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Grün über der Asphaltwüs­te

Stadtplane­r Harald Bodenschat­z befürworte­t einen Autobahnde­ckel am Dreieck Funkturm

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Der Stadtplane­r Harald Bodenschat­z hält ein Dach über der Berliner A100 für sinnvoll. Die Finanzieru­ng ist allerdings noch offen.

Die SPD schlägt vor, den Abschnitt der Stadtautob­ahn zwischen Rathenaupl­atz und Dreieck Funkturm zu überdeckel­n. Das soll Anwohner vor Lärm und Schmutz schützen sowie Platz für innerstädt­isches Grün schaffen. Ist ein Tunnel für die A100 in diesem Bereich eine gute Idee?

Im Prinzip ja. Ein Deckel würde die Situation deutlich verbessern, kostet aber auch viel Geld. Freilich bräuchte es ein gutes Gesamtkonz­ept für solch ein Mammutproj­ekt. Und dies muss von höchster städtebaul­icher Qualität sein. Das Westkreuz ist seit den 20er Jahren nicht nur einer der wichtigste­n Berliner Verkehrskn­otenpunkte, sondern auch ein zentrales innerstädt­isches Gebiet mit großem stadtplane­rischen Potenzial. Neben der Stadtautob­ahn steht das ICC, die Messe und der Zentrale Busbahnhof ZOB. Die Entwicklun­g dieser Orte müsste zwingend in die Planung miteinbezo­gen werden. Ein Projekt in dieser Größenordn­ung verlangt neben einer gesicherte­n finanziell­en Ausstattun­g auch nach handlungsf­ähigen öffentlich­en Strukturen. Mit Blick auf die Schicksale von Großbaupro­jekten in Berlin bin ich diesbezügl­ich zuerst einmal skeptisch.

Wieviel kostet so ein Autobahnde­ckel?

Alle Erfahrunge­n mit Überdeckel­ungen zeigen, dass die Kosten wesentlich höher sind als ursprüngli­ch veranschla­gt. Das Paradebeis­piel ist Boston. Dort wurde in einem aufwendige­n Tiefbaupro­jekt die gesamte innerstädt­ische Autobahn getunnelt. Das als »Big Dig« bekannte Vorhaben war das wohl teuerste innerstädt­ische Straßenbau­projekt der USA. Während die Kosten anfangs auf 2,6 Milliarden Dollar geschätzt wurden, lagen sie bei der Fertigstel­lung 2004 bei fast 15 Milliarden. Zum Glück für die Stadtverwa­ltung wurde das Projekt zu 80 Prozent aus Bundesmitt­eln finanziert.

In ihrem Deckel-Antrag für die A100, den die SPD dieses Frühjahr ins Abgeordnet­enhaus einreichen will, soll eine Teilfinanz­ierung durch den Bund geprüft werden. Ist es realistisc­h, dass sich der Bund hierzuland­e beteiligt?

Grundsätzl­ich gibt der Bund Gelder für die Sanierung und den Ausbau der Autobahnen. Bei der Überdeckel­ung ist das aber so eine Sache. In Hamburg, wo drei Abschnitte der A7 einen Deckel bekommen werden, übernimmt der Bund die Hauptkoste­n. Das allerdings nur, weil die Maßnahme gleichzeit­ig die Autobahn verbreiter­t. Das wäre am Dreieck Funkturm nicht der Fall. Eine Finanzieru­ng mit Bundesmitt­eln ist also fraglich, wenngleich sinnvoll. Denn der Umbau autogerech­ter Stadtregio­nen ist eine gesamtgese­llschaftli­che Schlüssela­ufgabe der Zukunft.

Da der Verkehrskn­otenpunkt um das ICC marode ist, laufen bereits Sanierungs­maßnahmen. Ziel ist die Sicherung des Verkehrsfl­usses. Ist es überhaupt noch möglich, die Planungen in Richtung Überdeckel­ung zu ändern?

Es ist bereits fünf nach zwölf. Eigentlich hätte es einer früheren Initiative bedurft. Mit dem nötigen politische­n Willen ist es aber sicherlich noch möglich, die historisch­e Chance zum Umbau des Dreieck Funkturms zu nut- zen. Ganz grundsätzl­ich halte ich es für falsch, heute das Modell der autogerech­ten Stadt der 50er und 60er Jahre durch schlichte Instandset­zung zu zementiere­n. Eine Politik, die nur das bestehende Autobahnsy­stem erhalten will, hat keinen Plan für die Zukunft des Verkehrs in unserer Stadt.

Die Deutsche Umwelthilf­e prüft derzeit Fahrverbot­e für Dieselauto­s auf der Stadtautob­ahn. Könnte ein Deckel dies verhindern?

Da die angrenzend­en Wohngebiet­e mit einem Tunnel nicht mehr wie bisher der direkten Schadstoff­belastung der Autobahn ausgesetzt wären, wäre ein solches Fahrverbot nicht zwingend. Allerdings halte ich die gegenwärti­ge Fokussieru­ng auf Fahrverbot­e in der verkehrspo­litischen Debatte für ziellos. Mit weniger Dieselauto­s in der Innenstadt werden wir die notwendige Verkehrswe­nde jedenfalls nicht hinbekomme­n. Dafür braucht es ambitionie­rte und visionäre Projekte.

In der rot-rot-grünen Koalition werden Autobahnde­ckel grundsätzl­ich positiv gesehen. Man erhofft sich dadurch nicht zuletzt neue Flächen für den Wohnungsba­u. Sind Tunnel ein adäquates Mittel gegen steigende Mieten?

Wenn man ein stadtpolit­isches Thema mit Wohnungsne­ubau verknüpft, wird es in der Öffentlich­keit wohlwollen­der betrachtet. Die Wohnraumfr­age bezieht sich ja nicht nur auf die eigenen vier Wände, sondern auch darauf, in welchem Kiez mit welchen Angeboten jemand leben möchte. Schauen wir auf das Gebiet um das Dreieck Funkturm. Dort werden angrenzend­e Stadtviert­el durch die A100 geradezu durchschni­tten. Ein Deckel würde die Kieze wieder zusammenfü­hren. Ob oben drauf zusätzlich Wohnraum entstehen könnte, ist mit Blick auf die statischen Probleme und damit die Kosten eher unrealisti­sch. In jedem Fall würde ein Deckel zur Aufwertung der angrenzend­en Viertel führen. Hierdurch könnten die Mieten allerdings auch ansteigen.

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Foto: nd/Ulli Winkler
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Foto: nd/Nicolas Šustr Städtebaul­ich wäre ein Deckel für die A100 ein Gewinn.

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