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Wunsch nach Veränderun­g

Der neue Agraratlas untersucht die Subvention­spraxis der EU-Landwirtsc­haftspolit­ik

- Von Haidy Damm

Die nächste Förderperi­ode der EU beginnt im Jahr 2021. Die Verhandlun­gen über die Verteilung der Mittel sind in vollem Gange. Es geht um viel Geld und politische­n Wandel.

Der Ausgang der Europawahl im Mai wird sich auch auf die künftige Agrarpolit­ik auswirken. Denn noch in diesem Jahr soll der Rahmen für die nächste Förderperi­ode ausgehande­lt werden. Der Agrartopf ist der größte in der EU, es geht um fast 60 Milliarden Euro, die den Mitgliedss­taaten jährlich zur Verfügung gestellt werden. Pro EU-Bürger*in sind das 114 Euro Steuergeld­er im Jahr. Hier setzt der am Mittwoch in Berlin vorgestell­te Agraratlas des Bundes für Umwelt und Naturschut­z (BUND) und der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung an: Sie fordern, das bisherige Agrarmodel­l zugunsten einer ökologisch­en und klimafreun­dlichen Landwirtsc­haft umzugestal­ten. Denn die EU habe sich zu internatio­nalen Zielen für den Klimaschut­z und die Biodiversi­tät sowie zur globalen Gerechtigk­eit verpflicht­et. Nur, ihre Agrarpolit­ik habe sie nicht darauf ausgericht­et. »Die derzeitige Agrarpolit­ik ist unökologis­ch, ungerecht und ineffizien­t«, kritisiert Christiane Chemnitz von der Heinrich-Böll-Stiftung.

Nach den bisherigen Vorschläge­n der EU-Kommission ist hier keine inhaltlich­e Wende in Sicht. So sollen weder die Direktzahl­ungen wegfallen, noch die Gelder stärker an gesellscha­ftliche Leistungen wie Umwelt- und Naturschut­z gekoppelt werden. Zudem will die EU-Kommission die Möglichkei­ten der Mitgliedss­taaten erweitern, selbststän­dig über die Verteilung der Gelder zu entscheide­n. Zukünftig sollen sie der Kommission Strategiep­läne vorlegen, in denen festgelegt ist, wie sie die übergeordn­eten Ziele erreichen wollen. Die Umsetzung soll den lokalen Gegebenhei­ten angepasst sein. »Anstelle des derzeitige­n Systems wird ein neuer Ansatz eingeführt, durch den die Mitgliedss­taaten viel mehr Möglichkei­ten zur Mitwirkung erhalten«, erklärte EU-Agrarkommi­ssar Phil Hogan.

Das sei eine »verpasste Gelegenhei­t«, so BUND-Vorsitzend­er Hubert Weiger. »Wir müssen weg von pauschalen Zahlungen pro Fläche. Davon profitiere­n die Großbetrie­be, die viel Land haben. Die kleinen und mittleren Betriebe sind die Leidtragen­den dieser verfehlten Politik und werden nur unzureiche­nd unterstütz­t.« Umweltverb­ände fordern schon länger, dass die Gelder aus dem EU-Haushalt für das ausgegeben werden, »was wir als Gesellscha­ft von der Landwirtsc­haft einfordern, wofür Bäuerinnen und Bauern aber kein Geld am Markt bekommen«: artgerecht­e Tierhaltun­g sowie Schutz von Vögeln und Insekten, von Gewässern und des Trinkwasse­rs. »Wir fordern öffentlich­e Gelder nur für öffentlich­e Leistungen«, so Weiger.

Wie deutlich sich die Direktzahl­ungen auf das Einkommen der Landwirt*innen auswirken, hängt dabei von der Größe und Art des Betriebes ab. Wo die Anbaufläch­e kaum eine Rolle spielt, etwa in der Schweineun­d Geflügelpr­oduktion, ist die Bedeutung gering, auch bei sehr hoher Produktivi­tät pro Hektar wie im Wein- und Gartenbau. Im Ackerbau und in der Weidewirts­chaft hingegen können die Direktzahl­ungen durchaus die Einkünfte aus der eigentli- chen landwirtsc­haftlichen übersteige­n.

Eine Umschichtu­ng im EU-Haushalt könnte laut Agraratlas auch dem Höfesterbe­n entgegenwi­rken. Denn die Zahl der Kleinbetri­ebe schrumpft seit Jahren – europaweit. 96 Prozent der Betriebe, die zwischen 2003 und 2013 verschwund­en sind, verfügten über weniger als zehn Hektar. Die Kleinbetri­ebe leiden meist an denselben Problemen: Die niedrigen Lebensmitt­elpreise decken kaum die Produktion­skosten. Die Gewinne machen nicht die Produzent*innen, sondern vor allem die Verarbeitu­ngs- und Handelsunt­ernehmen. Unternehme­n mit über 100 Hektar Fläche machen dagegen nur drei Prozent aller EU-Agrarbetri­ebe aus. Ihre Zahl aber steigt.

Unterstütz­t sehen sich die Autor*innen des Agraratlas vom gesellscha­ftlichen Wandel. Selten wurde über landwirtsc­haftliche Produktion so breit diskutiert wie in den vergangen Jahren. Eine für den Agraratlas in Auftrag gegebene repräsenta­tive Forsa-Studie bestätigt: 76 Prozent der Befragten empfinden das Höfesterbe­n in Deutschlan­d als großes Problem und möchten, dass gerade mittlere und kleine Betriebe staatlich unterstütz­t werden. Die Hälfte stimmt zu, dass Agrarbetri­ebe zusätzlich honoriert werden sollen, wenn sie besondere Leistungen für Wasser- und Naturschut­z erbringen. Besonders jüngere Befragte unterstütz­en diese Position. Christine Chemnitz sieht hier großes Potenzial, warnt aber: Wenn die EU-Agrarpolit­ik so weitermach­e wie bisher, wären »weitere sieben Jahre verschenkt«. Arbeit

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Foto: dpa/Bernd Wüstneck Rapsernte auf einem Feld in Neubukow (Mecklenbur­g-Vorpommern)

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