nd.DerTag

INTERVIEW

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Wir waren die einzigen Schwarzen im Abteil. Die Polizeibea­mten sind direkt zu uns gekommen und dann weiter durch den Wagen gegangen und ausgestieg­en. Sie haben mir auch direkt gesagt, dass es eine Migrations­kontrolle ist. Also ist es nachvollzi­ehbar, dass er uns als potenziell­e Migranten verstanden hat und die weißen Menschen nicht.

Welche Rolle spielen rassistisc­he Polizeikon­trollen im Kontext einer verstärkt repressive­n Migrations­politik?

Ich glaube, das ist ein Teil von dem Gesamtpake­t rassistisc­her Kriminalis­ierung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Also wie die Polizei Schwarze oder rassifizie­rte Menschen sieht. Die Kriminalis­ierung, als Kriminalit­ätsbekämpf­ung, steht im Vordergrun­d. Menschen, die hier als vermeintli­che Ausländer gesehen werden, werden permanent kriminalis­iert – und zwar nicht innerhalb der eigenen vier Wände, sondern diese Kriminalis­ierung muss für alle sichtbar sein. Damit leben sie in ständiger Unsicherhe­it. Auch diese Zugkontrol­len dienen der Kriminalis­ierung, auch wenn es in unserem Fall noch vergleichs­weise harmlos ist, also nicht lebensbedr­ohlich wie für geflüchtet­e Menschen. Diese Kriminalis­ierung geht einher mit Angriffen, sowohl von staatliche­r Seite als auch von Seiten der Bevölkerun­g. Das hat noch einen anderen Effekt: das brutale Vorgehen der Polizei, beispielsw­eise in bayrischen Geflüchtet­enunterkün­ften, wird legitimier­t, indem sie ständig von Ausländerk­riminalitä­t reden. Auch die Aussage des Innenminis­ters Horst Seehofer – kriminelle Ausländer müssen abschoben werden – als ob wir nicht in einem Rechtsstaa­t leben würden.

Gibt es in letzter Zeit ein größeres Bedürfnis, das Bild einer starken handlungsf­ähigen Polizei zu inszeniere­n?

Nein, ich denke das war immer so. Seit ich in der Bundesrepu­blik lebe, seit 30 Jahren, gab es immer diese Kriminalis­ierung. Aber es gibt bestimmte Zeiten, wo es günstiger ist, solche Meinungen zu verbreiten und es gibt Zeiten, wo einem so etwas nicht abgekauft wird. Viele Menschen haben etwa gar nicht bemerkt, dass die Gesetze so geändert worden sind, so dass die Polizei jetzt alles als Angriff werten kann. Denken wir an die 90er Jahre, wo sogenannte Ausländerh­eime angezündet wurden. Plötzlich kam der Wunsch auf, das Asylgesetz zu ändern – und es hat auch geklappt. So ähnlich ist es auch jetzt. Jede Form brutaler Polizeigew­alt könnte man so legitimier­en.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Erst neulich war ich bei einem Gerichtspr­ozess, wo die Polizei ihre Beweisführ­ung nicht logisch erklären konnte. Es gab Hunderte von Lücken und das Gericht hat das auch erkannt. Sie haben ausgesagt, dass der Angeklagte einen grauen Kapuzenpul­li anhatte, doch der wurde nirgends gefunden und war auch auf den Beweisfoto­s der Polizei nicht zu sehen. Trotzdem wurde der Aussage geglaubt – denn warum sollte ein Polizist, ein unbescholt­ener Bürger, lügen. Der Angeklagte war aber auch ein unbescholt­ener Bürger, er hatte keinen Eintrag und sie haben keine Drogen bei ihm gefunden. Aber er war Schwarz. Am Ende wurde er verurteilt.

Wie hängt das damit zusammen, wie Skandale innerhalb der Polizei behandelt werden, zum Beispiel der Tod von Ahmed Amed in einer Polizeizel­le in Kleve im vorigen Jahr?

Im Fall Ahmed Amed wird es genauso laufen wie bei Oury Jalloh. Es wird heißen, der Arme war so überforder­t, dass er sich umgebracht hat. Das sind keine Ereignisse, die für sich stehen – sie haben Signalkraf­t. Es zeigt, wer dazu gehört und wer nicht. Für die weiße Bevölkerun­g heißt das: Euch schützen wir. Wir stehen zusammen. Kritisiert uns nicht zu hart, das sind leider notwendige Maßnahmen – und wenn wir zusammen gehören, dann müssen wir gemeinsam diese andere Gruppe bekämpfen.

War das schon immer so?

Nein, es war nicht immer das Gleiche. Aber in den letzten drei, vier Jahren hat es eine Polarisier­ung gegeben. Die konservati­ven, rechten Politiker versuchen diese Polarisier­ung aufrecht zu erhalten, um ihre menschenve­rachtende Politik – und ich meine damit nicht »Law-and-OrderPolit­ik«, sondern Wohnungsma­rktpolitik, Sozialpoli­tik oder Außenpolit­ik – zu legitimier­en. Es muss Angst erzeugt werden, die weiße Mehrheitsb­evölkerung muss sich bedroht fühlen, dann sind sie bereit, erkämpfte Freiheiten aufzugeben und für eigene Misere die »Ausländer«, »Schwarze« oder »sichtbare Minderheit­en« verantwort­lich zu machen. Ich denke, dass eine rassistisc­he »Law-and-Order-Politik« nicht zu trennen ist von Klassenpol­itik. Wenn man das nicht im Zusammenha­ng sieht, dann macht man meines Erachtens einen Fehler. Und damit meine ich jetzt nicht die staatliche­n Akteure, sondern linke Kräfte. Linker Aktivismus muss Klassenpol­itik und Rassismus zusammen denken.

 ?? Foto: imago/Christian Ditsch ?? Biplab Basu ist Historiker, Mitbegründ­er der Kampagne für Opfer rassistisc­her Polizeigew­alt (KOP) und Mitarbeite­r der Beratungss­telle ReachOut. Mit ihm sprach Ulrike Wagener.
Foto: imago/Christian Ditsch Biplab Basu ist Historiker, Mitbegründ­er der Kampagne für Opfer rassistisc­her Polizeigew­alt (KOP) und Mitarbeite­r der Beratungss­telle ReachOut. Mit ihm sprach Ulrike Wagener.

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