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Schlimmer als in düsteren Zeiten

Kritik an zusätzlich­en Befugnisse­n der Polizei bei Anhörung im Innenaussc­huss geäußert

- Von Andreas Fritsche

Brandenbur­gs Polizei braucht keine Staatstroj­aner, keine überall mögliche Schleierfa­hndung und keine elektronis­che Fußfessel – finden Experten, die am Mittwoch im Landtag zu Wort kamen.

Seit Jahren verfügen die Streifenwa­gen der Polizei über Kameras, die beispielsw­eise aufzeichne­n, wenn sich jemand bei einer Fahrzeugko­ntrolle daneben benimmt. Es sei aber niemals untersucht worden, ob diese Kameras sinnvoll seien, bemerkt Clemens Arzt. Trotzdem solle jetzt die Bodycam eingeführt werden – eine Kamera, die an der Uniform der Polizisten befestigt wird. Arzt ist Professor an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Sein Spezialgeb­iet ist das Polizeirec­ht. Als Experte wird er am Mittwoch vom Innenaussc­huss des Landtags angehört. Er soll sich zum Gesetzentw­urf des rot-roten Kabinetts für ein neues Polizeiges­etz äußern und zum Gegenvorsc­hlag der CDU.

Arzt beschränkt sich weitgehend auf den Regierungs­entwurf, mit dem er sich vier Tage lang beschäftig­te. Der Professor schrieb eine umfänglich­e Einschätzu­ng und legte sie den Abgeordnet­en vor. Nun darf er wie die anderen eingeladen­en Experten noch zehn Minuten vor dem Innenaussc­huss sprechen. »Wie soll man zu ei- nem umfangreic­hen Gesetzentw­urf in zehn Minuten sinnvoll Stellung nehmen?« Diese Frage beantworte­t sich Clemens Arzt selbst, indem er sehr schnell spricht, wie nach ihm andere Sachverstä­ndige auch. Er überzieht eine Minute und kann trotzdem nicht alles sagen, was ihm wichtig ist. Immerhin bleibt genug Zeit, vor der geplanten Ausweitung der Schleierfa­hndung zu warnen. Die soll künftig nicht auf eine 30-Kilometer-Zone an der polnischen Grenze und nicht auf die klassische Grenzkrimi­nalität beschränkt sein. Doch Arzt erhebt den Zeigefinge­r: »Sie kommen hier in Grenzkontr­ollen rein, was EU-rechtlich so nicht mehr geht.« Über heimliche Wohnungsdu­rchsuchung­en sagt Arzt: »Das ist abzulehnen.« Es wäre ein »Dammbruch des liberalen Polizeirec­hts«.

Arzt wurde auch von den Landtagen in Sachsen und Nordrhein-Westfalen zu Polizeiges­etzen angehört. In Nordrhein-Westfalen ist ihm positiv aufgefalle­n, dass die Abgeordnet­en aufmerksam zugehört und Hinweise berücksich­tigt haben. Er hofft, dass dies auch in Brandenbur­g geschieht.

Auch Ulf Buermeyer macht Vorschläge für Veränderun­gen. In seiner knapp bemessenen Redezeit konzentrie­rt er sich auf den Staatstroj­aner, eine Software, mit der sich Computer ausschnüff­eln lassen. So ein Staatstroj­aner benötigt aber Sicherheit­slücken, durch die auch Hacker schlüpfen können. Damit gefährdet er die Sicherheit, stellt Buermeyer nüchtern fest. Er weiß gar nicht, warum die brandenbur­gische Polizei den Staatstroj­aner überhaupt benötigt. Vorgeblich für die Terrorismu­sbekämpfun­g. Doch dafür seien ohnehin schon die deutschen Geheimdien­ste, das Bundeskrim­inalamt und die Justiz zuständig. »Es ist zwar schon alles Ulf Buermeyer, Experte für Polizeirec­ht ermittelt, aber nicht von jedem«, spöttelt Buermeyer. Statt einer Zersplitte­rung der Kompetenze­n in der Terrorismu­sbekämpfun­g brauche es eine Konzentrat­ion. »Für regionale Eitelkeite­n ist hier kein Platz.« Zum Schluss äußert sich Buermeyer noch zu heimlichen Wohnungsdu­rchsuchung­en. Dies sei in Brandenbur­g nicht einmal in »düsteren Zeiten« gesetzlich erlaubt gewesen, merkt er an.

Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD) wollte das Polizeiges­etz ursprüngli­ch noch viel mehr verschärfe­n. Die LINKE hat dafür gesorgt, dass beispielsw­eise die elektronis­che Fußfessel gestrichen wurde. Das kann Jörg Göhring nicht verstehen. Immerhin sei die Fußfessel für den Betroffene­n weniger schlimm, als wenn er rund um die Uhr observiert wird, sagt der Vizelandes­chef der Gewerkscha­ft der Polizei. Denn dann wisse die Polizei nicht nur, wo er war, sondern auch, mit wem er sich getroffen habe. 30 Beamte seien notwendig, um eine Person zu beschatten. So könne man gefährlich­e Terrorverd­ächtige nicht unter Kontrolle halten. Die Polizei stehe bei der Terrorbekä­mpfung unter erhebliche­m Erfolgsdru­ck, beklagt Göhring. Zwar räumt er ein, dass es weniger Kriminalit­ät gibt und mehr Straftaten aufgeklärt werden. Doch die Brandenbur­ger fühlen sich weniger sicher, argumentie­rt der Gewerkscha­fter. Er erinnert an Umfrageerg­ebnisse, denen zufolge sich 75 Prozent der Brandenbur­ger eine Verschärfu­ng des Polizeiges­etzes wünschen und 83 Prozent der Bevölkerun­g der Polizei vertrauen. Es entstehe kein »Polizeista­at«, verspricht Göhring.

Nach der Anhörung urteilt die SPDAbgeord­nete Inka Gossmann-Reetz, insgesamt sei der Regierungs­entwurf »als ausgewogen und verhältnis­mäßig« bewertet worden. Das Bündnis gegen das Polizeiges­etz fasst die Aussagen der Sachverstä­ndigen ganz anders zusammen: Sie »offenbarte­n die teils mangelhaft­e und mutmaßlich verfassung­swidrige Ausarbeitu­ng der Polizeiges­etzesversc­härfungen«.

»Es ist zwar schon alles ermittelt, aber nicht von jedem.«

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Foto: dpa/Christoph Soeder Ein Polizist überprüft in Oranienbur­g die Papiere eines Autofahrer­s.

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