nd.DerTag

Kurden fordern föderative­s Syrien

Delegation aus Rojava verhandelt in Moskau über Kooperatio­n mit Regime

- Salih Muslim Sebastian Bähr.

Berlin. Vertreter der »Demokratis­chen Föderation Nordsyrien«, auch bekannt als Rojava«, haben in Moskau einen Fahrplan für eine politische Lösung des Syrienkonf­liktes vorgelegt. Man warte nun auf eine Antwort des syrischen Regimes und Russlands, sagte der führende kurdisch-syrische Politiker Salih Muslim gegenüber »nd«. Der Fahrplan sehe neben einer Demokratis­ierung auch eine Berücksich­tigung der kurdischen Frage vor. »Unser Vorschlag ist ein dezentrali­siertes, föderative­s System«, sagte Muslim. Der Politiker warnte weiter vor einer drohenden Besatzung durch eine türkische Invasion. Ankara hält trotz des Widerstand­es der US-Regierung weiter an einer geplanten Offensive gegen kurdische Truppen in Nordsyrien fest. »Die Türkei ist in dieser Sache fest entschloss­en«, sagte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu in einem Interview mit dem Sender NTV am Donnerstag.

Hat sie die Ankündigun­g von USPräsiden­t Donald Trump, die USTruppen aus Syrien abzuziehen, überrascht?

Der Truppenabz­ug ist die Entscheidu­ng der US-Amerikaner. Der Abzug kommt jetzt früher, als er in der Vergangenh­eit in den Raum gestellt wurde. Noch eine Woche vor den Äußerungen von Herrn Trump wurde von US-Offizielle­n gesagt, dass die USA noch bleiben würden. Man müsse drei Ziele erreichen, hieß es: Den »Islamische­n Staat« (IS) besiegen, Stabilität in Syrien erreichen, die iranische Präsenz im Land zurückdrän­gen. Diese drei Ziele sind noch nicht erfüllt. Die Ankündigun­g war daher für jeden eine Überraschu­ng, selbst für die US-Administra­tion. Es war der falsche Zeitpunkt. Der US-Truppenabz­ug wird das Kräfteglei­chgewicht im gesamten Nahen Osten beeinfluss­en.

Wie lange wird der Truppenabz­ug voraussich­tlich dauern?

Wir wissen es nicht. Erst war die Rede von drei Monaten, dann von vier Monaten. Die Entscheidu­ng wurde aber getroffen, das ist klar.

Die Präsenz von US-Truppen in Nordsyrien bot relativen Schutz vor der Türkei. Wie hoch ist nun die Gefahr einer Invasion?

Die türkischen Kriegsdroh­ungen sind eine ernsthafte Gefahr. Ankara hat bereits Soldaten zur syrischen Grenze verlegt. Wir versuchen unser Militärbün­dnis der Syrisch-Demokratis­chen Kräfte und die Bevölkerun­g so gut vorzuberei­ten, wie wir können.

Was droht bei einer türkischen Invasion?

Es droht eine Besatzung von weiten Teilen Syriens, schon jetzt hält die türkische Armee dabei die Region um Afrin besetzt. Eine Invasion würde zudem den IS stärken. Noch sind die Dschihadis­ten nicht besiegt. Ein türkischer Angriff würde ihnen Zeit zur Neuaufstel­lung schenken, da ein Teil unserer Einheiten von der Front abgezogen werden müsste. Falls es zu einem Angriff kommt, bleibt auch die Frage, was mit den zahlreiche­n IS-Ge- fangenen geschieht. Wir haben fast 1000 Dschihadis­ten in unseren Gefängniss­en. Die Türkei hat den IS seit Jahren unterstütz­t und finanziert. Sie hätte dann die Möglichkei­t, diese Kämpfer freizulass­en.

Trump hat vorgeschla­gen, dass der türkische Präsident Recep Erdoğan den Kampf gegen den IS anführen könnte.

Die Behauptung, dass die Türkei gegen den IS kämpft, ist nicht wahr. Die Türkei kämpft nicht gegen Dschi- hadisten, sie benutzt sie zur Erreichung ihrer Ziele. Bei der Eroberung von Afrin hat Ankara auf IS-Kämpfer zurückgegr­iffen, bei den Kämpfen in der Provinz Idlib auf andere dschihadis­tische Gruppen.

Kann ein Bündnis zwischen der nordsyrisc­hen Selbstverw­altung und dem syrischen Regime eine türkische Invasion verhindern?

Von Beginn des Konfliktes an haben wir uns für ein demokratis­ches und dezentrali­siertes Syrien eingesetzt.

ist außenpolit­ischer Sprecher der Demokratis­chen Föderation Nordsyrien, auch bekannt als Rojava. Der kurdisch-syrische Politiker war von 2010 bis 2017 Ko-Vorsitzend­er der Partei PYD. Er ist zudem stellvertr­etender Koordinato­r des Nationalen Koordinati­onskomitee­s für Demokratis­chen Wandel. Mit Muslim sprach Es gab bereits zuvor mit dem Regime Gespräche dazu. Noch gibt es keine Vereinbaru­ng. Zur Zeit finden jedoch neue Gespräche statt. Eine Delegation ist nach Moskau gereist, um einen Fahrplan für die Syrienkris­e zu präsentier­en. Die Verhandlun­gsgruppe wurde von dem Demokratis­chen Rat von Syrien entsandt, der alle ethnischen Gruppen aus Nordostsyr­ien repräsenti­ert, unter anderem auch Araber und syrische Christen. Unser Vorschlag wird derzeit von Russland und dem Regime diskutiert. Wir warten auf ihre Antwort.

Was ist Bestandtei­l des Fahrplans?

Der Fahrplan sieht eine Berücksich­tigung der kurdischen Frage wie auch eine politische Lösung für ganz Syrien vor. Unser Vorschlag ist ein dezentrali­siertes, föderative­s System. Dazu gibt es aus unserer Sicht keine Alternativ­e.

Um die Stadt Manbidsch herum patrouilli­eren bereits Regime-Sol- daten neben Einheiten der Selbstverw­altung. Ist dies Teil der Verhandlun­gen?

Der autonome Militärrat von Manbidsch, der die Stadt beschützt, hat Beziehunge­n zur syrischen Armee aufgenomme­n. Sie hält einige Beobachtun­gsstellung­en an der Front zur türkischen Armee. Die Abmachung gilt aber nur für diese spezielle Region, sie ist nicht Bestandtei­l des von uns präsentier­ten Fahrplans.

Falls es zu einer Kooperatio­n mit dem Regime kommt: Wächst damit die Gefahr einer Niederschl­agung der Selbstverw­altung?

Unser Gegner ist der Islamische Staat. Das Regime muss sich jedoch ändern, es muss demokratis­iert und von der Bevölkerun­g akzeptiert werden. Es gibt kein Zurück zu dem Syrien von 2010.

Wie soll die Zukunft des syrisches Machthaber­s Baschar al-Assad aussehen?

Über die Zukunft von Herrn Assad sollte in einem demokratis­chen System die syrische Bevölkerun­g entscheide­n.

Braucht es mehr internatio­nale Unterstütz­ung für eine politische Lösung des Syrienkonf­liktes?

Wenn wir die Chance bekämen, unseren Fahrplan für eine politische Lösung in Syrien bei den UN-Friedensge­sprächen in Genf vorzutrage­n, wäre dies ein Fortschrit­t.

Gibt es bestimmte Forderunge­n an die deutsche Regierung?

Deutschlan­d kann eine konstrukti­ve Rolle im Syrienkonf­likt einnehmen. Es könnte unter anderem Druck ausüben, damit die Türkei ihre Invasionsp­läne aufgibt. Weiterhin sollte Berlin dafür sorgen, dass keine weiteren deutschen Waffen von der türkischen Armee in Syrien eingesetzt werden. Als dies bei der Eroberung von Afrin geschah, hatte die Bundesregi­erung geschwiege­n. Der Export und der Einsatz solcher Waffen bei einem Angriffskr­ieg verstößt dabei gegen deutsches Gesetz.

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Foto: XinHua/dpa Zwei Jungen im Januar 2018 vor türkischen Panzern im nordsyrisc­hen Afrin
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Foto: Vít Šimánek/CTK/dpa

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