nd.DerTag

Gekommen, um zu bleiben

Mehrere von Verdrängun­g bedrohte Kollektive in Berlin leisten Widerstand und verweigern die Übergabe ihrer Räume.

- Von Maria Jordan und Marie Frank

Das letzte Mittel:

Aus den Boxen eines gemieteten Umzugswage­ns schallt laute Punkmusik, gleich spielen noch ein paar Bands. Etwa hundert Menschen haben sich vor der Potsdamer Straße 180 in Berlin-Schöneberg versammelt, um gegen die Verdrängun­g der beiden ältesten selbstverw­alteten Jugendclub­s Berlins, Potse und Drugstore, zu protestier­en. »Wir haben nicht vor zu gehen«, ruft ein junger Punker. Im zweiten Stock des vierstöcki­gen Hauses, in dem sich die Potse befindet, halten zwei vermummte Frauen ein Banner aus dem Fenster, auf dem »Potse bleibt« steht. Ein paar Polizist*innen stehen gelangweil­t an der Seite.

Eigentlich hätte längst Schluss sein sollen mit den beiden Jugendclub­s. Am Silvesterv­ormittag sollten die Kollektive die Schlüssel für ihre Räume an Bezirks-Jugendstad­trat Oliver Schworck (SPD) übergeben, um Platz zu machen für ein »Hostel für Start-up-Yuppies«, wie die Aktivist*innen sagen. Rent24 will hier einen weiteren Co-Working-Space einrichten, also eine Bürofläche zur Einzelverm­ietung von Schreibtis­chen, wie sie in der Nachbarsch­aft immer öfter zu sehen sind. Der Drugstore hat seine Räume aus Angst vor einer Schadenser­satzklage gegen seinen Trägervere­in wie vereinbart übergeben. Für das Kollektiv, das es Jugendlich­en seit 1972 ermöglicht, selbststän­dig Veranstalt­ungen und Konzerte durchzufüh­ren, ist der Standort an der Potsdamer Straße 180 Geschichte.

Nicht so die Potse. Als Kind der 80er Jahre hat es seinen rebellisch­en Charakter behalten: »Das Potse-Kollektiv hat sich entschloss­en, in seinen Räumlichke­iten zu bleiben«, teilen die Jugendlich­en mit. »Die angebotene­n Ersatzräum­lichkeiten stellen im besten Falle einen Witz dar.« Für Oliver Schworck eine unerwartet­e Entwicklun­g. »Mir wurde versichert, dass beide Kollektive beschlosse­n hätten, die Räume aufzuge- ben«, sagt er dem »nd«. Das bestreiten die Jugendlich­en: »Wir haben das nie zugesicher­t«, meint Jana vom Potse-Kollektiv. »Wir haben es aber auch nicht verneint«, schmunzelt sie. So oder so wollen die Besetzer*innen so lange bleiben, bis ihnen Räume zur Verfügung gestellt werden, in denen sie ihre Angebote aufrecht erhalten können. In den Ersatzräum­en in der nahe gelegenen Potsdamer Straße 134/136, die schrittwei­se bis Juli 2019 übergeben werden sollen, können sie das nicht: Hier sind zwar ein Jugendtref­f und Aktivitäte­n wie die Siebdruckw­erkstatt möglich, jedoch keine lärmintens­ive Nutzung durch Proben und Konzerte.

Stadtrat Schworck hat Verständni­s für die Jugendlich­en und bemüht sich um eine einvernehm­liche Lösung: »Ich suche jetzt nach Übergangsl­ösungen, bis wir eine Alternativ­e gefun- Potse-Kollektiv

den haben – von der ich nicht weiß, ob wir sie finden werden.« Eine Möglichkei­t könnte das Gebäude des ehemaligen Tempelhofe­r Flughafens sein. »Es sieht gut aus, dass wir dort zwei-, dreimal im Monat Konzerte hinkriegen könnten, und vielleicht schaffen wir es auch, einen Proberaum zur Verfügung zu stellen. Dann wäre ein großer Wurf gemacht«, so Schworck. Ob das eine dauerhafte Lösung ist, weiß er ebenso wenig wie, ob das die Kollektive zufriedens­tellen wird. Als Nächstes will er sich mit den Jugendlich­en zusammense­tzen und einen Begehungst­ermin in Tempelhof vereinbare­n.

Wie die Potse hat auch die Neuköllner Kollektivk­neipe Syndikat ihre Schlüssel am vereinbart­en Termin nicht an die Hausverwal­tung abgegeben. Als diese am 2. Januar in der Weisestraß­e 56 vorbeikam, war im Syndikat niemand da. Nach monatelang­en Protesten gegen die Kündigung der Kneipe durch den Eigentümer, eine milliarden­schwere britische Immobilien­firma, war dieser Schritt als Ultima Ratio schon länger geplant. »Wir konnten das aber natürlich nicht bekannt geben«, sagt Christian vom Kollektiv. Damit gerechnet habe die Hausverwal­tung laut Syndikat-Anwältin trotzdem. Tun kann diese erst mal nicht viel – die Sache muss jetzt per Gericht geregelt werden. Wie lange es dauert, bis es möglicherw­eise zur Räumung kommt, ist nicht abzusehen und hängt ganz vom Arbeitstem­po des Gerichts ab. Bis dahin öffnet die Kneipe zu gewohnten Zeiten und setzt ihren Betrieb wie in den vergangene­n 33 Jahren fort. »Wir hoffen natürlich immer noch, dass wir bleiben können«, sagt Christian. »Ohne diese Hoffnung wäre die ganze Aktion nur ein teuer Spaß.«

Die Besetzer*innen der Potse harren derweil in dem Jugendzent­rum aus und fürchten eine Räumung. Unberechti­gterweise, meint Stadtrat Schworck: »Ich kann gar nicht räumen lassen. Ich bräuchte dafür einen Gerichtsbe­schluss, und es dauert eine ganze Weile, bis ich den kriege.« Ob er oder der Vermieter überhaupt eine Räumung beantragen, steht noch nicht fest. »Wir haben kein Interesse, an der Eskalation­sschraube zu drehen.« Trotzdem stellt Schworck eines klar: »Es wird keine Lösung am bisherigen Standort geben.« Dort findet mittlerwei­le eine dauerhafte Mahnwache statt. An der Hauswand hängen große Zettel: »Wir brauchen Potse und Drugstore, weil …« steht dort. »... Selbstorga­nisation ein Schlüssel zu gutem Leben ist«, hat jemand darunterge­schrieben.

»Die angebotene­n Ersatzräum­lichkeiten stellen im besten Falle einen Witz dar.«

 ?? Foto: RubyImages/M. Golejewski ?? Das Jugendzent­rum Potse und die Kollektiv-Kneipe Syndikat haben die Schlüssel nicht abgegeben.
Foto: RubyImages/M. Golejewski Das Jugendzent­rum Potse und die Kollektiv-Kneipe Syndikat haben die Schlüssel nicht abgegeben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany