Der Traum vom Garten
Man kann die Geschichte vom Ende der DDR auch anders erzählen: »Adam und Evelyn«
Zweifellos ist der Roman von Ingo Schulze aus dem Jahre 2009 etwas Besonderes. In »Adam und Evelyn« werden die Seelenzustände zweier Menschen im Sommer 1989 erkundet – natürlich als eine überaus abgründige Selbsterkundung des Autors in dialogischer Form. Klarsichtige Melancholie könnte man diesen Zustand des Übergangs nennen, der weder das Bestehende beschönigen will, noch sich Illusionen über das nun Kommende macht.
Es ist die Seelenlage einer Generation, die weder in der DDR noch in der Bundesrepublik Deutschland jemals ohne Vorbehalt »angekommen« ist. In der DDR Nischenbewohner, heute immer noch. So die Zustandsbeschreibung. Jenseits der Geschichte der Sieger wächst ein Bekenntnis zu jenem Rand, an dem immer wieder Außenseiter gedeihen. Ihre Geschichte erzählt der Film »Adam und Evelyn« in schönster Selbstverständlichkeit, als gäbe es keine andere Perspektive. Gut so!
Kein Wunder, dass sich Andreas Goldstein, Jahrgang 1964, der im vergangenen Jahr einen Dokumentarfilm über Klaus Gysi (»Der Funktionär«) vorlegte, für den Roman interessierte. Goldstein arbeitete als Assistent für den DEFA-Dokumentaristen Peter Voigt, beschäftigte sich eingehend mit Filmtheorie, ist ein kluger Analytiker und Visionär des Kinos, aber hat selbst nur sehr wenige Filme gemacht, was sich als folgenreich herausstellen wird.
Goldstein erfuhr nach Erscheinen des Romans, dass sich ConstantinFilm bereits die Rechte daran gesichert hatte. Der Stoff war weg. Aber dann tat sich nichts, es kam kein Film, offenbar hatte Constantin Glauben und Lust an »Adam und Evelyn« ver- loren. Die Rechte waren einige Jahre später für ein Zehntel des Preises zu haben, den Constantin bezahlt hatte. Goldstein griff zu – oh, diese schnöde kapitalistische Welt, die ohne Scheu auch mit verborgenen Traumstoffen handelt! Denn »Adam und Evelyn« ist zweifellos ein Traum. Liebes- und Todestraum gleichermaßen, eine heikle Sache.
Und so hebt der Film an: lange Schwarzblende, ein Radio läuft dazu mit den allzu oft gehörten Meldungen von der Prager Botschaftsbesetzung und anderen Schlagworten jener Tage. Wir sehen buchstäblich schwarz. Dann ein vor sommerli-
chem Grün fast explodierender Garten, das dominante Geräusch von Vögeln, Grillen und das Rauschen des Laubs der Bäume. Wir hören eine Frauenstimme rufen: »Adam, wo bist du?« Adam, das ist Lutz Frenzel (Florian Teichtmeister), Damenschneider und Fotograf, am liebsten von Frauen, bekleidet und unbekleidet. Adam hat offenbar alles zum Leben, was er braucht. Schnitt zu Adam in der Dunkelkammer.
Im Entwicklerbad werden die Konturen seiner letzten Porträts sichtbar. »Sind das etwa meine Schuhe?«, fragt Evelyn, abgebrochene Studentin und Kellnerin, auf die Fotos blickend: »Ich will nicht, dass deine Weiber meine Schuhe tragen!« Viel mehr an Dramatik ist nicht. Adam und Eveyln, die beiden ersten Menschen in ihrem Garten, ein Paradies, aus dem sie bald vertrieben werden. Nicht ohne eigene Mitschuld? Evelyn (Anne Kanis) ist eifersüchtig und fährt ohne Adam mit Freunden nach Ungarn. Adam braucht immer einen Moment länger als andere, bis er begreift, was vorgefallen ist – doch dann fährt er seiner Freundin in seinem malerisch blauen alten Wartburg hinterher. Der Beginn einer Reise, an deren Ende alles anders ist als am Anfang.
Lange, sehr lange Einstellungen, immer wieder Gärten und unberührte Landschaften, und sehr wenig Menschen. Das darf man wohl als Bekenntnis auffassen. Goldstein im Interview über das aufreizend langsame Tempo, diese zerfließenden Stillleben von »Adam und Evelyn«: »Der Kapitalismus ist laut Marx die Vernichtung des Raums durch die Zeit. Gewinn wird durch Zeitgewinn erzielt. Das war im Sozialismus unbekannt. Du konntest Zeit verschwenden, weil du dir deiner Zukunft sicher warst.« Die Raum-Zeit-Koordinaten von damals sind verschwunden. Die DDR ist hier eine »paradoxe Heimat« – eine, die ihre Existenz dadurch beweist, dass sie sich ständig selbst negiert. Goldstein versucht sie wieder zu erwecken, wie ein fernes Traumbild, das verschwimmt.
Ihn habe das Filmische des Romans gereizt, sagt er, die unvermittelten Schnitte, die hier Schwarzblenden sind. Sparsame Dialogfragmente, die gleichsam herüberwehen. Evelyn etwa, die nach Ungarn fährt, weil sie ahnt, die Grenzen dort werden sich öffnen. Adam, der plötzlich wieder mit ihr zusammen ist, versteht nicht. Sie will weg, warum nur? »Weil ich besser leben, überhaupt erst leben will!« Er versteht immer noch nicht: »Und bisher hast du nicht gelebt?«
Im Westen angelangt, sitzt ein Beamter vor Evelyn und will alles ge- nau wissen: seit wann sie aus der DDR wegwollte und warum, wer dieser ominöse Adam sei. Sie also wollte »in die Freiheit« und Adam nicht? Was ist denn das für einer? Hat er von unterwegs in die DDR telefoniert, versucht, sie zurückzuhalten? Evelyn zeigt sich irritiert. Ist das hier ein im Westen fortgesetztes StasiGespräch? Adam will sich für diese schnelle, grelle und schnöde die Zeit vernutzende neue Wirklichkeit unerreichbar machen, wie er sich auch für die kaputte DDR unerreichbar machte – ein notorischer Träumer in seinem Garten. Für Adam und Evelyns gemeinsame Zukunft jedoch, eben noch die ersten Menschen im Garten Eden, sieht es nicht gut aus.
Aber es gibt nichts Schwierigeres als solch einen magischen Realismus filmisch umzusetzen. Wie setzt man eine Utopie, die nicht sterben will, ins Bild? Das ist das Heikle an Goldsteins Regie: Man merkt ihr die fehlende Filmpraxis an. Und so wird die Meditation schnell zu einem Problemfall. Der allzu spürbare Kunstwille bekommt etwas Kunstgewerbliches. Der Rhythmus stimmt nicht, die Details verrutschen. Manche Szene haben etwas von der Unbeholfenheit eines Laienspiels. Nicht unsympathisch, aber eben oft nicht gekonnt.
Erwischt einen dieser Film auf dem falschen Fuß, ist man bloß genervt. Lässt man sich jedoch ein auf das, was »Adam und Evelyn« dennoch zu sagen hat, ist er so etwas wie ein zaghaftes Hoffnungszeichen, dass man die Geschichte vom Ende der DDR vielleicht endlich einmal auf eine andere als die übliche Weise erzählen kann.
»Im Sozialismus konntest du Zeit verschwenden, weil du dir deiner Zukunft sicher warst.« Andreas Goldstein, Regisseur
»Adam und Evelyn«, Deutschland 2018. Regie/Buch: Andreas Goldstein. Darsteller: Florian Teichtmeister, Anne Kanis, Lena Lauzemis. 100 Min.