nd.DerTag

Zwangsehe

Uwe Kalbe über den Aachener Vertrag zwischen Deutschlan­d und Frankreich

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Die Verwandlun­g des Élysée-Vertrages in einen Aachener Vertrag bezeugt eine Wandlung der Verhältnis­se. Es handelt sich um eine Flucht nach vorn, die beide Länder unternehme­n. Nichts geben sie mehr darauf, ob damit den alten Debatten Nahrung gegeben wird, Deutschlan­d und Frankreich setzten sich in einem Kerneuropa vom Rest der Gemeinscha­ft ab. Es bleibt keine Zeit mehr für solche Erörterung­en. Knapp wird die Luft im globalen Hecheln um Märkte und Positionen. Es geht um Macht, und das in Zwängen und Zweifeln zerrissene EU-Europa bietet längst keine Gewähr, dass es in diesem Machtkampf besteht. Nach Ansicht seiner Architekte­n könnte der Vertrag ein Impuls sein oder eine Ohrfeige – was zählt, ist die Geschwindi­gkeit, mit der man künftig agieren will.

Alteingese­ssenen Bundesbürg­ern mag die deutsch-französisc­he Liaison ähnlich stabil erscheinen wie DDR-Bürgern einst die unverbrüch­liche Freundscha­ft mit Polen. Ein Blick auf die bilaterale­n Beziehunge­n im Osten sollte heute zur Warnung reichen. Falsch kann es deshalb nicht sein, Friedensab­sichten zu erneuern. Die Linke beider Länder, die am Aachener Vertrag unbeteilig­t blieb, weist aber zu Recht darauf hin, dass sich sein Wert nur im Effekt auf die Lebensqual­ität der Menschen messen lässt. Die verordnete regelmäßig­e Kohabitati­on beider Parlamente ersetzt dies nicht.

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