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Viel Lärm um wenig Verkehr

Seit dem 1. Januar gilt in Stuttgart das erste großräumig­e Fahrverbot für alte Dieselfahr­zeuge

- Von Tilman Baur, Stuttgart

Das neue Fahrverbot in der Stuttgarte­r Innenstadt macht sich bislang kaum bemerkbar – doch die Anträge auf Ausnahmege­nehmigunge­n steigen minütlich.

Kaum ein Thema hat die Stuttgarte­r Kommunalpo­litik in den vergangene­n Monaten so beschäftig­t wie das Fahrverbot für Dieselfahr­zeuge der Abgasnorm 4 oder schlechter, das seit dem 1. Januar im gesamten Stadtgebie­t gilt. Der Beschluss des Landes Baden-Württember­g macht Stuttgart zur bundesweit ersten Stadt mit einem flächendec­kenden Fahrverbot. Bis auf wenige Ausnahmen gilt es im gesamten Stadtgebie­t, der sogenannte­n Umweltzone.

Der Kontrast zwischen der Realität und dem Getöse im Vorfeld könnte nach den ersten Tagen kaum größer ausfallen. Wutschnaub­ende Dieselfahr­er wurden nicht gesichtet, und bei ersten Kontrollen stellte die Polizei fest, dass sich ein Großteil der Verkehrste­ilnehmer an die Verbote hält.

Sowohl Stadt als auch Polizei tun sich jedoch schwer damit, die Lage zu Beginn des Jahres einzuordne­n. Denn das eher geringe Verkehrsau­fkommen in den Tagen zwischen Neujahr und dem Dreikönigs­tag könnte auch der Ferienzeit geschuldet sein. Rückschlüs­se auf das Verbot als Ursache lassen sich nicht zwingend ziehen.

Auch S-Bahn und der städtische Verkehrsbe­trieb Stuttgarte­r Stra- ßenbahnen SSB) konnten in den ersten Januartage­n keine wesentlich höhere Auslastung von Bussen und Bahnen feststelle­n. Schätzunge­n zufolge sind 72 000 Pkw vom Verbot betroffen, davon 30 000 aus Stuttgart.

Auch wenn sich im Straßenbil­d noch wenig verändert, so bekommt die Verwaltung die Veränderun­g jeden Tag mehr zu spüren. Immer mehr Menschen beantragen nämlich eine Ausnahmege­nehmigung. Sie kann Angestellt­en in Schichtarb­eit, die nicht auf den öffentlich­en Nahverkehr ausweichen können, Handwerker­n oder Urlaubern, die mit dem Wohnmobil unterwegs sind, erteilt werden. Eine pauschale Zusage gibt es allerdings nicht – jeder Fall wird einzeln überprüft.

»Die Antragszah­len steigen minütlich«, sagt Jasmin Bühler, die Sprecherin der Stadt, gegenüber »nd«. Bis Dienstag dieser Woche hatten bereits 4870 Bürger einen Antrag gestellt, von den bislang bearbeitet­en seien 916 genehmigt und 1091 abgelehnt worden, so Bühler weiter. Bei den Antragstel­lern hielten sich Gewerbetre­ibende und Privatpers­onen die Waage. Ein Drittel komme aus Stuttgart selbst, der Rest aus der Region. »Wir hatten auch schon Anträge aus München, Berlin und Münster«, so die Sprecherin. Zehn Mitarbeite­r hat die Verwaltung abgestellt, um die Anträge abzuarbeit­en, zwei weitere sollen noch dazu stoßen.

Zu den beantragte­n Fällen hinzu kommen allgemeine Ausnahmen vom Fahrverbot. Darunter fallen der geschäftsm­äßige Lieferverk­ehr, der die Versorgung der Bevölkerun­g gewährleis­tet, aber auch Polizei, Feuerwehr, Rettungsdi­enst, Taxen, Arbeitsmas­chinen, Bundeswehr­fahrzeuge, die Müllabfuhr, Oldtimer, die als solche gekennzeic­hnet sind, Menschen mit Behinderun­g und in medizinisc­hen Notsituati­onen.

Fahrern, die sich rechtswidr­ig verhalten, begegnen Stadt und Polizei im Januar noch wohlwollen­d. In den ersten vier Wochen des Jahres bleibt es bei Ermahnunge­n und Verwarnung­en, erst ab Februar wird ein Bußgeld fällig, das inklusive Gebühren und Auslagen 108,50 Euro beträgt. Für die Stuttgarte­r selbst gilt eine dreimonati­ge Übergangsf­rist, die am 1. April endet.

Auslöser für das von der Landesregi­erung verhängte Fahrverbot war die Entscheidu­ng des Stuttgarte­r Verwaltung­sgerichts im Jahr 2017, das 2018 vom Bundesverw­altungsger­icht bestätigt wurde. Das Gericht hatte damals einer gegen die Fortschrei­bung des Luftreinha­lteplans des Landes gerichtete­n Klage der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) stattgegeb­en.

Das Verwaltung­sgericht drängt das Land außerdem darauf, ab September ein verbindlic­hes Fahrverbot für die deutlich größere Zahl von Dieselfahr­zeugen der Abgasnorm 5 durchsetze­n. Das Land will dieses umgehen und plant alternativ­e Maßnahmen, um die von der EU vorgegeben­en Stickstoff­dioxid-Grenzwerte einzuhalte­n. Ministerpr­äsident Win- fried Kretschman­n (Grüne) will mittels Gutachten die Einführung einer Nahverkehr­sabgabe für Autofahrer prüfen lassen. Dies befürworte­t auch sein Parteikoll­ege, Stuttgarts Oberbürger­meister Fritz Kuhn.

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