Verhinderte Aufklärung
14. Todestag: Initiative erinnert an den in Polizeigewahrsam verbrannten Oury Jalloh
Dessau. »Oury Jalloh – das war Mord«, unter diesem Motto standen viele Jahre lang die Demonstrationen der Bürgerinitiative, die sich die Aufklärung der Todesumstände des Asylbewerbers auf die Fahnen geschrieben hat. Im April 2017 kam endlich auch der Oberstaatsanwalt Folker Bittmann zu der Einschätzung, dass die von der Justiz bis dahin stur vertretene These vom Selbstmord nicht haltbar sei. Doch in dem Moment, in dem Bittmann ein neues Verfahren gegen zwei Polizeibeamte wegen Mordes zur mutmaßlichen Vertuschung von Misshandlungen anstrebte, wurde ihm der Fall entzogen und das Verfahren ein- gestellt. Und im November 2018 wies der Naumburger Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad eine Klage gegen die Einstellung ab. Zuvor hatte auch der Bundesgerichtshof den Antrag Bittmanns abgewiesen, das Verfahren an sich zu ziehen.
Auch am heutigen Montag wird anlässlich des 14. Todestages mit einer Demonstration an den Mann erinnert, der vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone geflohen war und am 7. Januar 2005 im Alter von 36 Jahren in einer Polizeizelle verbrannt war – gefesselt an Händen und Füßen auf einer feuerfesten Matratze. Mehrere Gutachter sind zu der Auffassung gekommen, dass das Feuer mit Hilfe von Brandbeschleuniger entfacht worden ist. Und auch Oberstaatsanwalt Bittmann ist sich sicher, dass Jalloh schon vor Ausbruch des Feuers tot oder handlungsunfähig war.
Die Bürgerinitiative, deren Hartnäckigkeit es zu verdanken ist, den Dessauer Skandal im öffentlichen Bewusstsein gehalten zu haben, will trotz der Verweigerungshaltung der Behörden nicht aufgeben. Sie strebt ein Klageerzwingungsverfahren an. Außerdem hat sie eine eigene Untersuchungskommission berufen, in der Forensiker, Juristen und Rassismus-Experten mitarbeiten.
Heute jährt sich der Todestag von Oury Jalloh, der 2005 im Polizeigewahrsam starb. Trotz vieler Hinweise auf Mord will die Justiz nicht weiter ermitteln. Eine unabhängige Kommission will aufklären.
Gefesselt an Händen und Füßen auf einer Matratze. So lag der 36-jährige Oury Jalloh am 7. Januar 2005 am Boden einer gekachelten Polizeizelle – als er mit einem Feuerzeug die Schaumstofffüllung der Unterlage angezündet haben soll. Niemand rettete ihn im Polizeirevier in der Dessauer Wolfgangstraße. Der Asylbewerber aus Sierra Leone starb an einem Hitzeschock.
Es bestehe kein Tatverdacht gegen Polizeibeamte oder andere Dritte, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg am 29. November 2018, als sie eine Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens abwies und den Fall endgültig zu den Akten legte. Dabei bleiben nach wie vor viele Fragen offen.
Unterdrückter Alarm
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konzentrierten sich von Beginn an auf die diensthabenden Beamten in der Polizeiwache. Ihr Verhalten an diesem 7. Januar wurde beleuchtet, und tatsächlich kam erhebliches Fehlverhalten ans Licht. So wurde Oury Jalloh ohne richterliche Anordnung morgens gegen 8.30 Uhr inhaftiert, nachdem er betrunken und unter Kokaineinfluss zwei Frauen von der Stadtreinigung angesprochen hatte und sie um ihr Handy bat. Die Arbeiterinnen riefen die Polizei. Die Beamten glaubten, er habe sie belästigt und nahmen ihn mit auf die Wache. Was dann geschah, konnte bislang nicht aufgeklärt werden.
Fest steht, dass sich der Dienstgruppenleiter Andreas S. und ein Arzt, der bei Oury Jalloh eine Blutentnahme durchführen sollte, über dessen Hautfarbe lustig machten. Offen bleibt aber, warum Jalloh – wie die Obduktion ergab – ein gebrochenes Nasenbein und verletzte Trommelfelle hatte. Ob es Fremdverschulden war, konnte nie ermittelt werden.
Als es in der Zelle fünf gegen 11.45 Uhr lauter wurde, stellte Andreas S. die Gegensprechanlage leiser, wogegen seine Kollegin Beate H. intervenierte. Dann war ein plätscherndes Geräusch in der Zelle zu hören. Das war, kurz bevor der Feuermelder losging. Andreas S. versuchte mehrmals, den Alarm zu unterdrücken, wie Beate H. erklärte. Vor Gericht zog sie ihre Aussage überraschend zurück. Ihr Wortlaut sei unzureichend protokolliert worden, erklärte sie. Was sie zu diesem Schritt bewog, darüber kann nur spekuliert werden.
Fehlendes Video, neues Feuerzeug
Überaus schlampig wurden die polizeilichen Ermittlungen nach dem Tod Jallohs durchgeführt. Ein Videomitschnitt aus der Polizeiwache brach nach vier Minuten ab, weil es angeblich einen Stromausfall gegeben hatte. Dies bestritten aber mehrere Zeugen, darunter der Hausmeister. Auch ein Fahrtenbuch zweier Beamter, die kurz vor dem Brand in Jallohs Zelle gewesen sein sollen, verschwand.
Noch wichtiger ist die Frage, warum erst zwei Tage nach der Untersuchung der Zelle ein Feuerzeug auftauchte, das bei der ersten Tatortuntersuchung nicht gefunden wurde. Darauf fanden sich weder DNA von Jalloh noch Fasern seiner Kleidung, wohl aber Polyesterfasern, die bislang niemandem zugeordnet werden konnten.
Die diensthabenden Polizisten hätten systematisch gelogen und eine »Aufklärung verunmöglicht«, erklärte der Richter Manfred Steinhoff im ersten Prozess vor dem Landgericht Dessau-Roßlau. Er sprach die Polizisten letztlich wegen Mangels an Beweisen frei. Der Korpsgeist war offenbar intakt.
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil im Januar 2010 auf und leitete das Verfahren an das Landgericht Magdeburg weiter. Das verurteilte im Dezember 2012 den Dienstgruppenleiter Andreas S. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10 800 Euro. Verwunderlich ist allerdings die nicht belegbare Feststellung der Richter, dass der Brand nicht durch Dritte erfolgt sei. Zuvor hatte der vom Land Sachsen-Anhalt beauftragte Brandgutachter Klaus Steinbach nämlich festgestellt, dass anhand des Zustands der Leiche eine Selbstentzündung nicht erklärbar sei.
Unabhängiges Brandgutachten
Die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« gab sich mit dem milden Urteil nicht zufrieden und sammelte 35 000 Euro, um ein eigenes Brandgutachten bei dem Thermo-Physiker Maksim Smirnou in Auftrag zu geben. Der Experte aus Irland kam im November 2013 zu einem eindeutigen Ergebnis: Mit einem bloßen Feuerzeug hätte allenfalls ein Schwelbrand entfacht werden können. Die Hitze wäre unzureichend, um einen Körper zu verkohlen. Auch wiesen die bei der Obduktion gefundenen Cyanide am Leichnam darauf hin, dass Brandbeschleuniger verwendet wurden. Der leitende Oberstaatsanwalt von Dessau-Roßlau, Folker Bittmann, sprach nach der Präsentation des Gutachtens von »teilweise erschreckenden Informationen«. Das verwundert, denn neu waren die Erkenntnisse nicht.
Die Gedenkinitiative wollte Druck machen und beauftragte 2015 weitere Brandgutachter. Der Londoner Sachverständige Iain Peck kam bei seinen Untersuchungen zu einem ähnlichen Ergebnis wie Smirnou: »Es ist wahrscheinlicher, dass eine dritte Person das Feuer entzündet hat.« Er äußerte zudem Zweifel, ob das Feuerzeug tatsächlich bei dem Brand in der Zelle war.
Auch die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau führte im August 2016 einen eigenen Brandversuch durch, der jedoch laut Behörde »keine sicheren Erkenntnisse« erbrachte. Eine »Vielzahl von Möglichkeiten« sei denkbar.
Oberstaatsanwalt mit Zweifeln
Dennoch änderte Oberstaatsanwalt Bittmann nun seine Meinung und hielt fortan einen Mord für wahrscheinlich. In einem Aktenvermerk schrieb er im April 2017, dass Jalloh vermutlich bereits vor Ausbruch des Feuers tot oder handlungsunfähig gewesen sei. Offenbar habe man ihn mit Brandbeschleuniger übergossen. Das mögliche Motiv: Die Polizisten hätten mit einer Verbrennung Misshandlungen am Körper von Jalloh vertuschen wollen.
Bittmann verwies zudem auf zwei weitere ungeklärte Todesfälle in derselben Dessauer Dienststelle, die mit der Tat möglicherweise zusammen- hängen: Hans-Jürgen Rose war 1997 nach seiner Festnahme an inneren Verletzungen gestorben. Der von der Gedenkinitiative beauftragte Arzt Claus Metz konnte Ermittlungsakten einsehen. Demnach hatten vermutlich drei Polizisten den wegen Trunkenheit am Steuer festgenommenen Rose mit 45 Schlägen traktiert. In einem weiteren Fall erlitt der Obdachlose Mario Bichtemann 2002 einen Schädelbasisbruch und wurde tot in der Zelle aufgefunden. Muss hier etwa von einer Serie von Gewaltverbrechen ausgegangen werden?
Entzug der Ermittlungen
Bittmann leitete Mordermittlungen gegen namentlich bekannte Polizisten ein und wandte sich gleichzeitig an die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Er schaltete auch den Bundesgerichtshof ein. Die Reaktion war jedoch überraschend: Die Naumburger Behörde entzog Bittmann im Juni 2017 das Verfahren und übertrug es an die Staatsanwaltschaft Halle – wegen angeblich hoher Arbeitsbelastung.
Die neuen Ermittler stellten das Verfahren bereits im Oktober ein. Der Bundesgerichtshof wiederum verweigerte eine Übernahme, da er weder einen »staatsgefährdenden Charakter« noch eine »besondere Bedeutung« des Falls erkennen könne.
Beschwerde gegen Einstellung
Der Aufschrei war groß. Die Gedenkinitiative legte Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen ein, mehr als 120 000 Menschen forderten in einer Online-Petition »lückenlose Aufklärung«. Die sachsen-anhaltische Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) beauftragte daraufhin die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, den Fall an sich zu ziehen und die Einstellung zu überprüfen.
Im November 2017 sollte Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad den Rechtsausschuss des Landtages über den Stand der Ermittlungen informieren. Die LINKE beklagte kurz darauf, die Aufklärung sei »unzureichend und in Teilen falsch« gewesen. Knapp ein Jahr später, Ende November 2018, traf Konrad die Entscheidung, den Fall endgültig einzustellen. Nicht nur die LinksparteiAbgeordnete Henriette Quade fragte sich: War er die richtige Instanz, um Aufklärung zu versprechen?
Quade forderte hatte bereits im Frühjahr 2018 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Magdeburger Landtag gefordert, um die Versäumnisse und Behinderungen im Fall Jalloh aufzuarbeiten. Grünen und SPD – beide Parteien regieren in Sachsen-Anhalt mit – hatten sich jedoch dagegen entschieden. Die CDU als dritte Regierungspartei wollte stattdessen die Sonderermittler Manfred Nötzel und Jerzy Montag mit einer weiteren Überprüfung beauftragen. Bisher sind die Experten noch nicht tätig geworden, da die Generalstaatsanwaltschaft ihre Ermittlungen noch nicht beendet hat.
Die Gedenkinitiative hat das Vertrauen in die staatlichen Institutionen derweil verloren. Im Oktober 2018 stellten die Aktivisten eine unabhängige Untersuchungskommission vor, die nun im Fall Jalloh wie auch in den Fällen Hans-Jürgen Rose und Mario Bichtemann ermitteln soll. Die Gruppe setzt sich aus internationalen Rechts-, Rassismus- und Forensik-Experten zusammen. Auch Fragen von struktureller staatlicher Gewalt und institutioneller Straflosigkeit sollen von der Kommission beleuchtet werden. Im Aufruf zur diesjährigen Gedenkdemo fordert die Initiative generell die Etablierung »zivilgesellschaftlicher Kontrollmechanismen« gegenüber staatlichen Institutionen.