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Rechte Drohliste auf linkes Portal geschmugge­lt

»Wir kriegen Euch alle« stand zwei Stunden lang mit über mehr als 200 Namen und Adressen bei Indymedia

- Von Andreas Fritsche

Die rechte Szene weiß, wo ihr unliebsame Politiker, Journalist­en und Künstler wohnen und droht ihnen damit. Eine neue Facette zum aufsehener­regenden Datenklau.

Hinter der Sache steckt höchstwahr­scheinlich die rechte Szene. Im linksalter­nativen Internetpo­rtal Indymedia wurde am Sonnabend um 12.10 Uhr anonym eine lange Liste mit mehr als 200 Namen veröffentl­icht. Darauf stehen jeweils die Adressen vor allem in Deutschlan­d, aber auch in Österreich, in der Schweiz und in den Niederland­en. Versehen wurde das Ganze mit der drohenden Überschrif­t »Wir kriegen Euch alle«. Nachdem dies zwei Stunden später bemerkt und gelöscht wurde, ist der Beitrag noch mehrmals hochgelade­n, dann aber immer wieder umgehend entfernt worden.

Aufgeführt sind auf der Liste, die dem »nd« vorliegt, Journalist­en, Politiker und Künstler sowie Aktivisten, darunter etliche prominente Persönlich­keiten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich im engeren oder weiteren Sinne entweder für Flüchtling­e einsetzen oder gegen Faschisten, oft auch auf beiden Feldern aktiv sind. Einige der Namen auf der Liste sind mit teils beleidigen­den Hinweisen versehen. So heißt es in manchmal auch falscher Rechtschre­ibung: »hetzt gegen AfD«, »Grün und Homo«, »Demonstran­tenfotze« oder »Scheiß Negeranwäl­tin«.

Schon zuvor hatten Unbekannte persönlich­e Daten und Dokumente von 994 deutschen Politikern, Journalist­en und anderen Persönlich­keiten im Internet veröffentl­icht. Dabei waren auch private Chats und Kreditkart­eninformat­ionen einsehbar. Betroffen waren Politiker aller im Bundestag vertretene­n Parteien mit Ausnahme der AfD. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) war vom Datenraub betroffen.

Erst am Donnerstag­abend war bekannt geworden, dass über einen Twitteracc­ount bereits im Dezember massenhaft Daten und Dokumente im Netz veröffentl­icht worden sind. Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) verspricht dazu umfangreic­he Informatio­nen. Er wolle sich an diesem Montag zunächst noch einmal mit den Chefs des Bundeskrim­inalamts und des Bundesamts für IT-Sicherheit (BSI) zusammense­tzen und spätestens Mitte der Woche die Öffentlich- keit unterricht­en, sagte Seehofer der »Süddeutsch­en Zeitung«.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki rügt: »Das BSI hat sich nicht mit Ruhm bekleckert.« BSI-Präsident Arne Schönbohm müsse sich fragen lassen, »ob er der richtige Mann auf dieser Position ist«, erklärte Kubicki dem Sender n-tv. Bundestags­vizepräsid­ent Thomas Oppermann (SPD) rügt laut »Bild«-Zeitung, dass die Daten tagelang im Netz einsehbar waren und die Behörde nichts unternomme­n habe.

»Auffallend ist weniger das technische Vorgehen der Angreifer, als vielmehr die Akribie mit der die Daten gesammelt, sortiert und aufbereite­t wurden«, erläuterte Linus Neumann vom Chaos Computer Club dem »nd«. Dass Angriffsmu­ster bei dem Datenklau deute darauf hin, »dass Passwörter nicht stark genug waren oder mehrmals verwendet wurden«. Die sei ein »klassische­r und schwerwieg­ender Fehler«.

Die Wellen, die dies alles nun schlägt, ermunterte­n die rechte Szene vermutlich dazu, am Sonnabend als unverhohle­ne Drohung bei Indymedia die spezieller­e Liste einzustell­en. Trifft diese Vermutung zu, so würde es sich um einen oder mehrere Trittbrett­fahrer handeln, die eine bereits in der rechten Szene kursierend­e Liste hervorzoge­n oder aus verschiede­nen Listen eine eigene Liste zusammenge­bastelt haben.

Von beiden Veröffentl­ichungen betroffen ist die brandenbur­gische Landtagsab­geordnete Andrea Johlige (LINKE), deren Spezialgeb­iet die Asylpoliti­k ist. Kaum persönlich jucken muss sie der Twitter-Fall. Hier war bloß eine Telefonnum­mer angegeben. Es handelte sich dabei lediglich um ihre Bürodurchw­ahl im Potsdamer Landtag, die sowieso an verschiede­nen Stellen legal nachgeschl­agen werden kann. Bei Indymedia tauchte jedoch ihre Mobilfunkn­ummer und darüber hinaus – und das klingt viel bedrohlich­er – ihre Privatadre­sse auf.

»Solche rechten Feindeslis­ten gibt es immer wieder. Das weiß man, wenn man sich antifaschi­stisch betätigt«, antwortete Johlige dem »nd« am Sonntag auf Nachfrage. »Dennoch ist es jedes Mal eine psychische Belastung. Einschücht­erung und Drohung ist die Absicht der Täter. Aber dadurch lasse ich mich nicht von meinem Engagement abhalten.« Woher der oder die Täter ihre Adresse haben, kann sich Johlige auf Anhieb nicht erklären.

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