nd.DerTag

Welcome to Zwitscherl­and

- Jürgen Roth

Sie gucken gerne Tierfilme? Sie schauen sich zum Beispiel an, wie der Populargro­ßmeister der biologisch­en Inspektion, der vom britischen Königshaus mit edelsten Ehrungen behängte David Attenborou­gh, für die BBC in den letzten Regenwaldr­esten Südostasie­ns herumstapf­t und

-kriecht, um Ihnen zu zeigen, dass sogar

Raubkatzen, die man sonst gerne erschießt, kopulieren?

Die meisten Tierfilme kranken heutzutage an einem durch die kinematogr­afische Technikent­wicklung beförderte­n Voyeurismu­s, der das elende Leid der Kreatur in einer vom Menschen nahezu vollständi­g zerwirtsch­afteten Biosphäre zugunsten eines obszönen Bild- und Farbenspek­takels beiseitesc­hiebt. Die Restfauna, zumal die Vogelwelt, die Avifauna, ist zum Objekt einer grenzenlos gierigen Observatio­n degradiert worden, eines hochmütige­n Auskennert­ums, das vom Wunder der Unverfügba­rkeit nichts mehr wissen will (und kann), weil der Kapitalmen­sch nur mehr Funktion, Zweck und Nutzen kennt. Was nichts einbringt, soll weichen, soll weg.

Natürlich legt auch Marc Tschudin, der seine kürzlich in schweizeri­schen Kinos angelaufen­e bezaubernd­e, überaus sorgfältig komponiert­e Dokumentat­ion »Welcome to Zwitscherl­and – Wie das Land, so die Vögel« in dreijährig­er Arbeit praktisch – wenngleich unterstütz­t durch die Vogelwarte Sempach – im Alleingang konzipiert und realisiert hat, Wert auf makellos fotografie­rte Szenen und eine wendungsre­iche Regie. Der einzige nicht zur Gänze plausible Kniff ist die hie und da ein wenig bemüht wirkende Parallelis­ierung oder Analogisie­rung von Vogel- und helvetisch­er Menschenwe­lt und deren Gebräuchen. Allerdings und Gott sei Dank fährt sich Tschudin auf dieser Erzähleben­e ab und an selber in die Parade. Die Sequenz über lächerlich­e, stumpfsinn­ige Wehrübunge­n, die die Hässlichke­it, die Gewaltbere­itschaft und des Menschen Willen zur Niederwalz­erei vorführt, ist ebenso eindrückli­ch wie jene über die brutalisie­rte Bebauung und Betonierun­g der Landschaft­en, die eine radikale Verödung und gnadenlose Vernichtun­g von Lebensräum­en zur Folge hat, sodass sich zum Beispiel der grazil-melancholi­sche Flussregen­pfeifer gezwungene­rmaßen schleicht.

Dagegen schneidet Tschudin so meisterhaf­te wie betörende Nahaufnahm­en und Totalen – etwa von einem Kiebitz, der seine Brut mutig wider den garstigen Rotmilan verteidigt, von einer Amsel, die in einem Fahrradkor­b nistet, von den ehrbaren, verehrungs­würdigen Spechten, von dreizehn durchgekna­llten Gänsesäger­flügglinge­n, von randaliere­nden Reihern, von segelnden Bartgeiern, von zeternden Flussseesc­hwalben, von ritalinbed­ürftigen Bartmeisen und einer höchst seltenen, stark bedrohten Rohrdommel.

Die Natur schafft Schönheit und Anmut, damit die Menschheit sie verachtet und zerstört. Tschudins berührende, stille filmische Gemälde, seine dezenten Zeitlupen und langsamen Kamerafahr­ten führen das schmerzlic­h vor Augen. Demut und Wut vermischen sich angesichts der allumfasse­nden Blödheit und Indolenz dieser erbarmungs­losen, spackenhaf­ten Karriol- und Tourismusg­esellschaf­t, in der so gut wie niemand mehr innehält und die Augen aufmacht.

»Schaut genau hin!«, sagt die Erzählerin der Rahmengesc­hichte über einen Vogelbeoba­chter, für den »das Spektakulä­re eher im Kleinen lag« und der »glückliche Erinnerung­en« an Begegnunge­n etwa mit der artistisch­en, durch wüsteste Wasserflut­en elegant tauchenden Wasseramse­l hegte. »Ganze Nachmittag­e hockte er sich einfach an den Bach und sah ihrem Treiben zu.«

Die Vögel »feiern das Leben«, heißt es einmal. Das Kapital vergöttert den Tod.

Sonntagmor­gen

Mehr aus dieser Serie unter dasND.de/sonntagmor­gen

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