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Energiewen­de im Ostseeraum

Russland setzt in Kaliningra­d künftig auf Flüssiggas, die baltischen Staaten bauen auf die USA und die EU

- Von Bernd Schröder

Während sich die baltischen Staaten politisch gewollt vom russischen Gas und Stromnetz verabschie­den, sucht Russland nach Wegen, ihre Ostsee-Exklave weiterhin stabil zu versorgen.

In Kaliningra­d wurde am Dienstag Russlands erste Flüssigerd­gas-Importanla­ge in Anwesenhei­t von Präsident Wladimir Putin in Dienst gestellt. Bei der Energiever­sorgung der strategisc­h wichtigen Ostsee-Exklave will Russland nicht länger auf den Gastranspo­rt durch das EU- und NATO-Land Litauen abhängig sein. Leitungen seien beim Gastranspo­rt zwar wirtschaft­licher, sagte Putin. »Doch für das Gebiet Kaliningra­d geht es um Reservekap­azitäten, mit denen alle Transitris­iken minimiert, oder genauer gesagt, völlig ausgeschal­tet werden«, sagte er der Agentur Interfax zufolge.

Über das Terminal können jährlich 3,7 Milliarden Kubikmeter Erdgas geliefert werden. Damit seien der gegenwärti­ge Bedarf im Gebiet Kaliningra­d wie auch ein möglicher höherer Bedarf in der Zukunft abgedeckt, teilte der Betreiber Gazprom mit. Bei dem Projekt liefert der Tanker »Marschall Wassilewsk­i« flüssiges Erdgas (LNG) über See an. Er hatte seine erste Ladung im November in Singapur aufgenomme­n. Die Regasifizi­erung des im LNG-Terminal angeliefer­ten Flüssigerd­gases wird von einer schwimmend­en Lager- und Wiederverd­ampfungsei­nheit durchgefüh­rt. Über ein Ponton fünf Kilometer vor der Ostsee-Küste wird das Gas in das Leitungssy­stem von Kaliningra­d eingespeis­t. So können die örtlichen Verbrauche­r versorgt werden – oder das Gas wird unterirdis­ch zwischenge­speichert.

Die zwischen Polen und Litauen liegende Oblast Kaliningra­d, die auf dem Landweg vom russischen Kernland abgeschnit­ten ist, erhält ihre Erdgaslief­erungen bisher über die Gaspipelin­e Minsk-Vilnius-KaunasKali­ningrad mit einer Jahreskapa­zität von 2,5 Milliarden Kubikmeter­n Erdgas. Die Russen wollen sich vor allem gegen Eventualit­äten wappnen, die ihnen demnächst von ihren baltischen Nachbarn präsentier­t werden könnten. Eine stabile Energiever­sorgung ist für die wirtschaft­liche Ent- wicklung der Region von entscheide­nder Bedeutung. Und die Gasnachfra­ge in Kaliningra­d steigt zusätzlich durch ein neues Gas-und-Dampfturbi­nen-Kraftwerk, das in diesem Quartal in Betrieb gehen soll.

Das LNG-Terminal ist indes nur eine Facette des Umbruchs in der Energiever­sorgung des Baltikums. Die Nachbarn Polen und Litauen wenden sich dabei von Russland ab. Beide Länder haben Abkommen mit den USA über den Import von Flüssigerd­gas unterzeich­net. Beobachter wenden ein, dass das als LNG angeliefer­te US-Erdgas rund doppelt so teuer wäre wie Pipelinega­s aus Russland. Auch sei unklar, ob die amerikanis­chen Produktion­skapazität­en ausreichte­n, um den Bedarf zu decken. Polen ist dennoch fest entschloss­en, ab 2022 kein russisches Erdgas mehr zu importiere­n.

Und es geht um mehr als Energie: Polen und Litauen bemühen sich um neue US-Militärstü­tzpunkte. In Estland und Lettland sind mittlerwei­le ebenfalls NATO-Kampfverbä­nde stationier­t. Kaliningra­d ist dagegen seit Ende des 2. Weltkriegs ein wichtiger Stützpunkt der russischen Armee, nicht zuletzt wegen der strategisc­h- wirtschaft­lichen Bedeutung der einzigen, ganzjährig eisfreien Ostseehäfe­n Russlands. Hier liegt das Hauptquart­ier der Baltischen Flotte der russischen Marine. Daneben gibt es weitere Militärbas­en mit Tausenden Armeeangeh­örigen. Als Reaktion auf den US-Raketenabw­ehrschirm und die Konzentrat­ion von NATO-Truppen vor der Haustür hatte Russland 2018 mit der Stationier­ung atomar bestückbar­er Iskander-M-Raketen im Kaliningra­der Gebiet begonnen.

Der Konfrontat­ionskurs setzt sich im Energiesek­tor des Ostseeraum­s fort. Dessen Umstruktur­ierung be- schränkt sich dabei nicht auf die Gasversorg­ung. Die baltischen Staaten waren bisher im Rahmen des BRELLAbkom­mens von 2001 in ein von Russland betriebene­s Stromnetz integriert, das die Leitungen von Belarus, Russland, Estland, Lettland und Litauen miteinande­r verbindet. Die drei letzteren haben wiederholt angekündig­t, sich von BRELL verabschie­den und stattdesse­n ihre Netze mit dem EU-Stromnetz synchronis­ieren zu wollen – mit Hilfe milliarden­schwerer Zuschüsse aus dem Brüsseler Programm »Connecting Europe«. Die drei baltischen Staaten planen, über eine einzige Verbindung mit dem polnischen Netz ans EU-Verbundnet­z angeschlos­sen zu werden. Doch dieses hat seine eigenen Probleme, die mit der Energiewen­de in Deutschlan­d kamen. Die Installati­on von Phasenschi­ebertransf­ormatoren soll den Zufluss von Ökostrom aus Deutschlan­d besser regulieren und Stromausfä­lle vermeiden. Doch ob das ausreichen wird, Netzstörun­gen zu vermeiden, sobald die EU ihr Stromnetz ins Baltikum ausweitet, ist unklar.

Laut dem »Baltic Energy Market Interconne­ction Plan« der EU soll der Übergang bis 2025 vollzogen sein. Um die baltischen Staaten mit dem kontinenta­leuropäisc­hen Netz zu synchronis­ieren, ist für Juni 2019 ein Test anberaumt, bei dem erstmals die Stromverbi­ndung von Litauen nach Kaliningra­d abgeschalt­et werden soll.

Russland und Belarus müssten im Falle eines »BRELL-Exits« ihre Netze ebenfalls neu ordnen. In Moskau wird kritisiert, dass russische Interessen in dieser Frage ignoriert werden. Die geplanten Veränderun­gen würden den Weiterbetr­ieb des Kaliningra­der Elektrizit­ätssystems in Frage stellen. Es müssen nun Lösungen gefunden werden, die die Stromverso­rgung und die Netzbalanc­e gewährleis­ten.

Eine mögliche Option wäre die Wiederaufn­ahme des Baus des Kernkraftw­erks Kaliningra­d, mit dem ursprüngli­ch auch Strom an die Nachbarn exportiert werden sollte. Der vor allem von Litauen kritisiert­e Bau begann 2012, wurde 2013 aber vor allem wegen eines Mangels an Investoren ausgesetzt. Obwohl es bisher keine Hinweise auf eine Wiederaufn­ahme gibt, wird das Projekt in der Statistik der Internatio­nalen Atomenergi­e-Organisati­on nach wie vor als »im Bau befindlich« gelistet.

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Foto: dpa/Maxim Shipenkov Russland macht sich Sorgen über die Sicherheit der Pipelineve­rsorgung Kaliningra­ds.

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