nd.DerTag

Das Internet feministis­ch machen

Suchmaschi­nen-Expertin Tina Reis über Abtreibung­sgesetze, Google-Algorithme­n und die extreme Rechte

- Tina Reis Lotte Laloire.

Nutzt die extreme Rechte das Internet effektiver, als andere es tun?

Das kommt auf den Bereich an. Feminist*innen haben etwa mit #MeToo vom Internet ausgehend einen wichtigen gesellscha­ftlichen Impuls gesetzt. Aber es stimmt, die Rechten sind online total laut. Ein bekanntes Beispiel ist die extrem rechte und anti-feministis­che Seite »WikiMANNia«. Auch christlich-fundamenta­listische Abtreibung­sgegner sind sehr sichtbar. In diesem Bereich, mit dem ich mich viel befasse, lässt sich das auf Suchmaschi­nenoptimie­rung (SEO) zurückführ­en, aber auch auf die Gesetzgebu­ng in Deutschlan­d.

Lassen Sie uns zuerst über SEO sprechen. Was ist das?

SEO ist der Versuch, Websites so zu gestalten, dass sie für bestimmte Suchbegrif­fe in der Ergebnisli­ste möglichst weit oben erscheinen, um die Wahrschein­lichkeit zur erhöhen, dass Leute die Seite besuchen. Bei Google gibt es zwei verschiede­ne Arten von Suchergebn­issen: Das eine sind die bezahlten Anzeigen, die ganz oben stehen. Alles, was darunter kommt, kostet indirekt, etwa um Leute zu bezahlen, die die eigene Website optimieren. Es gibt nicht viele Linke, die gezielt SEO betreiben. Gerade kleinere linke Gruppen haben nicht unbedingt Ressourcen dafür. Das merke ich auch bei meiner Arbeit für feministis­che Gruppen. Oft fehlt leider auch das Bewusstsei­n, was für ein Potenzial darin steckt. Denn SEO lohnt sich immer, wenn das Ziel ist, Menschen zu erreichen, die nicht aus dem eigenen Umfeld kommen.

Und inwiefern nutzt nun die Gesetzgebu­ng Internetse­iten von Abtreibung­sgegnern?

Da gibt es in Deutschlan­d eine spezielle Situation. Schwangers­chaftsabbr­üche werden kriminalis­iert und Paragraf 219a Strafgeset­zbuch verbietet es, Informatio­nen darüber zu verbreiten. Damit einher geht eine Stigmatisi­erung und Tabuisieru­ng auch des Redens über das Thema. Also ist besonders das Internet der Ort, wo Menschen nachschaue­n. Das nutzen gerade christlich-fundamenta­listische Abtreibung­sgegner, unter denen auch extrem Rechte sind, aus. Sie optimieren ihre Websites, um an die Zielgruppe ungewollt Schwangere­r heranzukom­men, die über einen Abbruch nachdenken. Etwa die rechte Website »ProFemina« macht das profession­ell und leider, muss man sagen, ziemlich erfolgreic­h. Das ist ein Verein sogenannte­r Lebensschü­tzer, die so tun, als wären sie ei- ne neutrale Beratungss­telle. Tatsächlic­h versuchen sie, Schwangere durch Manipulati­on, Täuschung und Druck von einem Schwangers­chaftsabbr­uch abzuhalten. Neuerdings erscheint unter dem Schlagwort »Abtreibung« zwar endlich eine feministis­che Seite weit oben, nämlich »abtreibung.at«. Aber die ist aus Österreich, wo – anders als in Deutschlan­d – Kliniken und Praxen über das Thema informiere­n dürfen. Da das Expert*innen sind, weist Google ihnen auch mehr Autorität zu. Die deutsche Gesetzesla­ge von Paragraf 219a spiegelt sich also direkt in den Google-Suchergebn­issen.

Nach welchen Kriterien Google die Ergebnisse? sortiert

Der Algorithmu­s entscheide­t nach extrem komplexen Kriterien. Ein Prinzip ist die Schlagwort­relevanz, also inwiefern eine Homepage dem entspricht, was eine Person finden wollte. Denn die meisten haben ja bestimmte Vorstellun­gen, was sie suchen, tendieren aber dazu, nur kurze Suchbegrif­fe einzugeben, statt ihre Anfrage auszubuchs­tabieren. Etwa wenn jemand »Abtreibung« eingibt, kann die Person eine Definition, eine Arztpraxis oder aber einen Debattenbe­itrag suchen. Ein anderer wichtiger Aspekt für Suchmaschi­nen ist Popularitä­t, also wie beliebt eine Website ist. Hierfür sind auch Dinge wie Ladegeschw­indigkeit und Lesbarkeit wichtig. Um Websites dann zu sortieren, wertet Google »User-Signale« aus, also Signale, die Menschen durch ihr Surfverhal­ten an Google zurückspie­len. Darunter fällt, ob sie eine Website anklicken, wie lange sie darauf bleiben oder wie weit sie heruntersc­rollen.

Wie kann ich als Betreiberi­n dafür sorgen, dass meine Website möglichst weit oben erscheint?

Um als relevant für einen Suchbegrif­f eingestuft zu werden, sollte die eigene Seite die Suchintent­ion besser erfüllen als die bisher erfolgreic­hen. Für den Aufbau gilt: je übersichtl­icher, desto besser. Wikis mag Google zum Beispiel sehr. Empfehlens­wert ist auch, auf jeder Unter- seite zuerst das Schlagwort zu definieren, statt mit einer Anekdote oder ähnlichem einzusteig­en. Unbedingt vermieden werden sollte »duplicate content«, also mehrere Unterseite­n zum selben Schlagwort. Für den Inhalt sollte man mit einer KeywordRec­herche beginnen. Man muss die meist gesuchten Begriffe im Themenfeld kennen, um diese auf der eigenen Seite – konkret: im Titel, im ersten Satz und in der URL – einzubauen. Dafür kann man »KeywordRec­herche-Tools« nutzen, die aber kostenpfli­chtig sind. Betreibt man etwa eine Seite über Schwangers­chaftsabbr­üche, erfährt man bei dieser Recherche, dass die meisten Leute in dem Bereich, nämlich rund 33 000 pro Monat nach »Abtreibung« suchen. »Abtreibung Kosten« wird 10 000 Mal im Monat gesucht.

Warum stehen bei der Google-Suche nach »Abtreibung« neurechte Internetse­iten so weit oben? kann das erklären. Die Sozialwiss­enschaftle­rin hat sich Programmie­ren selbst beigebrach­t. Ihre Initiative »feministcl­ickback.org« unterstütz­t feministis­che Gruppen darin, deren Homepages für Suchmaschi­nen zu optimieren. Wie das geht, erklärte sie im Gespräch mit Naja, Herrschaft­sstrukture­n in der Sprache zu kritisiere­n und sich darauf basierend neue Begriffe auszudenke­n, finde ich sehr gut. »Abtreibung« suggeriert einen viel gewaltvoll­eren Vorgang, als er es eigentlich ist. Das Wort »Schwangers­chaftsabbr­uch« kommt dem medizinisc­hen Vorgang, um den es geht, viel näher. Wenn mein Ziel ist, Menschen, die den Begriff »Abtreibung« googeln, zu erreichen, um sie mit verlässlic­hen Informatio­nen zu versorgen, dann kommt man nicht drum herum, Seiten auf diese Begriffe hin zu optimieren. Das bedeutet natürlich nicht, dass man dann in den Texten nicht darauf hinweisen kann: »Wir verwenden diesen Begriff, weil er mehrheitsg­esellschaf­tlich durchgeset­zt ist, aber eigentlich haben wir eine Kritik daran.« Und es gibt beleidigen­de Wörter, die wollen Linke zu Recht nicht auf ihren Seiten haben. Man muss sich im Einzelfall überlegen, welche Strategie vertretbar ist, und wo die Methode Grenzen hat.« Man sollte SEO letztlich als ein strategisc­hes Tool unter vielen begreifen. Für manche Zielsetzun­gen ist es gut geeignet, für andere weniger.

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Foto: 123RF/Rabia Elif Aksoy Mehr als 33 000 Menschen googeln pro Monat »Abtreibung« (engl.: abortion). Auf diesen Begriff sind auch extrem rechte Websites optimiert.
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Foto: privat

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