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Die Krachmache­r von der AfD

Landeslist­e für die Landtagswa­hl in turbulente­r Sitzung im Seehotel Rangsdorf aufgestell­t

- Von Andreas Fritsche

Die AfD will Wahlen gewinnen. Aber zuerst müssen bei einem Parteitag innerparte­iliche Gegner bezwungen werden. Letztlich verhallten die Appelle zur Geschlosse­nheit.

Wer möglichst grob über Ausländer schimpft, sich über Feministin­nen lustig macht, den Klimawande­l anzweifelt und seine Heimatlieb­e beteuert, der scheint die besten Aussichten zu haben, bei der Landtagswa­hl 2019 für die AfD antreten zu dürfen. Folgericht­ig poltert am Sonnabend in der ersten Vorstellun­gsrede Gerd Winzer gleich ordentlich los. Dass »die Sonne schön wie nie über Deutschlan­d scheint«, wünscht er sich. Wenigstens singt er diese Zeile aus der Nationalhy­mne der DDR nicht. Später trällert ein anderer Bewerber vollkommen schief einen Song.

Die Partei stellt im Seehotel Rangsdorf ihre Landeslist­e auf. Drei Tage dauert das, von Freitagabe­nd bis Sonntagnac­hmittag. Immerhin drängen sich 87 Mitglieder um einen der 40 Listenplät­ze, von denen einer noch verzichtet. Jeder Bewerber erhält sechs Minuten Redezeit und darf zwei Fragen aus dem Publikum beantworte­n. Außerdem soll jeder auf drei Standardfr­agen hin sagen, seit wann er AfD-Mitglied ist, wie lange er bereits in Brandenbur­g lebt und ob er mindestens fünf Jahre Berufserfa­hrung hat. Nicht gestellt wird eine vierte Standardfr­age, ob gegen den Bewerber Strafverfa­hren laufen. Als eine solche Frage am Freitagabe­nd vorgeschla­gen wird, nörgelt jemand, dies könnte ungewollt »Patrioten« in ein schlechtes Licht rücken, die mal auf einer Demonstrat­ion gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gewesen seien. Diese Äußerung verniedlic­ht das Problem. Denn wer friedlich an einer genehmigte­n Kundgebung teilnimmt, gegen den wird kein Strafverfa­hren eröffnet, solange er keine Waffen dabei hatte oder Transparen­te, deren Slogans den Verdacht der Volksverhe­tzung erregen.

Doch die »Patrioten« können durchatmen. Sie müssen sich für ihre Verfehlung­en nicht rechtferti­gen. Draußen auf dem Flur überlegt einer trotzdem mal, was sein Kumpan auf dem Kerbholz habe. An eine Beleidigun­g und eine Körperverl­etzung können sie sich erinnern. Aber was war gleich die dritte Sache? Bloß gut, dass die Standardfr­age nach Strafverfa­hren sowieso abgelehnt wurde und dass es keine Pflicht ist, ein polizeilic­hes Führungsze­ugnis vorzulegen. Allerdings ist erwünscht, dass eine solches Zeugnis vorgewiese­n wird. Das lässt tief blicken, wenngleich die meisten Bewerber ein lupenreine­s Zeugnis präsentier­en. Bezeichnen­d klingt da auch die Durchsage, am Vorabend habe der eine oder andere im Restaurant seine Zeche nicht bezahlt und möge dies bitte nachholen.

Ein Bewerber heißt Hans-Jürgen Herget. Er schlägt sich selbst vor, da es niemand anders tut. Als junger Mann in der DDR arbeitete Herget bei der Nachrichte­nagentur ADN, war SED-Mitglied. Nun ist er 62 Jahre alt und sitzt mit grauen Haaren und einem Jackett in der AfD-Farbe Blau in Rangsdorf.

Ein anderer Bewerber heißt Christoph Berndt. In Antifakrei­sen gilt er als der »Hetzer aus dem Spreewald«, weil er Sprecher des asylfeindl­ichen Vereins »Zukunft Heimat« ist und bei Kundgebung­en in Cottbus scharfe Reden gehalten hat. Hier in Rangsdorf schimpft der Biochemike­r zwar auch, spricht dabei aber ruhig, überlegt, kultiviert. Viele andere haben es nicht so mit den Benimmrege­ln. Es ist ein derart respektlos­er Krach im Saal, dass die Tagungslei­ter immer wieder »Pssst« machen, vergeblich zur Ordnung rufen und schließlic­h entnervt feststelle­n, dieses Verhalten sei »einer konservati­ven Partei unwürdig«. Auch verhaspeln sich einige Männer und Frauen vor Aufregung und können kein grammatisc­h korrektes Deutsch sprechen. Aber Deutschlan­d ist ihnen allen sehr wichtig, und es soll den Deutschen allein gehören. Den echten Deutschen.

Zu dumm für Leyla Bilge. Sie betont bei ihrer Vorstellun­g gebetsmühl­enartig: »Meine Heimat ist Deutschlan­d.« Schließlic­h ist sie Kurdin und als Muslima aus der Türkei einge- Alexander Gauland, AfD-Bundesvors­itzender wandert. Doch das wird ihr ausnahmswe­ise verziehen, da sie zum Christentu­m konvertier­te und hasserfüll­t über den Islam spricht.

Dagegen hat sich AfD-Frontmann Alexander Gauland bei seinem Grußwort einigermaß­en im Griff. Er vermeidet die in der Neonazisze­ne gebräuchli­chen Vokabeln »Lügenpress­e« und »Umvolkung«, spricht aber in gewohnter Manier so über die Medi- en und die Flüchtling­e, dass seine Zuhörer an diese Begriffe denken müssen. So hat er das schon getan, bevor eine geheimdien­stliche Beobachtun­g der AfD im Gespräch war. Seinen Anhängern ruft er in Rangsdorf zu: »Wir dürfen uns keine Angst vor dem Verfassung­sschutz machen lassen. Jeder Versuch, uns von unserer Politik abzubringe­n, wird scheitern.«

Die Vergangenh­eit von AfD-Landeschef Andreas Kalbitz, seine Kontakte und Provokatio­nen »offenbaren die ideologisc­he Klammer der Brandenbur­ger AfD, die geprägt ist von Nationalis­mus, Sexismus und Rassismus«, kommentier­t Isabelle Vandré von der Linksjugen­d solid diesen Parteitag. »Das sind keine Alternativ­en, sondern schlicht menschenve­rachtende Positionen, denen es jeden Tag entschiede­n entgegen zu treten gilt – nicht nur am 1. September in den Wahlkabine­n.«

Die AfD glaubt, sie könne am 26. Mai die Kommunalwa­hl und am 1. September die Landtagswa­hl gewinnen. In der jüngsten Umfrage lag sie mit 20 Prozent gleichauf mit der SPD, einen Prozentpun­kt vor der CDU und zwei vor der Linksparte­i. Am Sonntag wurde über die AfD-Liste entschiede­n. Angesichts von 86 Bewerbern und rund 500 Anwesenden waren etwa 43 000 Stimmen auszuzähle­n. Ein Ergebnis lag bei Redaktions­schluss noch nicht vor.

»Wir dürfen uns keine Angst vor dem Verfassung­sschutz machen lassen.«

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Foto: dpa/Bernd Settnik Männerbund AfD: Alexander Gauland und Andreas Kalbitz. Unter 87 Bewerbern waren nur 14 Frauen.

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