Die Krachmacher von der AfD
Landesliste für die Landtagswahl in turbulenter Sitzung im Seehotel Rangsdorf aufgestellt
Die AfD will Wahlen gewinnen. Aber zuerst müssen bei einem Parteitag innerparteiliche Gegner bezwungen werden. Letztlich verhallten die Appelle zur Geschlossenheit.
Wer möglichst grob über Ausländer schimpft, sich über Feministinnen lustig macht, den Klimawandel anzweifelt und seine Heimatliebe beteuert, der scheint die besten Aussichten zu haben, bei der Landtagswahl 2019 für die AfD antreten zu dürfen. Folgerichtig poltert am Sonnabend in der ersten Vorstellungsrede Gerd Winzer gleich ordentlich los. Dass »die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint«, wünscht er sich. Wenigstens singt er diese Zeile aus der Nationalhymne der DDR nicht. Später trällert ein anderer Bewerber vollkommen schief einen Song.
Die Partei stellt im Seehotel Rangsdorf ihre Landesliste auf. Drei Tage dauert das, von Freitagabend bis Sonntagnachmittag. Immerhin drängen sich 87 Mitglieder um einen der 40 Listenplätze, von denen einer noch verzichtet. Jeder Bewerber erhält sechs Minuten Redezeit und darf zwei Fragen aus dem Publikum beantworten. Außerdem soll jeder auf drei Standardfragen hin sagen, seit wann er AfD-Mitglied ist, wie lange er bereits in Brandenburg lebt und ob er mindestens fünf Jahre Berufserfahrung hat. Nicht gestellt wird eine vierte Standardfrage, ob gegen den Bewerber Strafverfahren laufen. Als eine solche Frage am Freitagabend vorgeschlagen wird, nörgelt jemand, dies könnte ungewollt »Patrioten« in ein schlechtes Licht rücken, die mal auf einer Demonstration gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gewesen seien. Diese Äußerung verniedlicht das Problem. Denn wer friedlich an einer genehmigten Kundgebung teilnimmt, gegen den wird kein Strafverfahren eröffnet, solange er keine Waffen dabei hatte oder Transparente, deren Slogans den Verdacht der Volksverhetzung erregen.
Doch die »Patrioten« können durchatmen. Sie müssen sich für ihre Verfehlungen nicht rechtfertigen. Draußen auf dem Flur überlegt einer trotzdem mal, was sein Kumpan auf dem Kerbholz habe. An eine Beleidigung und eine Körperverletzung können sie sich erinnern. Aber was war gleich die dritte Sache? Bloß gut, dass die Standardfrage nach Strafverfahren sowieso abgelehnt wurde und dass es keine Pflicht ist, ein polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen. Allerdings ist erwünscht, dass eine solches Zeugnis vorgewiesen wird. Das lässt tief blicken, wenngleich die meisten Bewerber ein lupenreines Zeugnis präsentieren. Bezeichnend klingt da auch die Durchsage, am Vorabend habe der eine oder andere im Restaurant seine Zeche nicht bezahlt und möge dies bitte nachholen.
Ein Bewerber heißt Hans-Jürgen Herget. Er schlägt sich selbst vor, da es niemand anders tut. Als junger Mann in der DDR arbeitete Herget bei der Nachrichtenagentur ADN, war SED-Mitglied. Nun ist er 62 Jahre alt und sitzt mit grauen Haaren und einem Jackett in der AfD-Farbe Blau in Rangsdorf.
Ein anderer Bewerber heißt Christoph Berndt. In Antifakreisen gilt er als der »Hetzer aus dem Spreewald«, weil er Sprecher des asylfeindlichen Vereins »Zukunft Heimat« ist und bei Kundgebungen in Cottbus scharfe Reden gehalten hat. Hier in Rangsdorf schimpft der Biochemiker zwar auch, spricht dabei aber ruhig, überlegt, kultiviert. Viele andere haben es nicht so mit den Benimmregeln. Es ist ein derart respektloser Krach im Saal, dass die Tagungsleiter immer wieder »Pssst« machen, vergeblich zur Ordnung rufen und schließlich entnervt feststellen, dieses Verhalten sei »einer konservativen Partei unwürdig«. Auch verhaspeln sich einige Männer und Frauen vor Aufregung und können kein grammatisch korrektes Deutsch sprechen. Aber Deutschland ist ihnen allen sehr wichtig, und es soll den Deutschen allein gehören. Den echten Deutschen.
Zu dumm für Leyla Bilge. Sie betont bei ihrer Vorstellung gebetsmühlenartig: »Meine Heimat ist Deutschland.« Schließlich ist sie Kurdin und als Muslima aus der Türkei einge- Alexander Gauland, AfD-Bundesvorsitzender wandert. Doch das wird ihr ausnahmsweise verziehen, da sie zum Christentum konvertierte und hasserfüllt über den Islam spricht.
Dagegen hat sich AfD-Frontmann Alexander Gauland bei seinem Grußwort einigermaßen im Griff. Er vermeidet die in der Neonaziszene gebräuchlichen Vokabeln »Lügenpresse« und »Umvolkung«, spricht aber in gewohnter Manier so über die Medi- en und die Flüchtlinge, dass seine Zuhörer an diese Begriffe denken müssen. So hat er das schon getan, bevor eine geheimdienstliche Beobachtung der AfD im Gespräch war. Seinen Anhängern ruft er in Rangsdorf zu: »Wir dürfen uns keine Angst vor dem Verfassungsschutz machen lassen. Jeder Versuch, uns von unserer Politik abzubringen, wird scheitern.«
Die Vergangenheit von AfD-Landeschef Andreas Kalbitz, seine Kontakte und Provokationen »offenbaren die ideologische Klammer der Brandenburger AfD, die geprägt ist von Nationalismus, Sexismus und Rassismus«, kommentiert Isabelle Vandré von der Linksjugend solid diesen Parteitag. »Das sind keine Alternativen, sondern schlicht menschenverachtende Positionen, denen es jeden Tag entschieden entgegen zu treten gilt – nicht nur am 1. September in den Wahlkabinen.«
Die AfD glaubt, sie könne am 26. Mai die Kommunalwahl und am 1. September die Landtagswahl gewinnen. In der jüngsten Umfrage lag sie mit 20 Prozent gleichauf mit der SPD, einen Prozentpunkt vor der CDU und zwei vor der Linkspartei. Am Sonntag wurde über die AfD-Liste entschieden. Angesichts von 86 Bewerbern und rund 500 Anwesenden waren etwa 43 000 Stimmen auszuzählen. Ein Ergebnis lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
»Wir dürfen uns keine Angst vor dem Verfassungsschutz machen lassen.«