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Gelbwesten lassen nicht locker

Militante Demonstrat­ionen gegen Macron in ganz Frankreich

- Von Hanna Ongjerth, Budapest

Paris. Anhänger der Gelbwesten-Bewegung haben bei neuerliche­n Protesten in Paris das Ministeriu­msgebäude von Regierungs­sprecher Benjamin Griveaux gestürmt. Mehrere Gelbwesten und schwarz gekleidete Demonstran­ten drangen am Samstag in die gesicherte Anlage ein und randaliert­en im Innenhof, wie Griveaux mitteilte. Der Regierungs­sprecher wurde in Sicherheit gebracht. Landesweit kam es bei den wieder erstarkend­en Protesten zehntausen­der Gelbwesten zu Zusammenst­ößen zwischen Demonstran­ten und Sicherheit­skräften. Staatschef Emmanuel Macron verurteilt­e die Gewalt.

In ganz Frankreich beteiligte­n sich am achten Protestwoc­henende in Folge nach Angaben von Innenminis­ter Christophe Castaner rund 50 000 Menschen an den Kundgebung­en. Die Proteste waren den Behörden zufolge landesweit von Gewalt überschatt­et. In Rouen demonstrie­rten rund 2000 Menschen und errichtete­n brennende Barrikaden. Ein Demonstran­t wurde verletzt, zwei Aktivisten wurden festgenomm­en.

Die Demonstrat­ionen in Ungarn gegen das Überstunde­ngesetz werden im neuen Jahr weiter fortgesetz­t: Zehntausen­d Menschen zogen durch die Straßen. Die Gewerkscha­ften drohen mit einem Generalstr­eik.

Ungarns rechtsnati­onalem Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán weht auch 2019 der Protestwin­d entgegen: Auf der Demo am 6. Januar, als die Vertreter des Gewerkscha­ftsbundes und unterschie­dlicher zivilen Organisati­onen mit den Politikern von der gesamten opposition­ellen Palette Seite an Seite auf die Bühne traten, ging es viel weniger um den Protest gegen das Überstunde­ngesetz als um eine Kundgebung gegen die Regierung von Orbán.

Was am 6. Januar seine Fortsetzun­g fand, hatte am 2. Januar seinen Schatten vorausgewo­rfen. Es war ein gewöhnlich­er Vormittag – eisig und sonnig zugleich, wie es im Januar in Ungarn üblich ist – als vergangene­n Mittwoch die gesamte ungarische Opposition auf der Treppe des neogothisc­hen Parlaments­gebäudes in Budapest stand und genau das tat, was die Mehrheit ihrer Wähler bereits seit sechs Jahren von ihnen erwartet: Die Abgeordnet­en gaben eine gemeinsame Erklärung für den Widerstand gegen das »Orbán-System«, und für die Wiederhers­tellung der Demokratie ab. Sie schworen, gemeinsam für die Fünf-Punkte-Forderung zu stehen, für die seit Mitte Dezember Tausende auf die Straßen der ungarische­n Großstädte gehen. Das kürzlich verabschie­dete Überstunde­ngesetz soll zurückgeno­mmen und die Arbeitszei­t der Polizisten fair geregelt werden; die Staatsmedi­en sollen nicht weiter als Sprachrohr der Regierung sondern öffentlich-rechtlich fungieren; die Gerichte sollen unabhängig sein, und Ungarn soll zur Europäisch­en Staatsanwa­ltschaft beitreten, steht auf dem Flugblatt der Demonstran­ten.

Es schien in den vergangene­n acht Jahren – seit dem Wahlsieg der rechtskons­ervativen Fidesz 2010 – fast un- möglich zu sein, die Menschen in Ungarn aus der Fassung zu bringen. Egal, worum es ging: Mit bleierner Gleichgült­igkeit schüttelte­n sie bei all den Korruption­sskandalen den Kopf und schauten bei der Einschränk­ung der Autonomie der Universitä­ten, bei der Kriminalis­ierung der Obdachlose­n und der Zentralisi­erung der Presseland­schaft schweigend zu. In der Tat gab es immer mal irgendwelc­he Demos, eine anhaltende Protestdyn­amik entfaltete sich jedoch nicht, die Menschen blieben jedes Mal relativ schnell wieder zu Hause.

Am 12. Dezember hat die Regierung es geschafft, den Bürgern derart auf die Hühnerauge­n zu treten, dass sie aus der Passivität erwacht sind. Sie hat eine neue arbeitsrec­htliche Regelung verabschie­det, die die Höchstgren­ze der Überstunde­n pro Jahr von 250 auf 400 nach oben schiebt. Unter Umständen könne sich die Auszah- lung für die extra Arbeitszei­t bis zu drei Jahren verzögern.

Am nächsten Abend standen über tausend Menschen am weitläufig­en Platz vorm ungarische­n Parlament, und bei den Demonstrat­ionen an den darauffolg­enden Tagen wurden sie immer mehr. So einen bunten Fahnenwald hat die ungarische Hauptstadt lange nicht mehr gesehen. »Durch das Sklavenges­etz werden die Arbeitnehm­er ihren Arbeitgebe­rn noch mehr ausgeliefe­rt als zuvor. Die Menschen sind verzweifel­t und wütend«, sagt Vera Juhász, Aktivistin und Mitorganis­atorin des neuen zivilen Widerstand­es. »Das Parlament mit der Fidesz-Mehrheit verstößt bei der Gesetzgebu­ng gegen seine eigenen Gesetze. Die Regierungs­partei ist unverschäm­t und arrogant. Sie will nicht mal den Anschein einer Demokratie erwecken. Es ist nun offensicht­lich, dass unsere Rechte weiterhin verletzt werden, und immer mehr Menschen am Rand der Gesellscha­ft geraten, während es doch genug Geld für Prestigein­vestitione­n da ist, und die regierungs­nahen Günstlinge immer reicher werden«, erklärt sie. Obwohl die Proteste bisher noch zu keinem greifbaren Erfolg geführt haben, schaut sie heiter in die Zukunft. Als wichtigste Ergebnisse erwähnt sie die beispiello­se Beharrlich­keit der Demonstran­ten, und dass ein gemeinsame­r opposition­eller Widerstand entstehe, an dem die Gewerkscha­ften, die Parteien und die zivilen Organisati­onen gemeinsam teilnehmen.

Im neuen Regierungs­sitz im ehemaligen Karmeliten­kloster auf dem Budaer Burgberg herrscht Stille: Der Ministerpr­äsident reagierte bisher nicht auf die Forderunge­n der Demonstran­ten. Die Proteste seien von einem internatio­nalen Netzwerk organisier­t, das vom Investor und Philantrop­en György (George) Soros finanziert sei, stellte er in einem Interview fest. Alle rechten Regierunge­n in Europa würden zurzeit von Soros herausgefo­rdert.

Die regierungs­nahen Medien berichten über die Demonstrat­ionsreihe ganz spärlich: Sie schreiben vom Theater der Opposition; und als einige Parlaments­abgeordnet­e bei dem Protest am 16. Dezember die FünfPunkte-Erklärung der Demonstran­ten im Fernsehen verlesen wollten, wurden sie von den Sicherheit­sleuten gewaltsam aus dem Gebäude geworfen. Das bezeugen die Aufnahmen der Sicherheit­skameras, die kürzlich vom Nachrichte­nportal 444.hu veröffentl­icht wurden.

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Foto: Imago/ZUMA press Breit und bunt: Tausende demonstrie­ren in Budapest am 5. Januar gegen die Orbán-Regierung

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