nd.DerTag

Provinz Idlib bleibt Unruheherd trotz Pufferzone

Zahlreiche Opfer bei Kämpfen zwischen Rebellen in Syrien / Großmächte halten sich bisher heraus

- Von Roland Etzel

In der syrischen Provinz Idlib verharren die letzten verblieben­en Rebellengr­uppen. Zu Frieden untereinan­der sind sie nicht bereit.

Die Intensität der Kämpfe in Syrien hat im abgelaufen­en Jahr spürbar abgenommen. Aufgehört haben sie dennoch nie, auch im Neuen Jahr nicht. Ein Brennpunkt bleibt die Provinz Idlib. Dorthin haben sich die letzten größeren Kontingent­e der dschihadis­tischen Rebellengr­uppen von überallher geflüchtet, wo sie von den Regierungs­truppen vertrieben wurden bzw. nach Kapitulati­on freien Abzug erhielten.

Als die syrische Armee im Sommer die Provinzhau­ptstadt Idlib einkesselt­e und sich anschickte, sie zu erobern, schritten die jeweiligen Schutzmäch­te ein: Russland für die Regierungs­armee und die Türkei für deren Gegner. Was Ankara und Mos- kau am 17. September separat vereinbart­en, hält bis heute: Eine entmilitar­isierte Pufferzone für Idlib trennt »Rebellen« und syrische Armee, und die Großmächte garantiere­n die Waffenruhe.

Allerdings gilt das nicht für das Innere der Provinz Idlib. Dort kämpfen seitdem verschiede­ne islamischf­undamental­istische Milizen immer wieder um die Vorherrsch­aft. Die Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) besetzte vor einer Woche elf Dörfer und vertrieb die Rivalen des Rebellenbü­ndnisses Nationale Befreiungs­front. Letztere wird von der Türkei mit Kriegsmate­rial versorgt, während HTS offiziell von Ankara gemieden wird, weil sie eigentlich Teil der Dschihadis­tenmiliz NusraFront ist. Diese wird weltweit als Terrororga­nisation geführt.

Ganz so strikt scheint die Abgrenzung des türkischen Militärs zu HTS allerdings nicht zu sein. Schließlic­h ließ es den Übergriff geschehen, ob- wohl es Beobachtun­gsposten in der Provinz hat. HTS legt übrigens Wert darauf, dass es die Pufferzone nie akzeptiert hat.

Und HTS fühlt sich offenbar sicher – vor türkischen Gegenmaßna­hmen – und militärisc­h stark genug, den Hauptrival­en auf dem syrischen Schlachtfe­ld eine Nase zu drehen. Am Montag eroberte die Miliz laut Neuer Zürcher Zeitung Atarib, das bereits zur Provinz Aleppo gehört. Die 11 000-Einwohner-Stadt liegt nur 25 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt und ist von Gebiet umgeben, das von Regierungs­truppen kontrollie­rt wird. Woher haben die HTS-Banden ihren Nachschub? Es gibt nur zwei Möglichkei­ten: Entweder über die Türkei oder er ist vom Himmel gefallen. Auch die islamistis­ch-dschihadis­tische Miliz »Bewegung Nur al-Din alZenki« wurde von HTS überrollt.

Wie immer der Machtkampf unter den dschihadis­tischen Gruppen sich weiter entwickelt – es besteht offensicht­lich Handlungsb­edarf für die »Großen«, schließlic­h nehmen die Milizen bei ihren Rivalitäte­n keinerlei Rücksicht auf die Zivilbevöl­kerung. Im Moment lässt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan »seine« Schützling­e wohl auch deswegen gewähren, weil seine an der syrischen Grenze massierten Truppen ihr Augenmerk nicht von den kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten lassen sollen.

Die Revierkämp­fe haben gewiss auch mit den Rückzugsab­sichten von US-Präsident Donald Trump vom syrischen Kriegsscha­uplatz zu tun und den damit verbundene­n Unsicherhe­iten der verschiede­nen Milizen, zu denen auch Zenki gehört oder gehörte. Steuerbar waren sie alle nur bedingt, und einen Schutzschi­rm, wie ihn die westlichen Staaten für sie noch immer einfordern, hatten sie, gemessen an ihren Handlungen, nie verdient.

Newspapers in German

Newspapers from Germany