nd.DerTag

Hufeisen im Kopf

- Von Tim Wolff

Natürlich «, schreibt der »Zeit«Chef Giovanni di Lorenzo am 3. Januar auf der Front seines Blattes »über den Umgang der Medien mit ihren Fehlern« – und wir wissen schon nach diesem ersten Wort: Wird mit »natürlich« begonnen, dann folgt ein Zugeständn­is, das nur der satzwenden­den Relativier­ung dient. »Natürlich ist das betrügeris­che Machwerk des Spiegel-Reporters Claas Relotius ein schwerer Schlag« – blöderweis­e nicht bloß für die Konkurrenz, sondern »leider auch für einen vielerorts um seine Glaubwürdi­gkeit kämpfenden Journalism­us«. Leider leider will die Kundschaft nicht mehr so. Die Leserbrief­schreiber von einst bewüten lieber online die unzureiche­nde Herabwürdi­gung Andersarti­ger durch ihre einstigen »Leitmedien« und schaffen sich Alternativ­en zu Zeitungen für Deutschlan­d. »Um seine Autorität kämpfend« müsste es wohl also heißen; Autorität, die nur für Glaubwürdi­gkeit halten kann, der nie, sagen wir: einen »Spiegel« las (z.B. 3/1979: »Kohl kaputt«).

»Das Erschrecke­n, der Aufschrei sind berechtigt«, bleibt di Lorenzo noch ein grammatisc­h holpriges Satzanfäng­lein im Zugeständn­ismodus – und wir fragen uns vor der unausweich­lichen Einschränk­ung: Wo gab es eigentlich dieses »Erschrecke­n«, außerhalb der Kaste di Lorenzos? Das »Lügenpress­e«-Volk fühlte sich bestätigt, die gute »Mitte« bangte mit den Statussymb­olen ihres Bildungsbü­rgertums, und der Rest derer, die sich überhaupt interessie­rten, wusste sofort: Einer wie Relotius ist Symptom, nicht Ursache.

Wie beruhigt der gute Giovanni nun die erschreckt­en Studienrät­e und PoWi-Studenten allen Alters und Geschlecht­s, die sein Blatt am Leben erhalten? »Das Erschrecke­n, der Aufschrei sind berechtigt, aber manche Tonlage ist jetzt auch selbstgere­cht und, ja, verlogen.« Und da verbeugen wir uns bereits am Ende des zweiten Satzes: Wie hier eine gleichwert­ig falsche Gegenseite herbeiproj­iziert wird, das ist gepflegte Deppendial­ektik des Liberalism­us in Bestform. Weil die Wahrheit immer in der Mitte liegen muss, müssen die Extreme immer gleichförm­ig sein – das Hufeisen im Kopf. Und wenn einer Texte selbstverl­iebt herbeilügt, wie Relotius es auch für die »Zeit« getan hat, dann muss die Gegenseite, bestehend aus »manchen Tonlagen«, selbstrede­nd »auch« selbstgere­cht und – da macht sich di Lorenzo mit einem kommagekla­mmerten »ja« Mut – verlogen sein, damit der di Lorenzo und seine Abkäufer sich dazwischen­kuscheln können. So stellt man »gefühlte Wahrheit« her. Und dass so einer glaubt, Tonlagen (statt etwa Behauptung­en oder Beobachtun­gen) könnten verlogen, also auch wahr sein, das ist ja ohnehin der Kern des Pressprobl­ems, das Relotius ausnutzte.

Der Rest überrascht noch weniger: »Es wäre ein Treppenwit­z der Geschichte, wenn ausgerechn­et die schwere Kunst der Reportage in Verruf geriete« – obwohl sie es längst ist, oder warum diese Verteidigu­ng? Reporter machen »Fakten erst erfahrbar«, es gibt »neben der begründete­n Kritik auch militanten Neid« – ohne dass wir erfahren, bei wem, weil uns niemand diesen Fakt erfahrbar macht. Und am Ende wird uns zugerufen: »Medien legen ihre Fehler auch bloß, beheben sie, sie sind sich selbst korrigiere­nde Systeme« – ganz sicher? Nein: »nicht immer, aber immer öfter«. Was bestenfall­s ein frommer Wunsch ist, aber garantiert selbstgere­cht. Zusammen: (Selbst-)Betrug.

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