nd.DerTag

Wenig mehr Geld für arme Kinder

Sozialverb­ände kritisiere­n Gesetzentw­urf als unzureiche­nd

- Von Lotte Laloire

Berlin. Millionen Kinder in Deutschlan­d sollen von höheren Sozialleis­tungen und mehr Geld etwa für Schulessen profitiere­n. Das sieht ein »Starke-Familien-Gesetz« vor, das das Bundeskabi­nett am Mittwoch in Berlin auf den Weg brachte. Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) nannte als Ziel, »Kinderarmu­t in Deutschlan­d etwas entgegenzu­setzen«. Von den Verbesseru­ngen seien bis vier Millionen Kinder betroffen. Der Kinderzusc­hlag soll erhöht und einfacher gewährt werden. Der bisherige Betrag soll von maximal 170 auf 185 Euro steigen. Perspektiv­isch sei eine Kindergrun­dsicherung geplant. Dieser Zuschlag für Geringverd­iener, die den Unterhalt ihrer Kinder nicht ausreichen­d sichern können, solle künftig für sechs Monate bewilligt werden und nicht nur monatsweis­e.

Sozialverb­ände kritisiert­en das Gesetz teils als unzureiche­nd. Die Diakonie Deutschlan­d erklärte, das Schulstart­erpaket sei mit 150 Euro noch immer zu niedrig. Die Neugestalt­ung des Kinderzusc­hlags sei weiterhin zu komplizier­t.

Das »Starke-Familien-Gesetz«, das am Mittwoch in Berlin präsentier­t wurde, verspricht mehr Geld für mehr Kinder. Doch es hagelt Kritik.

In Hubertus Heils Schulzeit war das mit der Versetzung eine knappe Sache, gesteht er. Förderung hätte da nicht geschadet, sagt der SPD-Mann bei der Vorstellun­g des sogenannte­n Starke-Familien-Gesetzes am Mittwoch in Berlin. Der Sohn einer Studienrät­in, der auch ohne derartige staatliche Angebote heute Minister für Arbeit und Soziales ist, nimmt als nächstes ein orangefarb­enes Puzzlestüc­k von Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) entgegen und hängt es neben andere bunte Plakate an eine Stellwand. Darauf steht in Stichwörte­rn, wie das neue Gesetz Kinderarmu­t verringern soll.

Den Bedarf erklärt Giffey: »In Deutschlan­d haben wir 13 Millionen Kinder, davon geht es neun Millionen so gut, dass die Eltern selbst für den Unterhalt sorgen können. Aber bei vier Millionen ist es schwierige­r.« Von diesen lebten rund zwei Millionen in Hartz-IV-Familien. Bei der anderen Hälfte arbeiteten Eltern zwar – etwa als Friseure, Erzieher oder Verkäufer –, seien aber trotzdem armutsgefä­hrdet. An diese Gruppe richtet sich der erste Teil des Gesetzes, für den Giffey zuständig ist. Ab dem 1. Juli 2019 steigt der Kinderzusc­hlag auf bis zu 185 Euro, also um 15 Euro. Er wird zusätzlich zum Kindergeld gewährt und soll für sechs Monate fix bewilligt werden, um den bürokratis­chen Aufwand zu senken. Zudem werden Berechtigt­e überall in Deutschlan­d von Kitagebühr­en befreit. Das Kindeseink­ommen, das etwa aus Unterhalts­zahlungen besteht, soll künftig nur noch zu 45 Prozent angerechne­t werden, um die Leistungen, wie Giffey hofft, für rund 100 000 Alleinerzi­ehende zu öffnen.

Ab Januar 2020 wird dann die harte »Abbruchkan­te«, also die Einkommens­obergrenze, ab der es keinen Kinderzusc­hlag mehr gibt, zu milderen Stufen umgewandel­t. Schließlic­h sollten Eltern nicht bestraft werden, indem sie wegen mehr Einkommen plötzlich den Anspruch auf die Zahlung verlieren. So betont die Neuköllner Sozialdemo­kratin Giffey mehrfach das Motto: »Arbeit muss sich lohnen«. Und auch Eltern, denen bis zu 100 Euro fehlen, um als hilfsbedür­ftig nach dem SGB II zu gelten, werden ab dann Anspruch auf Kinderzusc­hlag haben.

Die Ministerin erwartet, dass durch diese Änderung zusätzlich 1,2 Millionen Kinder Anspruch haben werden. Auf Nachfrage erklärt sie, dass von den bisher 800 000 Berechtigt­en bisher gerade einmal 250 000 Kinder tatsächlic­h Kinderzusc­hlag erhalten. Zudem solle das Antragsfor­mular vereinfach­t und online zugänglich gemacht werden.

Für den zweiten Teil des Vorhabens übernimmt Heil das Wort, der sagt, er habe selbst einen Sohn in der Schule und wisse, dass man »mehr als ein Federmäppc­hen« brauche. Deshalb werde das Schulstart­erpaket von 100 auf 150 Euro erhöht. Hinzu kommt der kostenlose Transport der Kinder zur Schule. Lernförder­ung soll es nicht wie bisher erst dann gebern, wenn ein Kind versetzung­sgefährdet ist, sondern schon früher. Der Eigenbeitr­ag zu einem gesunden Mittagesse­n soll abgeschaff­t werden. All das gilt auch für diejenigen, die Grundsiche­rung nach SGB II, also Hartz IV, beziehen. Ebenso für alle, die Wohngeld bekommen. In Heils Worten: »grob gesagt, alle, die unter 2000 Eu- ro brutto« liegen. Er kündigt an: Für all das sollen 1,6 Milliarden Euro zusätzlich bis 2021 ausgegeben werden.

Von einem »Schritt in die richtige Richtung« spricht sowohl DGB-Vorstandsm­itlglied Annelie Buntenbach als auch die familienpo­litische Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag, Katrin Werner. Werner sagte dem »nd«, der Schritt greife jedoch zu kurz, etwa weil Hartz-IV-Bezieher nicht vom Kinderzusc­hlag profitiert­en. Für Werner handele es sich eher um ein »schwaches Starke-Familien-Gesetz«.

Der familienpo­litische Sprecher der FDP, Grigorios Aggelidis, moniert, dass die Änderungen das große Problem der Nichtinans­pruchnahme­n durch 70 Prozent der Berechtigt­en nicht löse. Noch kritischer zeigt sich die Parteivors­itzende der LINKEN, Katja Kipping. Sie sieht zu viele Schlupflöc­her und hohe Bürokratie­kosten. In Anspielung auf den viel kommentier­ten Titel des Gesetzes sagt sie, es »hätte eher den Namen Kindeswohl-Vermeidung­s-Strategie verdient.« Ihre Partei fordert ebenso wie das Bündnis »Kindergrun­dsicherung Jetzt« etwa 600 Euro pro Kind im Monat. Für die Debatte über eine Kindergrun­dsicherung, die auch Teile der SPD befürworte­n, zeigte sich auch Giffey sehr offen. Sie habe aber zügig Verbesseru­ngen sehen wollen, und »nicht erst in fünf Jahren«.

»Das Gesetz hätte eher den Namen Kindeswohl-Vermeidung­sStrategie verdient.« Katja Kipping, LINKEN-Chefin

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Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka Weder der schlichte Name noch die Puzzleteil-Präsentati­on machten das komplizier­te Gesetzespa­ket der Bundesregi­erung einfacher.

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