Vom alten und neuen Maß der Dinge
Das Pariser Technikmuseum zeigt eine Ausstellung über die Geschichte von Maßen und Gewichten.
Am Ende war das Kilogramm an der Reihe. Im November definierte die Generalkonferenz für Maße und Gewichte das Kilogramm neu, als letztes der sieben Grundelemente des metrischen Systems. Aus diesem Anlass zeigt das Pariser Musée des Arts et Métiers die Ausstellung »Die 7 Einheiten der Welt« über die Geschichte der Maße und Gewichte.
Der Ort für die Ausstellung hätte nicht besser gewählt werden können. Denn das Technikmuseum ist aus dem Conservatoire des Arts et Métiers hervorgegangen, einer Handwerks- und Gewerbeschule, deren Gründung der Nationalkonvent, das Parlament der Französischen Revolution, 1793 zugleich mit der Einführung des metrischen Systems beschlossen hatte. Es ist in einem ehemaligen Kloster untergebracht, das durch die Revolution in einen »Tempel der Technik« umgewidmet wurde.
Jedes Land, das sich dem neuen Maßsystem anschloss, erhielt Kopien der in Paris verwahrten Prototypen von Wahlmaschine, 1909–1910 Ur-Meter und Ur-Kilogramm. Im Gegenzug erhielt das Conservatoire aus diesen Ländern Normierungsexemplare der Maße und Gewichte, die dort zuvor gegolten hatten. Aus diesem Fundus von rund 900 Exponaten, die nur zu einem geringen Teil ständig im Museum gezeigt werden können, präsentiert die Ausstellung einige besonders attraktive Stücke.
Von alters her wurden Längenmaße auf den Menschen zurückgeführt und beispielsweise nach seiner Elle (Unterarm), seinem Fuß, der Spanne seiner Hand oder der Daumenbreite (Zoll) benannt. Für größere Entfernungen führten die Römer die Meile ein, die 1000 Doppelschritten zu je fünf Fuß entsprach. Von den Längenmaßen wurden die Hohlmaße und von diesen – gefüllt mit Flüssigkeiten oder Korn – wiederum die Gewichte abgeleitet. Es gab Dutzende solcher Maße, die aber je nach Königreich, Provinz und sogar in einzelnen Städten sehr unterschiedlich ausfielen und nicht miteinander vergleichbar waren. So entsprach ein Pfund in Paris längst nicht dem in Lyon. Die im 18. Jahrhundert sich entwickelnden Manufakturen und mehr noch die Industrie des 19. Jahrhunderts brauchten dringend eine Vereinheitlichung der Maße und Gewichte. Die brachte das von französischen Wissenschaftlern entwickelte metrische System mit seiner Dezimalunterteilung. Die Referenzgröße war der Meter, der als zehnmillionster Teil des Erdmeridianquadranten – also der Strecke vom Pol zum Äquator – definiert wurde. Dazu wurde eigens der durch Frankreich führende Meridian zwischen Dünkirchen und Barcelona neu vermessen. Die dabei verwendeten Sextanten sind in der Ausstellung zu sehen, ebenso wie zahlreiche andere Messgeräte aus dieser Zeit. Das Ur-Meter – ein Stab aus einer Platin-Iridium-Legierung, der ebenso wie seine Gussform in der Ausstellung vertreten ist – wurde im Nationalarchiv in Paris deponiert. Die Kopien dieses Prototyps dienten im In- und Ausland als offizielle Norm-Maße.
Vom Meter ausgehend wurde als amtliches Hohlmaß der Liter definiert als ein Würfel mit einer Kantenlänge von einem Zehntel Meter. Amtliches Gewicht wurde das Kilogramm als die Masse eines Liters Wasser. All das war pragmatisch gedacht und ist auf den ersten Blick überall vergleichbar, denn jedes Land durchzieht ein Meridian und überall gibt es Wasser. Das metrische System setzte sich von Frankreich ausgehend zwar nicht ohne Hindernisse, aber mit der Zeit doch fast überall in der Welt durch. Heute ist es nur in den USA nicht verbindlich, und in Großbritannien existiert es noch in Konkurrenz zum historischen englischen System.
Es gab aber auch Probleme bei der Umsetzung. Bei der Zeitmessung musste man sogar einen kompletten Rückzieher machen. Die Zeit wird schon seit den alten Sumerern in einem anderen System gemessen. Die Babylonier teilten die Zeit nach einem System ein, das auf der Basis 60 beruht und nach dem die Stunde 60 Minuten und die Minute 60 Sekunden hat. Auf diesem System beruht auch die Einteilung des Kreises in 360 Grad. Und die alten Ägypter maßen den Tag in zweimal zwölf Stunden.
Den Tag nun nach dem metrischen System in zweimal zehn Stunden zu unterteilen, war schnell beschlossen und entsprechende Uhren sind in der Ausstellung zu sehen. Doch das wurde nicht einmal im revolutionären Frankreich von der Bevölkerung angenommen und so musste hier die Reform sehr bald zurückgenommen werden. Es blieb bei den Zwölf-Stunden-Zeiträumen und deren 60er-Unterteilung.
Auch andere Maße und Messgeräte, die nicht in das metrische System einzugliedern waren, sind in der Ausstellung zu sehen, die dafür eine »Kuriositätenkammer« hat. Beispielsweise gibt es für Autos immer noch die Pferdestärke, die ursprünglich definiert wurde als die Arbeit, die ein Pferd leistet, wenn es ein Gewicht von 75 kg in einer Sekunde einen Meter hoch zieht. Im »Kuriositätenkabinett« der Ausstellung ist auch ein kompliziertes Gerät zu sehen, das man jemandem auf den Kopf setzen und mit verschiedenen Schiebern und Schrauben dessen Form vermessen kann, um davon ausgehend einen Hut nach Maß anzufertigen. Auch ein Armband ist zu sehen, das als eine Art Fieberthermometer diente, denn es waren Glasröhrchen mit Flüssigkeiten und farbigen Kugeln eingearbeitet, die sich je nach Temperatur in unterschiedliche Richtung bewegten. Gezeigt wird auch ein sehr kompliziertes Gerät zur Vorausberechnung von Ebbe und Flut, das der als Lord Kelvin bekannte Brite William Thomson entwickelt hatte, von dem auch die heute geltende thermodynamische Temperaturskala stammt.
Die Genauigkeit der Maßeinheiten, wie sie 1793 für das metrische System entwickelt wurden und die 1875 durch eine internationale Konferenz noch um diverse Ur-Maße für Mechanik, Elektrizität und andere Anwendungen ergänzt wurden, reichten lange aus. Doch seit einigen Jahrzehnten gab es
Das Kilogramm war der Schlusspunkt Als letztes der sieben Hauptelemente des Internationalen Einheitssystems SI (Système internationale d'unités) – Meter, Kilogramm, Ampere, Sekunde, Kelvin, Mol und Candela – wurde durch die SI-Weltkonferenz Ende November in Versailles bei Paris das Kilogramm neu definiert. Das hat auch Konsequenzen für das Mol und das Ampere, die sich aufs Kilo beziehen. Die Vertreter aus 60 Ländern einigten sich auf zwei Methoden, die die Mitgliedsländer des metrischen Systems wahlweise bei sich anwenden können: die Kilo-Definition auf der Grundlage der Planckschen Konstante nach der Avogadro-Methode oder mit Hilfe der Watt-Waage. Diese neue Art der Berechnung des Kilos tritt offiziell im Mai 2019 in Kraft. Für den Alltag der Menschen wird sich dadurch nichts ändern und niemand wird davon etwas bemerken. verstärkt Kritik wegen Schwankungen, die im Alltagsleben keine Rolle spielen, wohl aber für die Wissenschaft und für Hochtechnologien. So kann die Länge des Ur-Meter je nach Temperatur um winzige Bruchteile schwanken und das Ur-Kilogramm, das vorsichtshalber unter mehreren Glasglocken luftdicht untergebracht ist, hat Kontrollmessungen zufolge im Laufe der Zeit um Tausendstel Bruchteile eines Gramm abgenommen, was wohl auf chemische Prozesse zurückzuführen ist.
Darum wurden für die Bedürfnisse der Wissenschaft sowie von Hochtechnologien wie Mikroelektronik oder Raumfahrt nach und nach alle Maßeinheiten neu definiert. Seitdem gibt es keinen Bezug zu einem physischen Gegenstand mehr. Statt dessen dienen Naturkonstanten wie etwa Lichtgeschwindigkeit, Ladung des Elektrons oder das Plancksche Wirkungsquantum als Grundlage der Maßeinheiten.
Das Ur-Meter aus Platin hatte schon 1983 ausgedient, als man den Meter als die Strecke definierte, die das Licht im Vakuum während der Dauer von
1/299 792 458 Sekunde zurücklegt. Die Neudefinitionen werden in einem Raum der Ausstellung anhand von einem Dutzend weiterer Maßeinheiten wie beispielsweise Kilo für
Masse, Kelvin für Temperatur, Ampere für Stromstärke, Mol für die chemische Stoffmenge oder Candela für Lichtintensität vorgestellt. Die zugehörigen komplizierten Formeln werden in Videos von Experten erläutert. Das ist sehenswert und hochinteressant, aber so ganz verstanden haben es sicher die wenigsten Besucher, wenn sie die Ausstellung tief beeindruckt verlassen.
Die Ausstellung »Sur mesure, les
7 unités du monde« ist bis zum 5. Mai im Pariser Musée des Arts et Métiers (60 rue Réaumur) zu sehen. Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21.30 Uhr. Einer der Sextanten, Höhenmesser