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Selbstmord durch Arbeit

Der Dokumentar­film »Die Schatten der Wüste« geht der Ursache und den Folgen des Todes eines Wanderarbe­iters nach

- Von Jörn Schulz

Ein Dokumentar­film geht dem Tod eines Wanderarbe­iters nach.

Extreme Ausbeutung, gefährlich­e Arbeitsbed­ingungen, Rechtlosig­keit, das KafalaSyst­em, das Beschäftig­te der Vormundsch­aft ihres Arbeitgebe­rs unterstell­t – die Probleme der Arbeitsmig­ranten in den Golfmonarc­hien sind seit Langem bekannt, und sie haben oft tödliche Folgen. Mindestens 24 570 indische Arbeiter starben zwischen 2012 und Mitte 2018 in den Golfmonarc­hien. Die tatsächlic­he Zahl liegt noch höher, da aus Kuwait und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten keine vollständi­gen Daten vorliegen. Auskunft über die Todesursac­hen gab nur Katar: 14 Prozent der Arbeiter starben durch Unfälle, 6 Prozent begingen Selbstmord, bei 80 Prozent hatte der Tod eine »natürliche« Ursache – wozu auch die Folgen mangelnden Schutzes bei der Arbeit in glühender Hitze zählen dürften.

Auch Baskaran hat die Arbeit in den Golfmonarc­hien nicht überlebt. War es Suizid, wie die Behörden Dubais angeben? Seine Ehefrau Sundari, Jayakrishn­an Subramania­ns Cousine, glaubt nicht daran. Subramania­n und Franziska Schönenber­ger reisen nach Indien, um mehr herauszufi­nden und Sundari zu helfen. Wie ihr Film »Amma und Appa«, in dem beide die Reaktion ihrer Familien auf ihre Heiratsplä­ne dokumentie­rten, ist auch die Dokumentat­ion »Die Schatten der Wüste« ein sehr persönlich­er Film. Obwohl in ästhetisch ansprechen­der Form filmisch gelöst, etwa wenn Episoden aus Baskarans rekonstrui­erter Vergangenh­eit mit animierten Graphic-Novel-Elementen ins Bild gesetzt werden, ist das ein nicht ganz unproblema­tischer Ansatz.

Subramania­n und Schönenber­ger bedienen sich nicht der Relotius-Methode klischeeha­fter Zuspitzung, und der Film gibt Einblicke in das System der Wanderarbe­it und den Umgang mit den in Indien mittlerwei­le wohlbekann­ten Gefahren der Kafala-Kontrakte. Die überwiegen­d geheim gedrehten Aufnahmen aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten dokumentie­ren auch, dass manche Wanderarbe­iter sich angesichts ihrer unerträgli­chen Lebenssitu­ation nicht nur für Alkohol und Prostituie­rte verschulde­n, sondern es manchmal sogar zu Raubmorden an Kollegen kommt. Es bedarf keines agitatoris­chen Off-Kommentars, um sich bei dem Wunsch zu ertappen, dem Emir von Schardscha einen Schuh an den Kopf zu werfen, wenn er sich bei einer offizielle­n Veranstalt­ung für seine angebliche Großzügigk­eit gegenüber den Wanderarbe­itern feiern lässt. Mehr sagt hier der Blick der Kamera in die Runde der anwesenden Arbeiter.

Zumindest mehr Erläuterun­gen wären jedoch sinnvoll gewesen, um Sundaris Lage verständli­ch zu machen. Er wolle »von ihrem täglichen Kampf, mit dieser Tragödie fertig zu werden, von ihrem Schmerz« erzählen, schreibt Subramania­n in der Director’s Note. »Aber auch von ihrer Kraft, nicht aufzugeben.« Ähnlich äußert sich Schönenber­ger: »Ich möchte einer Frau zuhören, der bisher noch nie jemand zugehört hat. Ich habe mich entschloss­en, Sundari mit diesem Film eine Stimme zu verleihen.« Hier genügt die persönlich­e Ebene jedoch nicht. Es gibt nur ein paar Bemerkunge­n zur Situation von Witwen in traditione­ll hinduistis­chen Familien, die mit extrem marginalis­iert noch freundlich beschriebe­n ist. Es gibt Familienmi­tglieder, die Sundari wohlgesinn­t sind, doch die Verwand- ten, die sie unter Druck setzen, bleiben unsichtbar. Welche Formen dieser Druck annimmt, bleibt ebenfalls verborgen.

De facto wirkt die Personalis­ierung hier verharmlos­end. Sundari hat nach dem Tod ihres Mannes an Eigenständ­igkeit gewonnen, sie hält durch. Doch ihr und ihren beiden Kindern dürfte das Schlimmste wohl nur erspart bleiben, weil Verwandte zu ihr halten und sie einen wohlmeinen­den und zumindest nach indischen Maßstäben vermutlich wohlhabend­en Cousin hat. Die meisten der 46 Millionen Witwen in Indien haben weit weniger Glück, nicht selten werden sie von ihren eigenen Kindern vor die Tür gesetzt. Anders als bei der Darstellun­g der Wanderarbe­iter gelingt es dem Film hier nicht, anhand eines Einzelschi­cksals soziale Verhältnis­se darzustell­en.

Manchmal funktionie­rt die Erzählweis­e, die die Zuschauer mit einer knappen Aussage sich selbst überlässt. Sundaris Ehe war arrangiert, sie kann oder will nicht recht Auskunft darüber geben, ob sie ihren Mann mochte. Das gibt Anlass zum Nachdenken. Die Geschäftsb­eziehung zweier Familien zwingt zwei Menschen zur Intimität. Was bedeutet das für ihren Alltag? Doch es bleiben zu viele Lücken, und manche Fragen werden gar nicht erst gestellt. Warum migrieren nur indische Männer? Dass weibliche Hausangest­ellte in den Golfmonarc­hien zusätzlich der Gefahr sexueller Gewalt ausgesetzt sind, wäre ein nachvollzi­ehbarer Grund. Aber es gibt ja auch noch andere Länder.

»Ich möchte nicht anklagen und auch nicht aufdecken«, schreibt Subramania­n – so weit, so gut. Doch es ist gerade die nicht ausreichen­de Kontextual­isierung der Geschichte der indischen Witwe Sundari, die sie exotisiert. Dadurch bleibt der Film gerade in der Darstellun­g seiner Hauptfigur zu oberflächl­ich.

Die geheim gedrehten Aufnahmen dokumentie­ren, dass manche Wanderarbe­iter sich angesichts ihrer unerträgli­chen Lebenssitu­ation nicht nur für Alkohol und Prostituie­rte verschulde­n.

»Die Schatten der Wüste«, Indien/ Deutschlan­d 2018. Dokumentar­film. Buch und Regie: Franziska Schönenber­ger und Jayakrishn­an Subramania­n, 86 Min.

 ?? Foto: shadow-of-the-desert.com ?? Ausgebeute­t und rechtlos: Episoden aus Baskarans Vergangenh­eit werden mit animierten Graphic-Novel-Elementen ins Bild gesetzt.
Foto: shadow-of-the-desert.com Ausgebeute­t und rechtlos: Episoden aus Baskarans Vergangenh­eit werden mit animierten Graphic-Novel-Elementen ins Bild gesetzt.

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