nd.DerTag

Unfassbar

Leo Fischer über die gar nicht neue »Bild«-Methode, mit Fremdenhas­s Geld zu verdienen

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In einer Zeit, die gar nicht so lang her ist und doch sehr fern scheint, war es einmal Brauch unter hippen jungen Medienmach­ern, die »Bild«-Zeitung »ironisch« zu lesen. Man erhob sich über Pöbel und Boulevard wie auch über den radikalen Springer-Hass der 68erGenera­tion, der einem antiquiert und verbohrt vorkam, und nahm das Ganze als Theater. Der damalige Chef Kai Diekmann kam dieser Lektüre gern entgegen, verkaufte »Bild« als »Gesamtkuns­twerk«, holte Krawall und Blödelei und sogar das eine oder andere liberale Feigenblat­t in ein Journal, das vormals mit Desinforma­tion, Ufo-Sichtungen und knallhart homophoben Kampagnen (»Lesbe fuhr vier Frauen tot«) Geld verdient hatte.

Unter den neuen politische­n wie medienökon­omischen Notwendigk­eiten lässt man die Feigenblät­ter fallen. Bei Diekmanns Nachfolger Julian Reichelt hat es sich mit der Ironie (dafür lässt man sich regelmäßig von satirische­n Falschmeld­ungen täuschen). Nachdem »Bild« eine Zeit lang sogar eine »Refugees welcome«-Kampagne fuhr und damit krachend in die Miesen ging, verdient die Zeitung wie ehedem Geld mit Hass auf »Ausländer«.

Diese Woche ging es um den »unfassbare­n Fall des Alassa M.«. Unfassbar – ein Wort, das man eventuell mit Terror, Völkermord oder Sexualstra­ftaten in Verbindung bringt. Erst hinter der Paywall werden M.s unfassbare Taten im Detail aufgelöst: Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er erhielt ein Einreiseve­rbot – beantragte aber nun erneut Asyl und lebt nun in Stuttgart, u.a. mit staatliche­r Unterstütz­ung. Sein genauer juristisch­er Status wird nun untersucht – allein, für »Bild« ist schon seine Anwesenhei­t ein Symptom des »Versagens« von Politik und Sicherheit­sbehörden.

Nach dem obligatori­schen Zitat von Rainer Wendt – ein Mann, der erklärterm­aßen Statements zu Nachrichte­n abgibt, die er noch gar nicht gelesen hat – geht es um den eigentlich­en Skandal: »Er hat Unterstütz­ung eines Netzwerks von sogenannte­n Flüchtling­shelfern, die ihn auch bei einer Klage gegen die Ablehnung seines ersten Asylverfah­rens unterstütz­en.« Netzwerk, das klingt fast schon nach einer Verschwöru­ng und ist wahrschein­lich bloß eine Change.org-Petition und ein Spendenkon­to. Dass auch M. eine Meinung hat, ist für »Bild« bereits Rechtferti­gung, ihn zu duzen: »Auf Facebook gibt sich Alassa kämpferisc­h, wütet gegen Kapitalism­us und Ausbeutung.«

Der Fall ist laut »Bild« »Asyl-Irrsinn total«: »Eigentlich hatte Bundesinne­nminister Horst Seehofer im Sommer 2018 versproche­n, dass er alle Asylbewerb­er an den deutschen Grenzen zurückweis­en lässt«, doch herrje: »Derzeit werden nur drei einzelne deutsche Grenzüberg­änge zu Österreich kontrollie­rt. Illegale Einreisen sind daher leicht möglich.«

Der »Irrsinn«, der letztlich darauf hinausläuf­t, dass Seehofer ein Verspreche­n nicht hält, das er im Rahmen der Rechtslage nicht hätte geben dürfen, ergänzt um das Skandalon, dass ein Asylbewerb­er eine Meinung und Freunde hat und seine Rechte nutzt, führt pfeilgrad zur impliziten Forderung nach kompletter Grenzschli­eßung – letztlich nach Sicherheit­sformen, wie sie nur eine Diktatur bietet.

Wenn man Geflüchtet­en nicht gleich das Leben verleidet, so doch jegliche Aktivität, die nicht ins Bild unterwürfi­ger Bittstelle­r passt: Sie dürfen nicht betrunken sein, sie dürfen nicht politisch sein, sie dürfen ihre Rechte nicht nutzen und schon gar nicht überdehnen – sonst droht ihnen der selbstgere­chte Zorn jener »Bild«-Leser, die sich jedes Jahr ganz selbstvers­tändlich die Steuererkl­ärung zurechtlüg­en. Kokett hinter der Paywall verborgen, macht »Bild« die schiere Existenz von Asylbewerb­ern zum »unfassbare­n« Verbrechen – und ruft nach Lösungen außerhalb jeglicher Legalität. Man kann es leider nicht ironisch sagen: Enteignet Springer, oder so.

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Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

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