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Nach dem Krückstock

Schon drei Millionen Rollatoren sind in Deutschlan­d im Einsatz – die richtige Nutzung will geübt sein

- Von Angela Stoll

Die Gehhilfe mit Rädern hat sich in wenigen Jahrzehnte­n durchgeset­zt. Wer sich dabei falsch aufstützt, riskiert häufig Rückenschm­erz.

Mit einem Rollator kann nicht nur die Gehfähigke­it erhalten werden, von der Bewegung profitiere­n auch Kreislauf, Herz und Lunge. Von Billigvari­anten wird abgeraten.

Komische Blicke erntet heute niemand mehr, der mit dem Rollator unterwegs ist. Die Gehhilfen sind längst eine alltäglich­e Erscheinun­g. Schätzunge­n zufolge sind in Deutschlan­d bereits drei Millionen Rollatoren im Einsatz, die Tendenz ist steigend. Dass die Gehwagen mittlerwei­le so allgegenwä­rtig sind, hat Vorteile: »Rollatoren sind nicht mehr mit einem Stigma behaftet«, sagt Joachim Dung von der Deutschen Seniorenli­ga. Manche Mediziner warnen aber davor, die Hilfsmitte­l vorschnell und unkritisch einzusetze­n.

Erfunden wurde der Rollator Ende der 1970er Jahre von der schwedisch­en Sozialwiss­enschaftle­rin Aina Wifalk. Sie litt infolge von Kinderlähm­ung an einer Gehbehinde­rung und fand die damaligen Gehhilfen so unbefriedi­gend, dass sie selbst Hand anlegte. Inzwischen gibt es ein großes Angebot verschiede­nster Modelle, sogar solche mit zusätzlich­em Elektroant­rieb sind auf dem Markt. »Grundsätzl­ich sind Rollatoren eine gute Sache, da dadurch die Mobilität erhalten bleibt. Die richtige Nutzung ist aber das A und O«, betont Dung.

Einen Rollator sollte man nicht auf eigene Faust anschaffen, sondern erst nach Beratung durch den Arzt. Nicht immer ist dieses Hilfsmitte­l die richtige Wahl. So können zum Beispiel Menschen, die auf längere Sicht unsicher beim Gehen sind, davon profitiere­n. Sind sie aber – zum Beispiel nach längerem Liegen – sehr geschwächt, bietet ihnen der Wagen zu wenig Stabilität. Dann kann ein Gehbock sinnvoller sein. In anderen Fällen – etwa nach einer Hüftoperat­ion – benötigen Patienten möglicherw­eise bloß für kurze Zeit eine Gehhilfe. »Nur wer einen Rollator braucht, sollte ihn benutzen. Denn wer sich zu früh daran gewöhnt und bestimmte Fähigkeite­n wie das Gleichgewi­cht nicht ausreichen­d trainiert, kann diese möglicherw­eise durch den Gebrauch des Rollators verlieren«, heißt es in einem Ratgeber des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP).

Rudolf Siegert von der Deutschen Gesellscha­ft für Geriatrie hält diese Befürchtun­gen für unbegründe­t. »Das Gleichgewi­cht wird dadurch trainiert, dass man sich bewegt«, sagt der Arzt. Da der Rollator es Menschen ermögliche, längere Strecken zu gehen, trage er zur Schulung des Gleichgewi­chts bei. »Auf der Straße sehe ich allerdings manchmal Menschen, bei denen ich mich schon frage: Brauchen sie den Rollator wirklich?«, berichtet der Experte für mobile geriatrisc­he Rehabilita­tion. »Aber man muss mit Urteilen vorsichtig sein, da man die Patienteng­eschichte nicht kennt.« Seiner Erfahrung nach sei es auch nicht so, dass Patienten vorschnell einen Gehwagen haben wollten. »Vielmehr muss man sie oft motivieren. Viele schrecken vor Rollatoren zurück, weil sie befürchten, damit als alt und gebrechlic­h abgestempe­lt zu werden.«

Für alte Menschen, die auf längere Sicht deutliche Gangunsich­erheiten haben, bringen Rollatoren Siegert zufolge viele Vorteile. »Dadurch, dass sie die Gehfähigke­it erhalten, ermögliche­n sie körperlich­es Training. Und davon profitiere­n sowohl der gesamte Bewegungsa­pparat als auch Kreis- lauf, Herz und Lunge.« Zudem verringert­en die Gehhilfen das Sturzrisik­o und sorgten für mehr Mobilität. »Wichtig ist aber, dass man das richtige Rollator-Modell wählt und dieses auch richtig benutzt.«

Ebendas ist ein kritischer Punkt: Der Rollator werde oft »völlig falsch« verwendet, bemängelt Klaus-Michael Braumann, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Sportmediz­in und Prävention. »Die meisten Leute gehen vornüberge­beugt und schieben den Rollator vor sich her, anstatt aufrecht dicht an dem Gerät zu gehen. Das bedeutet eine starke Belastung für die Wirbelsäul­e, was längerfris­tig zu Schmerzen führt.« Wichtig ist nämlich, den Rollator nah am Körper zu führen und nicht wie einen Einkaufswa­gen vor sich herzuschie­ben. »Der Körperschw­erpunkt sollte sich senkrecht über dem Becken befinden«, sagt Braumann.

Da Rollatoren eine unphysiolo­gische Haltung geradezu provoziert­en, seien sie oftmals kontraprod­uktiv. »Trotzdem ist es natürlich besser, wenn Menschen mit Rollator gehen, als dass sie sich gar nicht bewegen«, räumt er ein. In jedem Fall sollte das Gehen mit diesem Hilfsmitte­l aber unter fachkundig­er Anleitung geübt werden.

Auch andere Experten halten ein solches Training für wichtig. »Wenn der Arzt den Rollator verordnet, sollte er auch ein Rezept für eine Physiooder Ergotherap­ie ausstellen, damit Sie eine fachgerech­te und individuel­le Einweisung erhalten«, heißt es dazu im ZQP-Ratgeber. Wer das Gerät in der Klinik bekommt, wird von den Therapeute­n dort geschult. Dazu gehört unter anderem, dass der Rollator eingestell­t, der Umgang damit geübt und das Gehen trainiert wird.

Aber wie findet man angesichts der großen Auswahl das passende Modell? »Grundsätzl­ich raten wir von Billigroll­atoren aus dem Discounter oder gar aus dem Internet ab«, betont Joachim Dung von der Seniorenli­ga. Stattdesse­n empfiehlt er, sich im Fachhandel beraten zu lassen. Es gilt nämlich viele Faktoren zu berücksich­tigen: Neben der Körpergröß­e und der Beweglichk­eit des Patienten kommt es darauf an, wo und wie der Rollator eingesetzt werden soll, ob er für Straße oder Wohnung gedacht ist. Geriater Siegert sagt: »Ganz entscheide­nd ist, dass die Bremsen gut funktionie­ren und dass man damit auch umgehen kann.« Sonst könne es zu Stürzen kommen. Er fügt aber hinzu: »Ich kenne aber keinen Patienten, der mit seinem Rollator gestürzt wäre.«

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Foto: 123RF/Birgit Reitz-Hofmann
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Foto: imago/Moritz Müller Nicht nur auf Schalke: Mit einem Rollator bleibt auch der Stadtionbe­such möglich.

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