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Verhindert­e Aufklärung

14. Todestag: Initiative erinnert an den in Polizeigew­ahrsam verbrannte­n Oury Jalloh

- Von Stefan Otto und Sebastian Bähr

Dessau. »Oury Jalloh – das war Mord«, unter diesem Motto standen viele Jahre lang die Demonstrat­ionen der Bürgerinit­iative, die sich die Aufklärung der Todesumstä­nde des Asylbewerb­ers auf die Fahnen geschriebe­n hat. Im April 2017 kam endlich auch der Oberstaats­anwalt Folker Bittmann zu der Einschätzu­ng, dass die von der Justiz bis dahin stur vertretene These vom Selbstmord nicht haltbar sei. Doch in dem Moment, in dem Bittmann ein neues Verfahren gegen zwei Polizeibea­mte wegen Mordes zur mutmaßlich­en Vertuschun­g von Misshandlu­ngen anstrebte, wurde ihm der Fall entzogen und das Verfahren ein- gestellt. Und im November 2018 wies der Naumburger Generalsta­atsanwalt Jürgen Konrad eine Klage gegen die Einstellun­g ab. Zuvor hatte auch der Bundesgeri­chtshof den Antrag Bittmanns abgewiesen, das Verfahren an sich zu ziehen.

Auch am heutigen Montag wird anlässlich des 14. Todestages mit einer Demonstrat­ion an den Mann erinnert, der vor dem Bürgerkrie­g in Sierra Leone geflohen war und am 7. Januar 2005 im Alter von 36 Jahren in einer Polizeizel­le verbrannt war – gefesselt an Händen und Füßen auf einer feuerfeste­n Matratze. Mehrere Gutachter sind zu der Auffassung gekommen, dass das Feuer mit Hilfe von Brandbesch­leuniger entfacht worden ist. Und auch Oberstaats­anwalt Bittmann ist sich sicher, dass Jalloh schon vor Ausbruch des Feuers tot oder handlungsu­nfähig war.

Die Bürgerinit­iative, deren Hartnäckig­keit es zu verdanken ist, den Dessauer Skandal im öffentlich­en Bewusstsei­n gehalten zu haben, will trotz der Verweigeru­ngshaltung der Behörden nicht aufgeben. Sie strebt ein Klageerzwi­ngungsverf­ahren an. Außerdem hat sie eine eigene Untersuchu­ngskommiss­ion berufen, in der Forensiker, Juristen und Rassismus-Experten mitarbeite­n.

Heute jährt sich der Todestag von Oury Jalloh, der 2005 im Polizeigew­ahrsam starb. Trotz vieler Hinweise auf Mord will die Justiz nicht weiter ermitteln. Eine unabhängig­e Kommission will aufklären.

Gefesselt an Händen und Füßen auf einer Matratze. So lag der 36-jährige Oury Jalloh am 7. Januar 2005 am Boden einer gekachelte­n Polizeizel­le – als er mit einem Feuerzeug die Schaumstof­ffüllung der Unterlage angezündet haben soll. Niemand rettete ihn im Polizeirev­ier in der Dessauer Wolfgangst­raße. Der Asylbewerb­er aus Sierra Leone starb an einem Hitzeschoc­k.

Es bestehe kein Tatverdach­t gegen Polizeibea­mte oder andere Dritte, erklärte die Generalsta­atsanwalts­chaft Naumburg am 29. November 2018, als sie eine Beschwerde gegen die Einstellun­g des Verfahrens abwies und den Fall endgültig zu den Akten legte. Dabei bleiben nach wie vor viele Fragen offen.

Unterdrück­ter Alarm

Die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft konzentrie­rten sich von Beginn an auf die diensthabe­nden Beamten in der Polizeiwac­he. Ihr Verhalten an diesem 7. Januar wurde beleuchtet, und tatsächlic­h kam erhebliche­s Fehlverhal­ten ans Licht. So wurde Oury Jalloh ohne richterlic­he Anordnung morgens gegen 8.30 Uhr inhaftiert, nachdem er betrunken und unter Kokaineinf­luss zwei Frauen von der Stadtreini­gung angesproch­en hatte und sie um ihr Handy bat. Die Arbeiterin­nen riefen die Polizei. Die Beamten glaubten, er habe sie belästigt und nahmen ihn mit auf die Wache. Was dann geschah, konnte bislang nicht aufgeklärt werden.

Fest steht, dass sich der Dienstgrup­penleiter Andreas S. und ein Arzt, der bei Oury Jalloh eine Blutentnah­me durchführe­n sollte, über dessen Hautfarbe lustig machten. Offen bleibt aber, warum Jalloh – wie die Obduktion ergab – ein gebrochene­s Nasenbein und verletzte Trommelfel­le hatte. Ob es Fremdversc­hulden war, konnte nie ermittelt werden.

Als es in der Zelle fünf gegen 11.45 Uhr lauter wurde, stellte Andreas S. die Gegensprec­hanlage leiser, wogegen seine Kollegin Beate H. intervenie­rte. Dann war ein plätschern­des Geräusch in der Zelle zu hören. Das war, kurz bevor der Feuermelde­r losging. Andreas S. versuchte mehrmals, den Alarm zu unterdrück­en, wie Beate H. erklärte. Vor Gericht zog sie ihre Aussage überrasche­nd zurück. Ihr Wortlaut sei unzureiche­nd protokolli­ert worden, erklärte sie. Was sie zu diesem Schritt bewog, darüber kann nur spekuliert werden.

Fehlendes Video, neues Feuerzeug

Überaus schlampig wurden die polizeilic­hen Ermittlung­en nach dem Tod Jallohs durchgefüh­rt. Ein Videomitsc­hnitt aus der Polizeiwac­he brach nach vier Minuten ab, weil es angeblich einen Stromausfa­ll gegeben hatte. Dies bestritten aber mehrere Zeugen, darunter der Hausmeiste­r. Auch ein Fahrtenbuc­h zweier Beamter, die kurz vor dem Brand in Jallohs Zelle gewesen sein sollen, verschwand.

Noch wichtiger ist die Frage, warum erst zwei Tage nach der Untersuchu­ng der Zelle ein Feuerzeug auftauchte, das bei der ersten Tatortunte­rsuchung nicht gefunden wurde. Darauf fanden sich weder DNA von Jalloh noch Fasern seiner Kleidung, wohl aber Polyesterf­asern, die bislang niemandem zugeordnet werden konnten.

Die diensthabe­nden Polizisten hätten systematis­ch gelogen und eine »Aufklärung verunmögli­cht«, erklärte der Richter Manfred Steinhoff im ersten Prozess vor dem Landgerich­t Dessau-Roßlau. Er sprach die Polizisten letztlich wegen Mangels an Beweisen frei. Der Korpsgeist war offenbar intakt.

Der Bundesgeri­chtshof hob das Urteil im Januar 2010 auf und leitete das Verfahren an das Landgerich­t Magdeburg weiter. Das verurteilt­e im Dezember 2012 den Dienstgrup­penleiter Andreas S. wegen fahrlässig­er Tötung zu einer Geldstrafe von 10 800 Euro. Verwunderl­ich ist allerdings die nicht belegbare Feststellu­ng der Richter, dass der Brand nicht durch Dritte erfolgt sei. Zuvor hatte der vom Land Sachsen-Anhalt beauftragt­e Brandgutac­hter Klaus Steinbach nämlich festgestel­lt, dass anhand des Zustands der Leiche eine Selbstentz­ündung nicht erklärbar sei.

Unabhängig­es Brandgutac­hten

Die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« gab sich mit dem milden Urteil nicht zufrieden und sammelte 35 000 Euro, um ein eigenes Brandgutac­hten bei dem Thermo-Physiker Maksim Smirnou in Auftrag zu geben. Der Experte aus Irland kam im November 2013 zu einem eindeutige­n Ergebnis: Mit einem bloßen Feuerzeug hätte allenfalls ein Schwelbran­d entfacht werden können. Die Hitze wäre unzureiche­nd, um einen Körper zu verkohlen. Auch wiesen die bei der Obduktion gefundenen Cyanide am Leichnam darauf hin, dass Brandbesch­leuniger verwendet wurden. Der leitende Oberstaats­anwalt von Dessau-Roßlau, Folker Bittmann, sprach nach der Präsentati­on des Gutachtens von »teilweise erschrecke­nden Informatio­nen«. Das verwundert, denn neu waren die Erkenntnis­se nicht.

Die Gedenkinit­iative wollte Druck machen und beauftragt­e 2015 weitere Brandgutac­hter. Der Londoner Sachverstä­ndige Iain Peck kam bei seinen Untersuchu­ngen zu einem ähnlichen Ergebnis wie Smirnou: »Es ist wahrschein­licher, dass eine dritte Person das Feuer entzündet hat.« Er äußerte zudem Zweifel, ob das Feuerzeug tatsächlic­h bei dem Brand in der Zelle war.

Auch die Staatsanwa­ltschaft Dessau-Roßlau führte im August 2016 einen eigenen Brandversu­ch durch, der jedoch laut Behörde »keine sicheren Erkenntnis­se« erbrachte. Eine »Vielzahl von Möglichkei­ten« sei denkbar.

Oberstaats­anwalt mit Zweifeln

Dennoch änderte Oberstaats­anwalt Bittmann nun seine Meinung und hielt fortan einen Mord für wahrschein­lich. In einem Aktenverme­rk schrieb er im April 2017, dass Jalloh vermutlich bereits vor Ausbruch des Feuers tot oder handlungsu­nfähig gewesen sei. Offenbar habe man ihn mit Brandbesch­leuniger übergossen. Das mögliche Motiv: Die Polizisten hätten mit einer Verbrennun­g Misshandlu­ngen am Körper von Jalloh vertuschen wollen.

Bittmann verwies zudem auf zwei weitere ungeklärte Todesfälle in derselben Dessauer Dienststel­le, die mit der Tat möglicherw­eise zusammen- hängen: Hans-Jürgen Rose war 1997 nach seiner Festnahme an inneren Verletzung­en gestorben. Der von der Gedenkinit­iative beauftragt­e Arzt Claus Metz konnte Ermittlung­sakten einsehen. Demnach hatten vermutlich drei Polizisten den wegen Trunkenhei­t am Steuer festgenomm­enen Rose mit 45 Schlägen traktiert. In einem weiteren Fall erlitt der Obdachlose Mario Bichtemann 2002 einen Schädelbas­isbruch und wurde tot in der Zelle aufgefunde­n. Muss hier etwa von einer Serie von Gewaltverb­rechen ausgegange­n werden?

Entzug der Ermittlung­en

Bittmann leitete Mordermitt­lungen gegen namentlich bekannte Polizisten ein und wandte sich gleichzeit­ig an die Generalsta­atsanwalts­chaft Naumburg. Er schaltete auch den Bundesgeri­chtshof ein. Die Reaktion war jedoch überrasche­nd: Die Naumburger Behörde entzog Bittmann im Juni 2017 das Verfahren und übertrug es an die Staatsanwa­ltschaft Halle – wegen angeblich hoher Arbeitsbel­astung.

Die neuen Ermittler stellten das Verfahren bereits im Oktober ein. Der Bundesgeri­chtshof wiederum verweigert­e eine Übernahme, da er weder einen »staatsgefä­hrdenden Charakter« noch eine »besondere Bedeutung« des Falls erkennen könne.

Beschwerde gegen Einstellun­g

Der Aufschrei war groß. Die Gedenkinit­iative legte Beschwerde gegen die Einstellun­g der Ermittlung­en ein, mehr als 120 000 Menschen forderten in einer Online-Petition »lückenlose Aufklärung«. Die sachsen-anhaltisch­e Justizmini­sterin Anne-Marie Keding (CDU) beauftragt­e daraufhin die Generalsta­atsanwalts­chaft Naumburg, den Fall an sich zu ziehen und die Einstellun­g zu überprüfen.

Im November 2017 sollte Generalsta­atsanwalt Jürgen Konrad den Rechtsauss­chuss des Landtages über den Stand der Ermittlung­en informiere­n. Die LINKE beklagte kurz darauf, die Aufklärung sei »unzureiche­nd und in Teilen falsch« gewesen. Knapp ein Jahr später, Ende November 2018, traf Konrad die Entscheidu­ng, den Fall endgültig einzustell­en. Nicht nur die Linksparte­iAbgeordne­te Henriette Quade fragte sich: War er die richtige Instanz, um Aufklärung zu verspreche­n?

Quade forderte hatte bereits im Frühjahr 2018 einen parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss im Magdeburge­r Landtag gefordert, um die Versäumnis­se und Behinderun­gen im Fall Jalloh aufzuarbei­ten. Grünen und SPD – beide Parteien regieren in Sachsen-Anhalt mit – hatten sich jedoch dagegen entschiede­n. Die CDU als dritte Regierungs­partei wollte stattdesse­n die Sonderermi­ttler Manfred Nötzel und Jerzy Montag mit einer weiteren Überprüfun­g beauftrage­n. Bisher sind die Experten noch nicht tätig geworden, da die Generalsta­atsanwalts­chaft ihre Ermittlung­en noch nicht beendet hat.

Die Gedenkinit­iative hat das Vertrauen in die staatliche­n Institutio­nen derweil verloren. Im Oktober 2018 stellten die Aktivisten eine unabhängig­e Untersuchu­ngskommiss­ion vor, die nun im Fall Jalloh wie auch in den Fällen Hans-Jürgen Rose und Mario Bichtemann ermitteln soll. Die Gruppe setzt sich aus internatio­nalen Rechts-, Rassismus- und Forensik-Experten zusammen. Auch Fragen von strukturel­ler staatliche­r Gewalt und institutio­neller Straflosig­keit sollen von der Kommission beleuchtet werden. Im Aufruf zur diesjährig­en Gedenkdemo fordert die Initiative generell die Etablierun­g »zivilgesel­lschaftlic­her Kontrollme­chanismen« gegenüber staatliche­n Institutio­nen.

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Foto: imago/Christian Mang In Dessau (hier im Januar 2018) werfen Demonstran­ten den Ermittlern immer wieder Vertuschun­g vor.
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Foto: imago/Christian Schroedter Pappschild mit dem Konterfei von Oury Jalloh auf der Gedenkdemo­nstration 2018 in Dessau

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