Der Kampf um Zuschauer
Zum Glück für den HCL hat er einige der talentiertesten Nachwuchsspielerinnen des Landes in seinen Reihen. 2017 war die B-Jugend unter Dietrichs Führung Deutscher Meister geworden. Ein paar Wochen später mussten sich die 16-Jährigen plötzlich als erste Mannschaft in der 3. Liga durchbeißen. Das Team hatte einen Altersschnitt von 16,4 Jahren. »Wir wussten, da sind sehr interessante Mädels dabei. Schon deswegen hat es sich gelohnt weiterzumachen. Wir wollten versuchen, sie hier zu halten und weiterzuentwickeln«, sagt Vizepräsident Jochen Holz, lange Lehrer am Sportgymnasium und auch Co-Trainer des Profiteams.
Auch jetzt, da etwas erfahrenere Spielerinnen wie Laura Majer, Christin Conrad und die Zwillingsschwestern Jaqueline und Stefanie Hummel dazugekommen sind, stellen die Leipzigerinnen mit durchschnittlich 19 Jahren noch das jüngste Team der Liga. »Wir haben nur Spielerinnen dazugeholt, die wissen, worum es geht und wie es bei uns läuft«, betont Holz. Der 66-Jährige ist längst Pensionär, geht aber beim HCL wie Hennig im Grunde einem Vollzeitjob nach – ehrenamtlich. Zwei betagte Enthusiasten, die es noch mal wissen wollen, mit großem Elan bei der Sache sind und das noch junge Erfolgskonstrukt etwa durch einen Wirtschaftsbeirat peu à peu professioneller aufstellen.
Die neuen »Macher« legten Wert darauf, bis auf die niederländische Nachwuchs-Nationaltorhüterin Ellen Janssen, nur Spielerinnen zu verpflichten, die schon mal beim HCL waren. Außer Janssen besteht also das gesamte Team aus Eigengewächsen – im Profisport eigentlich ein romantischer Anachronismus, doch beim HCL sorgt das für Zusammenhalt und Identifikation. Innerhalb des Teams und mit den Fans.
Letztere kommen immer zahlreicher, um dem HCL beim Aufstehen zuzuschauen. Beim Derby gegen Chemnitz war die »Brüderhölle« mit 860 Zuschauern fast ausverkauft. Beim letzten Heimspiel vor dem Jahreswechsel gegen Kleenheim, als zeitgleich der Männer-Bundesligist DHfK spielte, kamen immer noch 600 Fans. Beide großen Handballklubs der Stadt schätzen einander, unterhalten freundschaftliche Kontakte. »Wirtschaftlich«, räumt Vereinsvorstand Hennig aber ein, sei es »nicht so berauschend«, dass mit DHfK ein weiterer Handballklub Sponsoren bindet. Wesentlicher sei aber der Kampf um die Zuschauer. »Entweder man hat für RB Leipzig, DHfK oder uns das Eintrittsgeld. Für alle drei wird es knapp«, sagt Hennig.
Dass Dietrich jetzt Chefcoach ist und nicht mehr die langjährige Drittligatrainerin Marion Mendel, war eine Entscheidung der sportlichen Zielstellung: »Wir waren der Auffassung, dass wir den Aufstieg eher mit ihm schaffen«, erklärt Holz den Trainerwechsel zum Saisonstart, auch wenn Dietrich als sächsischer Landestrainer noch einem zweiten Fulltime-Job nachgeht. Der 31jährige Weimarer legt Wert auf eine gallige Abwehr, »in der wir uns füreinander aufop- fern«, rasante Gegenstöße mit vielen einfachen Toren und einen variablen Angriff. Alles keine Geheimnisse des Handballs, doch ein klarer Kurs, der zum Erfolg führt, wird er so akribisch und motiviert umgesetzt wie Dietrich und sein Team das tun.
100 000 Euro fehlen noch
Zusammen haben sie wieder eine Gewinnermentalität entwickelt. »Jacob bringt frischen Wind rein, stellt uns taktisch sehr gut ein«, lobt Kapitän Jaqueline Hummel. Dietrich sitzt nachts oft noch stundenlang vor dem Rechner, beobachtet im Videostudium die Gegner und berät sich am nächsten Tag mit den Spielerinnen. »Weil er nicht der erfahrenste Trainer ist, nimmt er uns mit ins Boot«, sagt Hummel. Dietrich habe immer ein offenes Ohr für Hinweise aus der Mannschaft. Das schweißt zusammen.
Nun steht der HCL vor der ersten großen Wegmarke seit dem Neuanfang. Um in der 2. Liga auch wirtschaftlich mithalten zu können, fehlen noch knapp 100 000 Euro. Insgesamt gut 300 000 Euro seien nötig, um im Bundesliga-Unterhaus antreten zu können, sagt Hennig. Doch der Krisenmanager strahlt reichlich Optimismus aus, dass er das Geld bis zum Sommer zusammenbekommt. Über allem steht freilich die Maßgabe, sich nicht noch einmal zu übernehmen. Gleichwohl weiß der Klub, dass seine Talente begehrt sind und er sportlich, finanziell und strukturell ein Umfeld bieten muss, das ihn weiter interessant erhält.
Viele Akteurinnen machen im Sommer ihr Abitur. »Es wird eine Kernaufgabe sein, die Mannschaft zusammenzuhalten«, sagt Trainer Dietrich. »Unsere Spielerinnen sind unter Beobachtung von Erst- und Zweitligisten.« Alle Spielerinnen über 18 Jahren wurden mit Verträgen ausgestattet, die jedoch nur ein Jahr laufen. »Damit haben wir ihnen signalisiert: Wir wollen mit euch die Zukunft gestalten«, sagt Hennig. Ob es gelingt, ist offen. Jaqueline Hummel möchte sich wie viele Mitspielerinnen noch nicht festlegen.
Wenn es gelänge, einen Großteil vom neuen Leipziger Weg zu überzeugen, ist es laut Holz »sportlich nicht illusorisch, in zwei, maximal drei Jahren in die 1. Liga aufzusteigen. Was dafür finanziell notwendig ist, ist das Problem.« Beim HCL gehen sie erst mal Schritt für Schritt. Der nächste lautet: Meisterschaft in der 3. Liga. Dann ein Erfolg in der Relegation, um den Aufstieg klarzumachen – nur drei der vier Drittligameister steigen auf. Dafür gäbe es auch einen Pokal. Und der erste des neuen HCL bekäme sicher einen Ehrenplatz.
(am Ball), Tochter von Handballikone Stefan Kretzschmar, spielt für den HCL.