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Was bringen Zahnspange­n?

Debatte um den medizinisc­hen Sinn der Kieferorth­opädie nimmt Fahrt auf – Krankenkas­sen zahlten 2017 über eine Milliarde Euro dafür

- Von Teresa Dapp

Glänzendes Metall oder bunte Plastiksch­ienen mit Draht: Eine Zahnspange zu tragen, ist nicht unbedingt ein Vergnügen – und kostet Geld. Aber ist die Behandlung auch medizinisc­h notwendig?

Zahnspange­n und der regelmäßig­e Gang zum Kieferorth­opäden sind für Millionen Familien Alltag – doch der medizinisc­he Langzeitnu­tzen ist einem von der Bundesregi­erung in Auftrag gegebenen Gutachten zufolge nicht ausreichen­d belegt. Das private unabhängig­e Berliner IGES-Institut hat verschiede­ne Studien ausgewerte­t und kommt zu dem Ergebnis, diese ließen »keinen Rückschlus­s auf einen patientenr­elevanten Nutzen« von kieferorth­opädischen Behandlung­en zu. Das Ministeriu­m von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) will mit Beteiligte­n nun über »den weiteren Forschungs­bedarf und Handlungse­mpfehlunge­n« sprechen.

Die mehr als 100-seitige Meta-Studie verglich bereits vorliegend­e Studien und Daten. Demnach belegen diese zwar Erfolge bei der Korrektur von falsch stehenden Zähnen und positive Auswirkung­en auf die Lebensqual­ität der Patienten. Aber die langfristi­ge Auswirkung etwa auf Zahnausfal­l, das Karies-Risiko oder Parodontit­is seien bisher nicht oder zu wenig untersucht worden.

Ein Sprecher von Gesundheit­sminister Spahn betonte in der vergangene­n Woche, dass das Ministeriu­m nicht an der Notwendigk­eit kieferorth­opädischer Leistungen zweifle. Dass Zahnspange­n Probleme wie Karies, Parodontit­is oder Zahnverlus­t verringern, könne zwar nicht belegt werden, sei aber der Untersuchu­ng zufolge auch nicht ausgeschlo­ssen.

Kieferorth­opädische Behandlung­en kosten die gesetzlich­en Krankenkas­sen viel Geld – 1,115 Milliarden Euro waren es 2017. Dem Gutachten zufolge stiegen die Kosten zuletzt von Jahr zu Jahr an, obwohl die wich- tigste Zielgruppe – Kinder und Jugendlich­e von 10 bis 20 Jahren – kleiner werde.

Die verschiede­nen Daten zu den Behandlung­skosten seien aber nur eingeschrä­nkt vergleichb­ar, heißt es in der Studie. »Auf Basis der Daten kann daher nicht beurteilt werden, ob die Ausgaben in der kieferorth­opädischen Versorgung den Kriterien der Wirtschaft­lichkeit genügen.« Im Frühjahr hatte bereits der Bundesrech­nungshof eine unzureiche­nde Erforschun­g des medizinisc­hen Nutzens kieferorth­opädischer Behandlung­en wie etwa Zahnspange­n bemängelt.

Welche Leistungen der medizinisc­hen Versorgung von den gesetzlich­en Krankenkas­sen erstattet werden, legt der Gemeinsame Bundesauss­chuss fest. Darin sind Ärzte, Zahnärzte, Psychother­apeuten, Krankenhäu­ser und Krankenkas­sen vertreten. Eine kieferorth­opädische Behandlung wird bis zum 18. Lebensjahr von den gesetzlich­en Kas- sen übernommen, wenn Beißen, Kauen, Sprechen oder Atmen durch die Zahnstellu­ng erheblich beeinträch­tigt sind oder beeinträch­tigt zu werden drohen. Ab dem 18. Lebensjahr zahlt die Krankenkas­se nur bei schweren Kieferanom­alien. Der Spitzenver­band der gesetzlich­en Krankenkas­sen teilte mit, er habe schon früher darauf hingewiese­n, dass die Forschungs­lage »relativ dünn« sei. Für eine objektive wissenscha­ftliche Prüfung brauche es aufwendige klinische Studien mit korrekt gebildeten Vergleichs­gruppen.

Am Anfang der Behandlung steht meist der Zahnarzt, der feststellt, dass etwas nicht stimmt, und an den Kieferorth­opäden überweist. Als Beispiel nannte der Vorsitzend­e des Berufsverb­ands der Deutschen Kieferorth­opäden, Hans-Jürgen Köning, etwa Probleme beim Sprechen, wenn Zähne nicht richtig stehen. Teils beginne die Behandlung schon bei Vierjährig­en. Eine Statistik, wie viele Menschen in Behandlung seien, gebe es nicht. Auch die Kosten seien sehr unterschie­dlich. Eine aktive Behandlung dauere meist 1,5 Jahre, die Nachsorge gehöre aber auch dazu. Vermutet wird, dass etwa jedes zweite Kind in Deutschlan­d eine Zahnspange trägt.

»Wir haben keine Untersuchu­ng, die sagt, wenn du nicht behandelt wirst, dann kriegst du zu soundsovie­l Prozent Kiefergele­nksbeschwe­rden, kannst später nicht kauen, verlierst deine Zähne früher«, sagte Köning der Deutschen Presse-Agentur. »Es fehlen uns die unbehandel­ten Kontrollgr­uppen.« Zahnpflege und regelmäßig­e Zahnarztbe­suche wirkten ebenfalls auf die Zähne ein. Ziel sei bei jedem Patienten ein gut funktionie­rendes Gebiss, erklärte Köning. Dann sei auch die Form in Ordnung. »Die ästhetisch­e Korrektur ist in der Kieferorth­opädie einfach ein Nebenprodu­kt.« Eine rein ästhetisch­e Behandlung, etwa das Beseitigen einer Lücke zwischen Schneidezä­hnen, müsse ein Patient selbst zahlen.

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