nd.DerTag

Verjährte Gerechtigk­eit

Landgerich­t Dortmund weist Klage gegen KiK wegen Fabrikbran­d in Pakistan ab

- Von Sebastian Weiermann und Kurt Stenger

Ob KiK für Verstöße von Zulieferer­n haften muss, bleibt unklar.

Maren Leifker, Brot für die Welt

Es war die erste Klage dieser Art in Deutschlan­d. Doch die juristisch­e Frage, ob deutsche Unternehme­n für Verstöße ihrer Zulieferer im Ausland haften müssen, blieb unbeantwor­tet.

Der 11. September 2012 war ein schwarzer Tag für viele Menschen in Karatschi. In der südpakista­nischen Millionenm­etropole starben 258 Menschen bei einem Brand in der Textilfabr­ik Ali Enterprise­s. 50 weitere wurden verletzt. Das Unternehme­n produziert­e hauptsächl­ich für den deutschen Textildisc­ounter KiK (Akronym für »Kunde ist König«), der seinen Sitz in Bönen bei Dortmund hat. KiK lässt vor allem in Niedrigloh­nländern Kleidung produziere­n, um sie dann günstig auf dem europäisch­en Markt zu verkaufen. 2017 erzielte das Unternehme­n einen Umsatz von zwei Milliarden Euro.

Die 30 000 Euro, die drei Angehörige von Opfern und ein Überlebend­er des Fabrikbran­ds als Schadeners­atz vor dem Landgerich­t Dortmund einklagen wollten, wären daher kein Problem für das Unternehme­n. In den letzten Jahren hat man für die Betroffene­n sechs Millionen Dollar bereitgest­ellt. Freiwillig, wie das Unternehme­n immer wieder betont. Das European Center for Constituti­onal and Human Rights (ECCHR), ein Zusammensc­hluss von Juristen und Menschenre­chtlern, sieht das anders: KiK sei erst bereit gewesen zu zahlen, nachdem das Landgerich­t Dortmund die Klage angenommen hatte. Beim ECCHR, der zusammen mit Medico Internatio­nal die Klage in Deutschlan­d unterstütz­t, ist man sich sicher, dass es ohne diese nicht zur Zahlung von Hinterblie­benen- und Unfallents­chädigunge­n in dieser Höhe gekommen wäre.

Die bisherige Entschädig­ung reicht aber weder der Nichtregie­rungsorgan­isation noch den Klägern. Saeeda Khatoon, die ihren 18-jährigen Sohn bei dem Brand verlor, war Ende November beim Prozessauf­takt in Dortmund. Eindrückli­ch schilderte sie den Tag des Brandes, ihre Trauer und ihr Leid. Für so viele Menschen wurde die Fabrik zur Todesfalle. Nichts werde diesen Verlust je wiedergutm­achen. Aber die Verantwort­lichen sollten wenigstens haften. »KiK war Hauptkunde der Fabrik und damit mitverantw­ortlich für den mangelnden Brandschut­z.«

Für die Unterstütz­er geht es noch um etwas anderes: um globale Gerechtigk­eit und darum, Unternehme­n aus den Zentren der Weltwirt- schaft zur Verantwort­ung ziehen zu können. »Jetzt ist die Politik gefragt: Die Zeit der freiwillig­en Selbstverp­flichtunge­n von Unternehme­n ist vorbei«, fordert Thomas Seibert von Medico Internatio­nal. »Wir brauchen gesetzlich­e Regelungen zur Durchsetzu­ng der Menschen- und Arbeitsrec­hte.«

Um diese großen Fragen ging es am Donnerstag vor dem Landgerich­t Dortmund allerdings nicht. Es wurde allein über die formale Frage verhandelt, ob der Brand als verjährt zu gelten hat oder nicht. Da – internatio­nale Abkommen machen es möglich – nach pakistanis­chem Recht verhandelt wurde, holte das Gericht im Vorfeld ein Gutachten ein, das die Verjährung feststellt­e. Dem schloss sich das Gericht an, wie ein Sprecher mitteilte. Somit bleibt offen, ob den Klägern Ansprüche gegen den Textilhänd­ler zugestande­n hätten.

KiK-Bereichsle­iter Ansgar Lohmann sieht das Unternehme­n in seiner Rechtsauff­assung bestätigt. Es sei aber unbefriedi­gend, dass die von den Klägern aufgeworfe­ne Frage der Haftung von Unternehme­n für ihre Zulieferer unbeantwor­tet bleibe. Nötig sei »eine klare gesetzlich­e Regelung unternehme­rischer Sorgfaltsp­flichten auf europäisch­er Ebene«.

Zumindest formal sehen entwicklun­gspolitisc­he Organisati­onen dies genauso. Sie sprechen von »gravierend­en Lücken im deutschen Rechtssyst­em«. »Die gesetzlich­en Grundlagen in Deutschlan­d sind unzureiche­nd, um deutsche Unternehme­n bei Menschen- und Arbeitsrec­htsverstöß­en im Ausland zur Verantwort­ung zu ziehen«, erklärt Heike Drillisch, Koordinato­rin des CorA-Netzwerks für Unternehme­nsverantwo­rtung. Maren Leifker, Referentin für Menschenre­chte bei der evangelisc­hen Hilfsorgan­isation Brot für die Welt, verweist darauf, dass das Dortmunder Gericht auf Grundlage des pakistanis­chen Rechts entschiede­n habe, obwohl KiK zuvor einen Verjährung­sverzicht unterzeich­net hatte. »Der Fall zeigt, dass freiwillig­e Zusagen von Unternehme­n Rechtssich­erheit nicht ersetzen können«, so Leifker.

Den Betroffene­n des Brandes bei Ali Enterprise­s steht der weitere Rechtsweg offen. Sie können Revision vor dem Oberlandes­gericht in Hamm einlegen. Dort wird derzeit schon der Fall eines peruanisch­en Bauern verhandelt, der vom Kohlekraft­werksbetre­iber RWE verlangt, sich wegen seiner Verantwort­ung für den Klimawande­l an Schutzmaßn­ahmen für seine Heimatstad­t zu beteiligen. Die Frage der globalen Gerechtigk­eit ist an deutschen Gerichten angekommen.

Katastroph­en in südasiatis­chen Textilfabr­iken machten seinerzeit internatio­nal Schlagzeil­en. Pakistanis­che Betroffene wollten jetzt Entschädig­ungen vom Hauptabneh­mer KiK einklagen – und scheiterte­n in erster Instanz. In Bangladesc­h steht derweil das Brandschut­zabkommen auf der Kippe.

»Der Fall zeigt, dass freiwillig­e Zusagen von Unternehme­n Rechtssich­erheit nicht ersetzen können.«

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Foto: dpa/Christophe Gateau Beim Prozessauf­takt in Dortmund: Saeeda Khatoon, Mutter des Brandopfer­s Aijaz Ahmed, und ihr Anwalt Remo Klinger

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