Nicht zu trennende Zwillinge
Die Marx-Engels-Stiftung Wuppertal erinnert an die Wegmarke Revolution
Sowohl auf das Davor als auch auf das Danach ist der Blick der neun Autoren, darunter drei Studierende, gerichtet. Die Herausgeber verfolgen ein Konzept, das weniger auf Ereignisschilderung orientiert ist, sondern mehr eine Darlegung geschichtlicher Prozesse verlangt. In diesem Sinne befasst sich Gerhard Engel mit dem Platz der Revolution von 1918/19 in der deutschen Geschichte sowie im Geschichtsbild der Deutschen. Er widmet breiten Raum vor allem der Frage nach Charakter und Wirken der Rätebewegung. Deren innerer Zerrissenheit sieht er als ein Spiegelbild der gespaltenen Arbeiterbewegung. Das damalige revolutionäre Geschehen wird als eine breite Volksbewegung für Frieden und Republik gewürdigt, zugleich als die größte demokratische Massenaktion in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, als eine »nicht zu unterschätzende Wegmarke auf dem steinigen Pfad zum historischen Fortschritt in Deutschland«, wobei ihre entschiedensten Verfechter aber unterlagen.
Der jüngst verstorbene Hans Hautmann untersucht die »österreichische Revolution«, in der die Sozialdemokratie nicht wie die deutsche auf eine blutige Repression, sondern auf eine »gewaltlose Bändigung« der revolutionären Linken gesetzt habe. Sachlich-historiographisch beleuchtet sodann Ralf Riedl die politisch gewollten bzw. die geschichtswissenschaftlich vollzogenen Wendungen, die es im DDR-Bild über die Novemberrevolution gab.
Die beiden Herausgeber selbst, noch Studierende, liefern lokalgeschichtliche Studien bei, die in den Kontext des Gesamtgeschehens in Deutschland vor 100 Jahren gestellt werden: Gerrit Brüning bietet einen detaillierten Überblick zum Verlauf der Novemberrevolution in Bremen und dem Wirken der hier am 10. Januar 1919 geschaffenen Räterepub- lik; Kurt Baumann geht an Hamburger Beispielen der interessanten Frage nach, wie die proletarische Frauenbewegung und Arbeiterjugendbewegung einander bedingten. Er weist insbesondere nach, in welch hohem Maße letztere nach Eigenständigkeit strebte und sich den Versuchen entzog, nur ein Instrument oder Werkzeug der Parteien sein zu sollen.
Zwei weitere Beiträge befassen sich mit der Geschichte der KPD (Heinz Karl, Raimund Ernst) und heben mit Recht deren unbestrittenes Engagement im Kampf gegen das Kapital wie ihren konsequenten antifa- schistischen Charakter hervor. Wünschenswert wären jedoch ergänzende Analysen zu den Ursachen und Wirkungen der verhängnisvollen »Sozialfaschismus«-These sowie zu den offiziell verbreiteten totalitarismustheoretischen Schuldzuweisungen an die Radikalen von links und von rechts für das Scheitern der Weimarer Republik gewesen.
Dass Revolution und Konterrevolution als nicht zu trennende Zwillinge zu bezeichnen sind, lassen die Artikel von Rainer Zilkenat und Ludwig Elm erkennen. Ersterer stellt am Beispiel des Frühfaschisten Eduard Stadtler dar, wie die während der Revolution ins Wanken geratene bourgeoise Herrschaft nach neuen Mitteln und Argumenten suchte, um dem Denken und Verhalten revolutionärer Massen durch das Schaffen eines eigenen, eines sozial und national getrimmten Massenanhangs begegnen zu können. Er schaut gleichsam hinter die Kulissen und fordert, den Strategien der Herrschenden mehr als bisher die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Elm spürt jener Vielzahl an Intellektuellen nach, die unmittelbar nach der Revolution das Geschehen von 1918/19 zu erklären suchten, sich dabei kaum von ihrer früheren nationalistischen Kriegseuphorie lösten, einen »Zusammenbruch« beklagten und habherzigzwiespältig mit den neuen Verhältnissen umgingen.
Alles in allem: Ein aufschlussreicher Band, dem gewünscht wird, nicht in der Vielfalt der Publikationen zum Jubiläum unterzugehen.
Gerrit Brüning/Kurt Baumann (Hg.): Novemberrevolution 1918/19. Ereignis – Deutung – Bedeutung. Hg. von der Marx-Engels-Stiftung. Neue Impulse Verlag, 295 S., br., 19,80 €.