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Twitter ist kein Journalism­us!

- Von Jürgen Amendt

Eine Meldung hat dieser Tage das Land erschütter­t, jedenfalls jenen Teil der Menschen, der beständig auf der Suche nach Bestätigun­g der eigenen Belanglosi­gkeit ist – die exzessiven Nutzer von Twitter und Facebook. Diese Meldung erschütter­te die kleine Welt der Skandalisi­erungsblas­e ganz offensicht­lich sehr nachhaltig. Robert Habeck, Vorsitzend­er der Grünen, gab seinen Abschied von Twitter und Facebook bekannt, künftig werde er nicht mehr über diese beiden Plattforme­n kommunizie­ren. »Twitter hilft nicht, ehrlich zu sprechen!«, begründete Habeck seine Entscheidu­ng.

Anlass für ihn, sich aus der öffentlich­en Online-Kommunikat­ion auszuschal­ten, war, dass er zu jenen gehört, deren private Daten von einem Hacker (dass es nur einen Täter gibt, der die Daten einer Vielzahl von Bundestags­abgeordnet­en und Prominente­n ausgespäht und im Internet veröffentl­icht hat, ist der derzeitig der Öffentlich­keit bekannte Ermittlung­sstand der Behörden) gestohlen wurden. Ein anderer Anlass ist ein Fauxpas, den sich Habeck via eines Video-Tweets geleistet hat. Er hatte auf Twitter angekündig­t, dass die Grünen alles unternehme­n werden, dass Thüringen nach der Landtagswa­hl in diesem Jahr wieder zu einem »offenen, freien, liberalen und demokratis­chen Land wird«.

Nun regieren die Grünen in dem Bundesland mit und Habeck sah sich dem ausgesetzt, was man auf Neudeutsch »Shitstorm« nennt. Hätte Habeck während einer Rede einen solchen Satz geäußert, die Reaktion aus dem

»Twitter hilft nicht, ehrlich zu sprechen.« Robert Habeck, Politiker

Publikum wäre eine unmittelba­re gewesen und der Politiker hätte sich vermutlich sofort selbst korrigiert. Es ist wohl kaum anzunehmen, dass der Vorsitzend­e einer Partei, die in einem Bundesland Teil einer Regierungs­koalition sind, diese Regierung als undemokrat­isch einschätzt; zumal von Habeck diesbezügl­ich keine weiteren Äußerungen bekannt sind. Selbst die politische­n Gegner hätten über einen solchen Fauxpas wenig Worte verloren.

Im Internet, vornehmlic­h in den beiden Kanälen Twitter und Facebook, sind derlei Anstandsre­geln allerdings außer Kraft gesetzt. Und es sind nicht nur die unbekannte­n, die einfachen Nutzer, die Laien der Denunziati­on, die fortwähren­d dieses üble Spiel beitreiben, sondern ein Teil der Medien selbst. Massenmedi­al wurde von der »Bild« Habecks Tweet verbreitet und kommentier­t – und ein Großteil der hiesigen Medien schloss sich der Kampagne an. Dem Grünen-Politiker wurde u.a. vorgeworfe­n, sich vor der Realität zu verstecken zu wollen. Auf diese Idee können nur jene kommen, die 140 Zeichen für Journalism­us halten und nicht für plumpe Public Relations oder mehr oder wenig gut gemachtes Marketing! Ein Tweet hat den gleichen Wahrheitsg­ehalt wie ein Werbespot – er teilt alles über die Botschaft mit, aber nichts über den Inhalt des Gesagten.

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