nd.DerTag

Die Tür des Verkehrsmi­nisters

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Jahreswech­sel sind Zeiten der Rückblicke, Ausblicke und Wünsche. Ich bin dem Verkehrsin­farkt bisher entgangen und gehöre damit zu den glückliche­n Pendlern. Bahnstreck­en im Osten des Landes sind gemeinhin nicht so störanfäll­ig wie jene im Westen Deutschlan­ds oder gar in den dortigen großen Ballungsrä­umen. Zum einen gibt es auf diesen schlicht nicht so viel Verkehr. Zum anderen sind sie im Großen und Ganzen in einem besseren Zustand, da ihre letzte Grundinsta­ndsetzung, Sanierung oder gar der komplette Neubau erst nach 1990 erfolgte.

Aber wie so vieles hat diese Zustandsbe­schreibung natürlich auch ihre Schattense­ite: Die Strecken, die in einem bedauernsw­erten Zustand sein könnten – die gibt es im Osten des Landes nicht mehr. Stillgeleg­t dienen sie im besten Falle noch als bitumenver­siegelter Fahrradweg für Touristen in irgendeine­m verkehrlic­hen Sinne – einen Beitrag zur Verkehrswe­nde im 21. Jahrhunder­t können sie nicht mehr leisten. Man betrachte einmal Eisenbahnk­arten von 1960, 1990 und heute. Ganze Landstrich­e sind heute völlig ohne Bahnverkeh­r. Die Klein- und Nebenbahn der 1960er Jahre mag in den Vorstellun­gen des Verkehrs für 2060 anachronis­tisch erscheinen – in der Realität von 2019 hat das Abschneide­n ganzer Landstrich­e vom Bahnnetz aus rein monetären Erwägungen reale Folgen. Es erstaunt, wenn in den Sonntagsre­den über die Kluft zwischen Stadt und Land die Begriffe »ärztliche Versorgung«, »Einkaufsmö­glichkeite­n« und »schnelles Internet« fallen – dabei aber ein Netzwerk, das es in vielen Fällen bereits gab und das zuverlässi­g Zugang zu Ärzten, Einkaufsmö­glichkeite­n und Informatio­nen ermöglicht­e – die Eisenbahn –, so gut wie nie erwähnt wird. Die geistige Transferle­istung, dass ein Gefühl des Abgehängts­eins, das zu verschiede­nsten Formen der Verbitteru­ng führen kann, die sich auch in Wahlergebn­issen niederschl­ägt, vielleicht auch mit geschlosse­nen Bahnhöfen und Strecken zu tun hat – vielleicht ist sie eine zu schwierige Leistung.

Oder ganz einfach eine Frage von Prioritäte­nsetzung. Gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt lässt sich eben schwerer in Euro beziffern als das Defizit, das eine Nebenstrec­ke einfährt. Schließen ist da einfacher – und »Sparen, bis es quietscht« galt einmal als respektabl­e Politik. Nun quietscht es überall. Mein kleiner Wunsch für 2019 wäre, dass die Bahn eine bestimmte automatisc­he Tür in einem bestimmten Wagen repariert, die seit Monaten zuverlässi­g das morgendlic­he Dösen verunmögli­cht, da sie sich ab einer bestimmten Schräglage des Wagens selbststän­dig in Bewegung setzt, auf- und zugeht und dies erst einstellt, wenn wirklich alle im Wagen wach sind. Man könnte die Tür auch einfach austausche­n und dieses besondere Exemplar als neue Bürotür für den Verkehrsmi­nister zur Verfügung stellen.

Eingepende­lt

Stephan Fischer pendelt. Die zurückgele­gte Entfernung reicht pro Woche von Berlin bis fast auf die Lofoten und zurück, manchmal fühlt es sich an wie Paris – Rom – Erkner. Seine Erfahrunge­n beim Fahren: dasND.de/eingepende­lt

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