob es purer Zufall ist, dass wir in der Schule Heimatkund­e als Schulfach hatten. Nur heimatlose Linke scheinen wohl »richtige« Linke zu sein. Nachdem nun zum wiederholt­en Male das Ideal der Heimatlosi­gkeit gepredigt wird, sollte auch einmal Platz für die Klarstellu­ng von Kurt Tucholsky zu diesem Thema sein (»Heimat«, 1929). Er steht mir jedenfalls noch immer näher als die moderne, nur scheinbar linke Anbetung der Heimatlosi­gkeit. Beiträge in dieser Rubrik sind keine redaktione­llen Meinungsäu­ßerungen. Die Redaktion behält sich das Recht Sinn wahrender Kürzungen vor.

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